Menü
Chronik und Quellen
1935
Oktober 1935

Oktober 1935

Am 4. Oktober äußerte sich Propagandaminister Goebbels in einer in Halle gehaltenen Rede zu den im Vormonat akut in Erscheinung getretenen Versorgungsengpässen im Deutschen Reich. Die Verknappungen bei Butter, Margarine und Schweinefleisch seien, so versuchte er zu beruhigen, „immerhin noch erträglich“ und müssten akzeptiert werden, weil durch geringere Lebensmitteleinfuhren Geld für dringend benötigte Rohstoffimporte gespart würden. Angesichts der durch die Engpässe hervorgerufene Unruhe wies er die Presse einen Tag später an, „etwas zur Niederschlagung der Psychose“ zu tun, um so die überhandnehmenden Spekulationen und Hamsterkäufe einzudämmen.

Als am 6. Oktober auf dem Bückeberg bei Hameln vor rund einer Million Besuchern die alljährliche zentrale Erntedankkundgebung stattfand, wurde aufmerksamen Beobachtern direkt vor Augen geführt, in welche Güter das NS-Regime seine Mittel investierte: Erstmals war das Programm nämlich auch durch militärische Vorführungen geprägt. Die Wehrmacht veranstaltete ein großes Schaugefecht, wobei ein Zusammenhang zwischen Bauerntum und Wehrbereitschaft konstruiert wurde. Alle Mühe und Arbeit der deutschen Bauern, so wurde erklärt, sei umsonst, wenn der Ertrag nicht durch das Schwert, also die Wehrmacht, geschützt würde. Ob solche Phrasen die Unzufriedenheit einzudämmen vermochten, ist mehr als fraglich. Es wurden jedoch auch praktische Maßnahmen ergriffen: Nach einer Anordnung des Reichsnährstandes wurden am 15. Oktober sowohl Herstellung als auch Verkauf von Schlag- und Kaffeesahne im Deutschen Reich zugunsten der Butterproduktion um 40 Prozent gekürzt.

In der Berliner Kroll-Oper eröffnete Adolf Hitler kurz darauf am 9. Oktober das mittlerweile 3. Winterhilfswerk. Neben vielen anderen Firmen und Einrichtungen spendete auch die I.G. Farben einen Betrag von einer Million Reichsmark. In dessen Rahmen fand dann am 13. Oktober der erste „Eintopfsonntag“ des Jahres statt. Allein in Berlin sollen 75.000 Helfer 375.000 RM an Spenden für das WHW gesammelt haben.

Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky verbot am 12. Oktober die Ausstrahlung von „Nigger-Musik“ im deutschen Rundfunk. In seiner praktischen Auslegung betraf das Verbot jedoch weite Teile der gesamten nichtdeutschen Unterhaltungsmusik. Zugleich wurde die Einrichtung eines neuen Prüfungsausschusses für deutsche Tanzmusik bekanntgegeben. Ungeachtet aller Verbote wurde in vielen Clubs weiterhin Jazz - in erster Linie in Form des „Swing“ - gespielt.

Für das Hören der „falschen“ Musik drohte nun ebenso großes Ungemach wie für zuv schnelles Fahren: In einem Aufruf wies der Nürnberger Polizeipräsident am 16. Oktober darauf hin, dass fast die Hälfte aller Autounfälle auf zu schnelles Fahren zurückzuführen sei. Er werde in Zukunft nicht zögern, Autofahrer, die zu schnell fahren würden, für mehrere Monate in Konzentrationslager einzuweisen.

In Berlin wurde am 19. Oktober das am 1. Juli des Jahres gegründete „Reichsinstitut für Geschichte des Neuen Deutschlands“ feierlich eröffnet und Walter Frank zu dessen Präsidenten ernannt. Die Einrichtung sollte letztlich nichts anderes tun, als im offiziellen Auftrag Geschichte zu fälschen. Es galt, das Dritte Reich als Vollendung der historischen Entwicklung Deutschlands zu präsentieren, wobei insbesondere deren „rassische Dimension“ betont werden sollte. Unter anderem sorgte das Institut dafür, dass die NS-Machtübernahme als Selbstbefreiung des deutschen Volkes interpretiert wurde.

