April 1938
Bei der Abstimmung über den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich votierten im Reichsgebiet nach offiziellen Angaben bei einer Beteiligung von 99,59 Prozent 99,01 Prozent der Wahlberechtigten mit „Ja“; in Österreich bei 99,71 Prozent Wahlbeteiligung sogar 99,73 Prozent. Die Presse kommentiert den Ausgang der „Wahl“ als „überwältigendes Treuebekenntnis“ für Hitler.
Zuvor hatte ein propagandistisch bis ins Detail geplanter Wahlkampf stattgefunden, der stets um die auf den Wahlzetteln gestellte Frage kreiste: „Bist Du mit der am 13. März vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich einverstanden, und stimmst Du für die Liste unseres Führers Adolf Hitler?“ Es waren Flugblätter in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß unter den Wahlberechtigten verteilt worden, die Presse machte permanent für den 10. April mobil und selbst Schulkinder mussten Wahlparolen zeichnen, um sie anschließend auf ihren Ranzen durch die Straßen zu tragen. Am Wahltag selbst waren sämtliche NS-Organisationen im Einsatz, wobei genau darauf geachtet wurde, dass jeder zur – zumeist nicht abgeschirmten - Urne ging. Wer sich trotz allem weigerte, wurde öffentlich als „Volksverräter“ beschimpft und mit Verhaftung bedroht.
Kurz vor dem „Wahl“-Tag hatte Adolf Hitler am 7. April im Anschluss an eine Kundgebung in Linz mit dem ersten Spatenstich am Walserberg zwischen Salzburg und Bad Reichenhall sehr symbolträchtig den Bau für die Autobahn Salzburg – Wien eröffnet. Bei dieser Gelegenheit erklärte er, der NS-Staat zeichne sich dadurch aus, dass er Projekte umgehend verwirkliche und „an den Beginn die Tat“ stelle.
Es galt also viel zu feiern im April 1938. Da fügte es sich gut, dass in Anwesenheit von Geburtstagskind Hitler am 20. April in Berlin der Olympia-Film von Leni Riefenstahl uraufgeführt wurde.
Am 28. April gab Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink in Berlin die Gründung eines zweijährigen freiwilligen Frauenhilfsdienstes für Wohlfahrts- und Krankenpflege bekannt. Die Angehörigen des Frauenhilfsdienstes haben dabei künftig Anspruch auf freie Unterkunft und Verpflegung, Taschengeld und Urlaub und erhalten anschließend ein nicht rückzahlbares Ehestandsdarlehen von 1.000 Reichsmark. Zwei Tage später wurden am Vorabend des 1. Mai und zum Abschluss des „Leistungskampfes der deutschen Betriebe“ in Berlin 103 der insgesamt rund 84.000 teilnehmenden Unternehmen feierlich als „NS-Musterbetriebe“ ausgezeichnet. Weitere 1.683 wurden mit dem „Gaudiplom für hervorragende Leistungen“ bedacht.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Die jüdischen Gemeinde und ihre Mitglieder hatten mit dem Beginn des Monats einen herben Schlag zu verkraften. Mit dem am 28. März 1938 erlassenen „Gesetz zur Änderung der Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusgemeinden“ verloren sie mit Wirkung vom 1. April 1938 an den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts, was gravierende finanzielle Auswirkungen nach sich zog, weil die Gemeinden künftig auf ihr Eigentum – etwa Synagogen, Friedhöfe und karitative Einrichtungen - Steuern zahlen mussten. Die damit einhergehende finanzielle Belastung wurde noch dadurch erhöht, dass die Gemeindeeinnahmen aufgrund der zunehmenden der Verarmung ihrer Mitglieder stark rückläufig waren, während sich zugleich die Ausgaben für Sozialfürsorge wegen der Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung aus der allgemeinen Fürsorge massiv und permanent erhöhten. Dieses Gesetz stellte den Auftakt zu einem inneren organisatorischen Umwandlungsprozess der gesamten jüdischen Selbstverwaltung im Reichsgebiet dar, der im Juli des Jahres mit der Gründung des „Reichsverbandes der Juden in Deutschland“ seine Fortsetzung finden und mit der Gründung der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ im Februar 1939 enden sollte.
Parallel trieb das NS-Regime die Ausbeutung und wirtschaftliche Vernichtung der jüdischen Bevölkerung kontinuierlich voran. So wurde jede(r) Einzelne ebenso wie nichtjüdische Ehegatten am 26. April durch die „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens der Juden“ dazu verpflichtet, ihr bzw. sein gesamtes, 5.000 RM übersteigendes Vermögen offiziell und detailliert beim Finanzamt anzumelden. Diese für das Ende der wirtschaftlichen Tätigkeit deutscher Juden und ihre spätere Enteignung wichtigste Verordnung war gleich nach dem „Anschluss“, noch im März 1938, in Österreich ausgearbeitet und einen Monat später auf Betreiben Hermann Görings im gesamten Reichsgebiet eingeführt worden. Zugleich wurde diesem als dem „Beauftragten für den Vierjahresplan“ die Möglichkeit zu allen Maßnahmen gegeben, das anmeldepflichtige jüdische Vermögen „im Interesse der deutschen Wirtschaft“ einzusetzen. Künftig war nun jedes Rechtsgeschäft, an dem ein Jude beteiligt war – etwa der Verkauf oder die Verpachtung eines Betriebs -, genehmigungspflichtig. Das galt auch für die Neueröffnung eines jüdischen Gewerbebetriebs.
Zum Monatsende wurde allen Jüdinnen und Juden ein weiterer wichtiger Zugang zum Arbeitsmarkt endgültig versperrt: Ab dem 30. April wurde in der Dienstordnung für nichtbeamtete Beschäftigte in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben festgelegt, dass die Einstellung von Personen, die „nicht deutschen oder artverwandten Blutes“ oder mit solchen verehelicht seien, untersagt. Sämtliche Bewerber*innen für solche Stellen mussten künftig „einen ausführlichen Fragebogen über ihre Abstammung und die Abstammung ihrer Ehefrau ausfüllen“
Das NS-Regime versuchte die Ausplünderung aber auch von anderer Seite abzusichern, indem es am 22. April mittels der „Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe“ jeden mit einer Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr und einer Geldbuße bedrohte, der jüdischen Betrieben helfen würde, der „aus eigennützigen Beweggründen“ dabei mitwirken würde, „den jüdischen Charakter eines Gewerbebetriebes zur Irreführung der Bevölkerung oder der Behörden bewusst zu verschleiern“. Zugleich wurde es verboten, ohne deutlichen Hinweis darauf für Juden in Rechtsgeschäften tätig zu werden, das eine Irreführung darstelle. - Das alles war natürlich darauf ausgerichtet, die „Arisierung“ jüdischen Eigentums zu vereinfachen, indem den früheren Besitzer ein wirksamer Rechtsbeistand erschwert oder gar verwehrt wurde.