Mai 1935
Zum „Tag der Arbeit“ gab sich Hitler am 1. Mai vor mehr als 100.000 Arbeitern in Berlin scheinbar friedliebend und erklärte: „Was wir wollen, liegt klar vor uns: Nicht Krieg, nicht Unfrieden (...), denn wir wissen alle, dass die große Arbeit nur gelingen kann in einer Zeit des Friedens.“ Propagandaminister Joseph Goebbels forderte die Arbeiter zugleich auf, „sich wie ein Mann“ hinter die Politik des NS-Regimes zu stellen. Am 21. Mai äußerte sich der Reichskanzler in einer Rede vor dem Reichstag zu europäischen Sicherheitsfragen und beteuerte erneut den deutschen Friedenswillen. Dieser, so betonte Hitler auf der Grundlage der NS-Rassenideologie, beruhe allein schon auf der Vorstellung, „die der Nationalsozialismus von Volk und Staat“ besitze: „Denn dieser sieht in der machtmäßig erzwungenen Einschmelzung eines Volkes in ein anderes wesensfremdes nicht nur kein erstrebenswertes politisches Ziel, sondern als Ergebnis eine Gefährdung der inneren Einheit“. Den Vorwurf von Völkerbund und europäischen Nachbarn, mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht habe das Deutsche Reich den Versailler Vertrag gebrochen, konterte Hitler bei dieser Gelegenheit mit dem Vorwurf der „neuen Diskriminierung“, weil er die durch den Vertrag begründeten Ungleichheiten zementieren wolle.
Am 19. Mai - und damit rund anderthalb Jahre nach Beginn des am. 23. September 1933 als „zweite Welle“ der Arbeitsbeschaffung begonnenen Vorhabens - wurde in ausgefeilter propagandistischer Inszenierung vor einer großen Menschenmenge von Hitler persönlich der erste Teilabschnitt der Autobahn zwischen Frankfurt und Darmstadt freigegeben. Anschließend fuhr er mit 4.000 Arbeitern die gesamte Strecke öffentlichkeitswirksam ab.
Zugleich wurde jede noch so versteckte Kritik im Keim erstickt. Auf Anordnung von Propagandaminister Goebbels wurden aufgrund einer Beschwerde von Gestapo-Chef Reinhard Heydrich und nach längerer Beobachtung am 10. Mai die beiden bekannten und beliebten Berliner Kabaretts „Katakombe“ und „Tingeltangel-Theater“ geschlossen. Die Ensemblemitglieder – unter ihnen auch Werner Finck und Rudolf Plate – wurden für sechs Wochen im KZ Esterwegen inhaftiert.
Ansonsten setzte man mit großer Energie die Vorgaben der NS-Rassenideologie schrittweise in die Tat um. Am 11. Mai teilte das Reichsgesundheitsamt mit, dass 730 staatliche und kommunale Gesundheitsämter im ganzen Reichsgebiet eingerichtet seien. Eine von deren vornehmlichen Aufgabe ist die Eheberatung unter dem Gesichtspunkt der Erb- und Rassenpflege. Am gleichen Tag wurde in Düsseldorf am Vorabend des Muttertags die Reichsausstellung „Frau und Volk“ eröffnet, die „Rechenschaft“ geben sollte „von der Arbeit der deutschen Frau“, um so die Bevölkerung in die Lae zu versetzen, sich ihrer „Kraft bewusst zu werden und die Notwendigkeit des einheitlichen Wirkens dieser Kraft zu erkennen“. Einen Schwerpunkt der Ausstellung, die die Rolle der Frau im NS-Staat zementieren sollte, stellen Informationen über die Arbeit der NS-Frauenschaft dar. In ihrer Radioansprache zum Muttertag erklärte Gertrud Scholtz-Klink als Führerin der NS-Frauenschaft den Ausstellungsintentionen entsprechend am 12. Mai, dass jede gesunde Mutter „Hüterin, Hegerin und ureigenste Treuhänderin des Nationalsozialismus“ sein müsse, weil dessen „tiefste Forderungen“ sich mit den „inneren Mutterforderungen“ decken würden.
Zeitgleich wurde der Konflikt mit der katholischen Kirche fortgesetzt. Am 5. Mai wurden sämtliche katholischen Kirchenblätter in Preußen wegen der Veröffentlichung eines Hirtenbriefes, in dem die deutschen Bischöfe für die Bekenntnisschule eintraten, beschlagnahmt. Unter dem Titel „An die Dunkelmänner unserer Zeit“ verfasste der NS-Ideologe Alfred Rosenberg als „Beauftragter des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Schulung und Erziehung der NSDAP“ außerdem eine aggressive und polemische Replik, woraufhin Papst Pius XI. im Rahmen eines Empfangs deutscher Pilger im Vatikan am 6. Mai die Kirchenpolitik der Nationalsozialisten verurteilte: „Man will im Rahmen eines sogenannten positiven Christentums Deutschland dem christlichen Glauben entfremden und das Volk einem barbarischen Heidentum zuführen.“
Das NS-Regime setzte seine Repressionen jedoch unbeeindruckt fort: Im ersten einer Reihe von sogenannten „ Devisenprozessen“ gegen katholische Ordensmitglieder wurde die Ordensschwester Wernera Wiedenhöfer am 17. Mai von einem Berliner Gericht zu fünf Jahren Zuchthaus und 140.000 RM Geldstrafe verurteilt. Eine Welle von 60 „Priesterprozessen“ sollten noch folgen, die – allerdings wohl weitgehend erfolglos - der Diffamierung der katholischen Kirche dienen sollen. In Hamm kam es in dieser aufgeheizten Stimmung am 12. Mai zu einer Demonstration der HJ gegen den Paderborner Erzbischof Kaspar Klein, der dabei als „Devisenschieber“ beschimpft wurde. Die Polizei musste schließlich eingreifen, um weitere Ausschreitungen zu verhindern.
Zugleich erfuhr aber auch sie eine Ausweitung ihrer Befugnisse. Durch Erlass des preußischen Innenministeriums wurde die Polizei – angeblich zur Verhütung von Verbrechen - in Preußen nämlich am 28. Mai ermächtigt, vorbestrafte „unverbesserliche Berufsverbrecher“ als präventive Maßnahme in „Erziehungslager“ einzuweisen und dort festzuhalten, ohne dass ihnen ein konkretes Verbrechen zur Last gelegt werden musste.