Nicht nur die deutsche Geschichte sollte „rein“ gehalten werden, sondern gemäß des NS-Rassenwahns auch das „deutsche Blut“: In Berlin wurde daher am 18. Oktober als Ergänzung zum „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 das „Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes“ („Ehegesundheitsgesetz“) bekanntgegeben. Vor der Eheschließung war nun künftig ein auf der NS-Rassenideologie basierendes „Ehetauglichkeitszeugnis“ vorzulegen, das von den Gesundheitsämtern ausgestellt wurde.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Als unmissverständlichen Protest gegen die „Nürnberger Gesetze“ und die ihnen vorangegangene Welle antijüdischer Einzelaktionen hatte der Rabbiner Leo Baeck als wohl wichtigster Vertreter des liberalen Judentums das Klo-Nidre-Gebet verfasst, das am 25. September an alle jüdischen Gemeinden verschickt worden war, wo es nach seinem Willen am 6. Oktober, dem Vorabend von Jom Kippur, in den Synagogen verlesen werden sollte. Diese Botschaft des Trostes und Aufrufens zur geistigen Standhaftigkeit brachte zugleich die Verzweiflung über die Zuspitzung der antisemitischen Entrechtung zum Ausdruck. Das Gebet endete folgendermaßen: „Trauer und Schmerz erfüllen uns. Schweigend, durch Augenblicke des Schweigens vor unserem Gotte, wollen wir dem, was unsere Seele erfüllt, Ausdruck geben. Eindringlicher als alle Worte es vermöchten, wird diese schweigende Andacht sprechen.“ Zur geplanten Verlesung kam es jedoch nicht, denn diese wurde am 4. Oktober seitens der Gestapo verboten und Leo Baeck kurzzeitig verhaftet.

Nach Anweisung des badischen Innenministeriums vom 11. Oktober war zwecks Schaffung einer „vorläufigen Grundlage für die Rassengesetze“ und in Verbindung mit der im Oktober beginnenden Personenstandsaufnahme eine statistische, polizeiliche Erfassung aller in Baden wohnenden Jüdinnen und Juden durchzuführen. Dazu wurde - wie seitens des Gestapo bereits im August angeordnet - bei den Bezirksämtern, Polizeipräsidien und Polizeidirektionen eine „Judenkartei“ anzulegen. In diese waren zunächst lediglich jene einzutragen, die der jüdischen Religion angehören, wobei aber auch gegen die Aufnahme getaufter Jüdinnen und Juden, von denen bekannt war, „dass sie rassenmäßig reine Juden sind“, nichts einzuwenden war. Die Karten von Ausländern und von Staatenlosen waren dabei besonders zu bezeichnen. Am 17. Oktober ordnete das württembergische politischen Landespolizeiamt per Erlass an, dass alle im Lande bestehenden jüdischen Vereinigungen und ihre Mitglieder festzustellen seien, wobei sie anschließend je nach ihrer „jüdisch politischen Einstellung (neutral, assimilatorisch, zionistisch, orthodox, religiös-liberal)“ separat aufgelistet werden sollten. Ähnliche Anordnungen wurden zu dieser Zeit vermutlich auch in anderen Ländern herausgegeben.

Kurz zuvor war am 15. Oktober gemäß der „Nürnberger Gesetze“ die „Jüdische Winterhilfe“ aus dem „Winterhilfswerk des Deutschen Volkes“ ausgeschlossen worden. Ebenfalls am 17. Oktober ordnete die Reichsfilmkammer an, dass jüdische Kinobesitzer ihre Kinos zum 10. Dezember 1935 an „Arier“ zu verkaufen hatten. Am 24. wurde in einem Erlass des Reichspropagandaministeriums schließlich festgelegt, dass bei der Errichtung neuer Denkmäler für die Gefallenen des Weltkrieges künftig die Namen jüdischer Frontkämpfer nicht mehr aufgeführt werden durften. Allerdings verzichtete man darauf, ihre Namen, die auf zuvor errichteten Denkmälern standen, nachträglich zu entfernen.

Baum wird geladen...