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Chronik und Quellen
1935
April 1935

April 1935: Die Gestapo Köln berichtet für den Regierungsbezirk Köln

"Allgemeine Stimmung

(...) Die in den letzten Wochen erfolgten Boykottmassnahmen gegen jüdische Geschäfte finden bei der Allgemeinheit wenig Verständnis. Im besonderen weist man darauf hin, dass durch die Schäden, die durch das Zertrümmern von Schaufensterscheiben und das Beschmieren von Rolläden und Häusern entstehen, nicht die jüdischen Geschäftsinhaber, sondern die Versicherungen und dadurch die Allgemeinheit getroffen werden. Die frühere jüdische Firma Landauer, die in den Besitz der Firma Krüger und Knoop übergegangen ist, wurde eine Zeitlang durch Verkäufer des WB dadurch boykottiert, dass diese vor dem Warenhaus die Zeitung mit folgenden Worten anpriesen: „Kauft den Stürmer, er bringt die Wahrheit über die Juden! Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!“ Die Folge dieser Boykottierung war, dass der Geschäftsumsatz nachliess und die Leitung des Warenhauses gezwungen war, 100 Aushilfskräfte zu entlassen, die heute mehr oder weniger der öffentlichen Wohlfahrt zur Last fallen. Besonders typisch ist der Vorfall, der sich bei der Festnahme des Juden Guttmann, hier, Weyerstrasse, am 11.4.1935 abgespielt hat. Als Guttmann dem zuständigen Polizeirevier zu seiner persönlichen Sicherheit zugeführt werden musste, wurde aus der Menge gerufen: „Lasst den Juden laufen, hängt lieber den SS.-Mann auf!“ Trotzdem sofort nach dem Rufer Erhebungen eingeleitet wurden, gelang es nicht, den Betreffenden zu ermitteln. (Ich nehme Bezug auf meinen Tagesbericht vom 12.4.1935). Dieser Vorfall dürfte beweisen, dass diese Methode der Bekämpfung der Juden nicht richtig ist. Mit der hiesigen Gauleitung ist über das Vorgehen gegen derartige Auswüchse gesprochen worden. Die Gauleitung ist ebenfalls der Auffassung, dass Sachbeschädigungen, wie Einschlagen von Fensterscheiben pp. zu unterbleiben haben. (...)

Bauernschaft

(...) Einzelne Landräte berichten, dass die Bauern nach wie vor in ihrer Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat recht zurückhaltend sind. Das Erbhofgesetz lässt die bäuerliche Bevölkerung nach den Ausführungen eines Landrats nicht zur Ruhe kommen. Der Handel der Bauern mit den Juden geht nach und nach zurück. Dies ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass die Bauern befürchten, wegen ihrer geschäftlichen Verbindungen zu Juden angeprangert zu werden. Verschiedentlich sind bei Bauern, die geschäftlichen Verkehr mit Juden noch pflegten, Zettel an den Gehöften angebracht worden mit den Aufschriften „Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!“(...)

Juden

Im verflossenen Monat hat im Bezirk Köln eine verschärfte antijüdische Propagandawelle eingesetzt, die zahlreiche Einzelaktionen mit sich gebracht hat. In zwei Wochen sind Fensterscheiben im Werte von etwa 20 000 RM. eingeschlagen bezw. eingeworfen worden. Wiederholt sind während der Nachtstunden jüdische Geschäftshäuser bezw. Schaufenster mit Ölfarbe und Mennige beschmiert worden. Derartige Zerstörungen treffen in den meisten Fällen nicht den Geschädigten, sondern die Versicherung und damit letzten Endes doch wieder die Allgemeinheit. Hinzu kommt für Köln, dass Ausländer derartige Auftritte gesehen und auch Aufnahmen davon gemacht haben, deren Verwendung zu Zwecken der Greuelpropaganda naheliegen dürfte. Im Einvernehmen mit der Gauleitung und dem Herrn Regierungspräsidenten sind die erforderlichen Massnahmen getroffen worden, um eine disziplinierte Durchführung der Propaganda zu sichern und Einzelaktionen von Leuten, welche die Ziele verkennen oder sabotieren, zu unterbinden. Es ist zu berücksichtigen, dass das Verhalten einzelner Juden in sittlicher und geschäftlicher Hinsicht Veranlassung zu den Erregungen gab. In einigen Fällen mussten Juden in Schutzhaft genommen werden, weil zu befürchten war, dass die erregte Bevölkerung sie misshandeln würde. (Ich nehme Bezug auf meine Tagesberichte vom 9., 12. und 17.4.1935). Infolge der Boykottmassnahmen hat sich in der Judenschaft mehr denn je der Wille nach einer Auswanderung gezeigt. Die Zionisten propagieren stark den Auszug in das gelobte Land und gewinnen täglich mehr und mehr Anhänger. Dem allgemeinen gesellschaftlichen Leben halten sich die Juden fern. Sie sind dazu übergegangen, in ihren eigenen Heimen Gesellschaftsabende abzuhalten und Hausmusik zu pflegen. Öffentliche Veranstaltungen finden nicht mehr wie bisher in den verschiedensten hiesigen Lokalen, sondern ausnahmslos in der Rheinlandloge statt. Man beabsichtigt, die Bühne der Rheinlandloge zu vergrössern und den Saal so umzubauen, dass die Platzfrage besser als bisher geregelt wird. Der jüdische Kulturbund hat seine Konzerte von der Bürgergesellschaft in die Synagoge verlegt, um keinen Angriffen ausgesetzt zu sein. Es ist m.E. mit einer Abwanderung der Juden ins Ausland zu rechnen, wenn geschäftliche und finanzielle Dinge sie vorab nicht an Deutschland binden würden. In Wirtschaftskreisen sieht man die Angriffe gegen die Juden in der jetzigen Zeit mit Rücksicht auf die nicht stabile Auslandspolitik ungern. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass ein grosser Teil der Bürgerschaft das Vorgehen einzelner Personen missbilligt. Die jüdischen Warenhäuser und Geschäfte haben nach den diesseitigen Beobachtungen durch die Boykottmassnahmen wenig oder gar keine Einbusse erlitten. Der Arbeiter kauft infolge seines geringen Verdienstes in den Geschäften, in denen er am preiswertesten glaubt bedient zu werden. Die in den Vororten gelegenen jüdischen Grossmetzgereien weisen an Freitagen und Samstagen einen starken Besuch auf. Wie vertraulich mitgeteilt wurde, besuchen im Hinblick auf die Boykottmassnahmen die Frauen der Erwerbslosen und Arbeiter mit Vorliebe die jüdischen Metzgereien. Die einzelnen Vorkommnisse sind in den Tagesberichten gemeldet worden."

 

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