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Chronik und Quellen
1942
Dezember 1942

Dezember 1942

Während sich die deutschen Truppen allerorten auf dem Rückzug befanden, verbreitete das Oberkommando der Wehrmacht unverdrossen Optimismus. Aus Tunesien etwa meldete es am 5. Dezember die „nahezu vollständige“ Vernichtung des Gegners, und hinsichtlich der Lage an der Ostfront ließ Hitler am 9. des Monats verlauten, dass die erste Phase der sowjetischen Winteroffensive abgeschlossen sei, ohne dass die Rote Armee „entscheidende Erfolge“ errungen habe.

Die Realität hingegen sah völlig anders aus: In Nordafrika starteten die Alliierten am 11. Dezember einen Angriff auf die deutsch-italienischen Stellungen bei Mersa Brega, und an der Ostfront überrollten fünf Tage später Panzereinheiten der Roten Armee im Zuge der sowjetischen Woronesch-Offensive die für die Versorgung der bei Stalingrad eingeschlossenen deutschen Truppen lebenswichtige Nachschubbasis Tazinskaja. Der Stalingrad-Armee gingen nicht nur Waffen und Munition, sondern insbesondere die Lebensmittel aus, so dass sich Oberbefehlshaber Paulus zur Sicherstellung der Ernährung über die Weihnachtstage am 20. Dezember gezwungen sah, die Halbierung der ohnehin schon minimalen Verpflegungssätze anzuordnen. Eine weitere Hoffnung der Eingeschlossenen löste sich einen Tag später auf, als eine am 12. Dezember begonnene Entlastungsoffensive aus dem Raum Kotelnikowo 48 km vor dem Stalingrader Kessel gestoppt wurde, um deren Kräfte stattdessen zur Entlastung der Kaukasusfront, deren Rückzug dann am 28. Dezember angeordnet wurde, einzusetzen. Wiederum einen Tag später untersagte Hitler am 22. einen geplanten Gesamtausbruch der eingeschlossenen deutschen 6. Armee. Damit war deren Schicksal entschieden.

Die „Heimatfront“, die um die Soldaten in Stalingrad bangte, sah sich im Vergleich zu deren Lage eher mit kleinen Problemen konfrontiert. Angesichts wachsender Rohstoffknappheit wurden Hausfrauen am 1. Dezember durch die Presse aufgefordert unter dem Motto „Seife sparen - Wäsche schonen“ künftig nur noch alle fünf Wochen zu waschen. Zwei Wochen später wurde wiederum in den Zeitungen darauf hingewiesen, dass die Raumbeheizung durch elektrische Heizgeräte kriegswirtschaftlich unerwünscht sei, zumal die Herstellung elektrischer Heizgeräte bereits seit Ende des Jahres 1941 verboten sei. Angesichts der Knappheit von Hausbrand blieb aber oft keine Alternative zum Heizen mit Strom.

In einer Rundfunkansprache zur 4. Kriegsweihnacht appellierte Propagandaminister Goebbels dann am ersten Weihnachtstag wieder einmal an den Durchhaltewillen des deutschen Volkes und beschwor den Glauben an den „Endsieg“. „Wir sind als Front und Heimat ein kämpfendes und arbeitendes Volk, das tapfer und unbeirrt sein Leben verteidigt. Man hat uns zu diesem Krieg gezwungen; wir werden ihn mit der Kraft der ganzen Nation bis zum siegreichen Ende durchstehen.“ Und dieser Sieg werde unweigerlich kommen, „wenn wir ihn täglich und stündlich fester wollen“. Um die Stimmung nicht nur durch solch hehre wie leere Versprechungen aufzuhellen, erhielt der „Normalverbraucher“ im Deutschen Reich anlässlich der Feiertage Sonderzuteilungen an Fleisch (200 g), Butter (125 g), Zuckerwaren (125 g), Bohnenkaffee (50 g), Schnaps (0,351), Käse (62,5 g) und Hülsenfrüchten (125 g).

Und um sowohl den Durchhaltewillen als auch ein zumindest angepasstes Verhalten der einzelnen Mitglieder der „Volksgemeinschaft“ zu sichern, hielt es das NS-Regime eine permanente Kontrolle für notwendig. Daher legte er mittels seines Überwachungsapparates ein immer engmaschigeres Netz über das Reichsgebiet. Um der zunehmenden Flucht von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen entgegenzuwirken, wurden am 5. Dezember auf Anordnung des Reichsführers SS Heinrich Himmler in den einzelnen deutschen Wehrkreisen eigens Fahndungstrupps gebildet. Drei Tage später ordnete Himmler zur Bekämpfung von Sabotage und „anderen politischen Gewaltverbrechen“ außerdem die Bildung neuer Sonderkommissionen bei allen Leitstellen der Gestapo im Deutschen Reich an. Und am 18. Dezember forderte Martin Bormann als Leiter der Parteikanzlei alle Dienststellen der NSDAP in einem Rundschreiben dazu auf, angesichts einer allgemein festzustellenden Stimmungsverschlechterung in der Bevölkerung jeden Zweifel am Sieg mit „massiven Mitteln zum Schweigen“ zu bringen. Fünf Tage später definierte das Rassenpolitische Hauptamt der Partei den Begriff „gemeinschaftsunfähig“ und bestimmte, dass Personen, die sich den so nunmehr reichseinheitlich festgelegten „Mindestanforderungen der Volksgemeinschaft“ nicht anpassen würden, künftig erfasst, laufend überwacht und in Lager eingewiesen werden können.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Der Prozess der Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung schritt derart schnell voran, dass einige Parteistellen der NSDAP mit dem Tempo offenbar nicht Schritt halten konnten. Zu einem Zeitpunkt, als kaum noch Jüdinnen und Juden mit offizieller Meldeadresse im Reichsgebiet wohnten, machte das rassenpolitisches Amt im Gau Moselland am 15. Dezember darauf aufmerksam, dass künftig die Namen der in den Adressbüchern aufgeführte Jüdinnen und Juden durch einen zusätzlichen „Davidstern“ besonders zu kennzeichnen seien.

Zu Weihnachten nahm man schließlich sogar den Toten ihre Ruhe. Am 24. Dezember wurde die Reichsvereinigung auf Anweisung des Reichskommissars für Altmaterialverwaltung zu einem Runderlass gezwungen, nachdem alles Metall von jüdischen Friedhöfen - „einschließlich Grabstätten, Zäunen und Toren“ - zu entfernen und dem Deutschen Reich „zuzuführen“ war.

Unter den Westalliierten häuften sich in der zweiten Jahreshälfte 1942 die Berichte über den systematischen Massenmord an den europäischen Juden. So informierten sie im Dezember erstmals selbst offiziell über die deutschen Massenverbrechen und kündigten an, alle Verantwortlichen später dafür bestrafen zu wollen. Konkrete Rettungsmaßnahmen blieben hingegen aus. Solange sich das NS-Regime noch auf der Höhe seiner Macht befand, war der Handlungsspielraum für Rettungsinitiativen wohl in der Tat recht begrenzt. Aber auch nach der in der zum Jahresende 1942 immer spürbarer werdenden militärischen Wende des Krieges ergriffen die Alliierten keineswegs energische Maßnahmen gegen die Vernichtung des europäischen Judentums.

Aber auch - und gerade - in den Kirchen war auch nach dem Beginn der Deportationen bis auf wenige Ausnahmen - etwa jener des Berliner Domprobsts Bernhard Lichtenberg - Kritik an der Judenverfolgung kaum zu vernehmen. Ganz im Gegenteil beeilten sich manche evangelische Landesverbände, den ihnen angeschlossenen Kirchengemeinden den Ausschluss der zum Christentum konvertierten, seitens des NS-Regimes aber als Juden verfolgten „Nichtarier“ nahezulegen.

Repräsentanten der katholischen Kirche nahmen immerhin wiederholt Stellung gegen die Verfolgung der zum Katholizismus konvertierten „Nichtarier“ und verteidigten mit Blick auf „Mischehen“ auch das Sakrament der Ehe. Hinsichtlich der Deportationen übte sich aber zumindest die katholische Amtskirche in deutlicher Zurückhaltung. So riet etwa der Apostolische Nuntius in Berlin, Cesare Orsenigo, mehrfach von einer öffentlichen kirchlichen Stellungnahme zugunsten der Jüdinnen und Juden ab. Zwar zeigte er sich angesichts der Deportationen verbal äußerst besorgt sei, betonte allerdings stets, dass Interventionen keinerlei Aussicht auf Erfolg hätten, sondern die Katholische Kirche selbst gefährden könnten. Und selbst Ende 1942, als die Alliierten bereits eindeutig Stellung bezogen hatten, konnte sich Pius XII. in seiner Weihnachtsansprache 1942 lediglich zu stark verklausulierten und daher kaum erkennbaren Bekundungen seiner diesbezüglichen Sorge durchringen.

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