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Chronik und Quellen
1938
Juni 1938

Juni 1938

Der Konflikt um das Sudetenland spitzte sich weiter zu. Auf dem Gauparteitag der NSDAP Pommerns in Stettin erklärte Rudolf Heß als Stellvertreter des Führers am 12. Juni vielsagend und bedrohlich, die Tschechoslowakei sei ein „Gefahrenherd für den Frieden Europas“ Am gleichen Tag erzielte die NS-orientierte Sudetendeutsche Partei (SdP) bei der dritten und letzten Runde der Gemeindewahlen in der Tschechoslowakei in den sudetendeutschen Gebieten 91,4 Prozent der deutschen Stimmen. Eine weitere Eskalation schien vorprogrammiert. Darauf deutete auch eine weitere Rede von Heß hin, der am 19. Juni auf dem 10. Gauparteitag der ostpreußischen NSDAP in Königsberg die Zusammengehörigkeit von Partei und Wehrmacht betonte und erklärte, der Nationalsozialismus habe aus einem „Volk der Pazifisten wieder ein Volk der Soldaten gemacht“.

Hieran hatte sicherlich auch die NS-Propaganda ihren Anteil, die sich offenbar auf dem richtigen Weg sah, den es fortzusetzen galt. Als am 11. Juni in Wien der Internationale Kongress der Werbewirtschaft endete, erklärte Joseph Goebbels im Rahmen der Abschlussveranstaltung jedenfalls, Propaganda sei für den Nationalsozialismus Erziehungsarbeit - „nicht nur für heute und morgen, sondern nach unserem Willen für Jahrzehnte und Generationen“. Am 23. Juni wurde dann in Breslau die reichsweit erste „Reichslautsprechersäulenanlage“ in Betrieb genommen. Diese öffentlichen Lautsprecheranlagen sollten nach den Worten von Karl Hanke, Staatssekretär im Propagandaministerium, als „Ausdruck der demokratischen Volkführung“ alle Deutschen „an den großen politischen Geschehnissen“ teilhaben lassen. Goebbels, der als erster über die Anlage sprach, sah in ihr ein „wirksames und jederzeit einsetzbares Mittel für die propagandistische Arbeit von Bewegung und Staat“.

Was störte, galt es aus dem Weg zu räumen. So wurden am 25. Juni auf Anordnung Heinrich Himmlers sämtliche katholischen Studenten- und Altherrenverbände im Reichsgebiet aufgelöst und dauerhaft verboten. Kurz zuvor hatte Himmler am 16. des Monats die Möglichkeit zur Aufstockung seiner personellen Reserven erheblich verbessert, indem er die Anweisung erteilte, den Übertritt von Angehörigen der uniformierten Ordnungspolizei in die Schutzstaffel (SS) wesentlich zu erleichtern. Künftig konnten Größe und Alter von Aufnahmewilligen unbeachtet bleiben, lediglich eine „arische Abstammung“ blieb unabdingbar.

Die Rassenideologie dominierte auch andere Bereiche von Gesellschaft und Wirtschaft. So endete am 18. Juni eine fünftägige Sonderaktion, die der Massenverhaftung von Juden und „asoziale Elementen“ gedient hatte. Auf Befehl Reinhard Heydrichs hatte reichsweit jeder Kriminalpolizeistellenbezirk mindestens 200 arbeitsfähige Personen aus den Gruppen der von NS-Seite als „asozial“ klassifizierten Personen zu erfassen. Außerdem waren alle rund 1.500 vorbestraften Juden in „Vorbeugehaft“ zu nehmen, die daraufhin in den KZs Buchenwald und Sachsenhausen interniert wurden. Ein wesentlicher Zweck der Aktion war die Aktivierung von dringend benötigten Arbeitskräften, wobei auf die jüdische Bevölkerung zugleich der Druck zur Auswanderung erhöht werden sollte. All diese oft mit Ausschreitungen verbundenen Verhaftungen geschahen öffentlich. So wurden etwa am 17. Juni allein in Berlin etwa 2.000 Personen festgenommen. Drei Tage später wurden durch einen Erlass von Wirtschaftsminister Walther Funk jüdische Reichsbürger von jeglichen Börsengeschäften ausgeschlossen.

Der Arbeitsmarkt mit seinen personellen Engpässen entwickelte sich mehr und mehr zum innerdeutschen Sorgenkind. Um Abhilfe zu schaffen, wurde am 22. Juni (mit Geltung ab 1. Juli) eine „Verordnung zur Sicherstellung des Arbeitskräftebedarfs für Aufgaben besonderer staatspolitischer Bedeutung“ erlassen. Sie schuf die Möglichkeit, für unaufschiebbar erklärte Arbeiten vorübergehend anderweitig gebundene Arbeitskräfte freizusetzen. Auf diese Weise sollten auch mehr Beschäftigte für den im Mai des Jahres begonnenen Bau des „Westwalls“ verfügbar gemacht werden.

Solche restriktiven Bestimmungen versuchte das NS-Regime durch angebliche soziale Wohltaten zu kompensieren. Als am 10. Juni in Hamburg die vierte Reichstagung der Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) begann, kündigte Robert Ley als Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF) in einer programmatischen Rede Urlaubsfahrten nach Griechenland und Jugoslawien an. Der Kongress endete zwei Tage später mit einem pompösen Umzug.

Sportbegeisterte behielten den Monat nicht in guter Erinnerung, beschwerte er ihnen doch gleich zwei große Enttäuschungen: Am 9. Juni unterlag die großdeutsche Nationalelf der Mannschaft der Schweiz im Wiederholungsspiel der Vorrunde zur Fußball-Weltmeisterschaft mit 2:4 und schied damit aus dem Turnier aus. Am 22. Juni besiegte dann der farbige US-Amerikaner Joe Louis seinen deutschen Herausforderer Max Schmeling im Titelkampf um die Weltmeisterschaft im Schwergewichtsboxen in New York gleich in der ersten Runde durch K. o.

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Am 1. Juni wurde jenen schulischen Einrichtungen, die ausschließlich von jüdischen Schüler*innen besucht wurden, durch Erlass des Reichsinnenministers die staatliche Anerkennung entzogen und jegliche Steuerbefreiung abgesprochen.

Am 9. Juni wurden auch die deutschen Universitäten für Juden endgültig verschlossen, denn von nun ab war es ihnen per Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung verboten, diese Einrichtungen auch nur als Gasthörer zu besuchen.

Auch die Verdrängung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben und die damit einhergehende Isolierung findet im Juni unvermindert ihre Fortsetzung. Durch die „Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ wurde hierzu am 14. Juni 1938 der Begriff „jüdische Gewerbebetriebe“ ins Leben gerufen und deren Registrierung angeordnet. Auch nach außen hin sollte der jeweilige Status solcher Unternehmen unübersehbar sein, weshalb der Reichswirtschaftsminister, der Reichsinnenminister sowie der Stellvertreter des Führers angewiesen wurden, für sie eine besondere Kennzeichnung zu entwickeln und einzuführen, was per Erlass am 14. Juli geschah. Diese Maßnahmen dienten der Vorbereitung der Zwangsliquidation bzw. der „Arisierung“ dieser Betriebe. Am gleichen Tag forderte der Reichswirtschaftsminister die Sparkassen außerdem dazu auf, Juden und jüdischen Firmen künftig keine Kredite mehr zu gewähren. Eine weitere knappe Woche später wurden sie dann durch Erlass des Reichswirtschaftsministers am 20. Juni auch von den Börsen und Großmärkten ausgeschlossen und alle bisherigen Zulassungen kurzerhand für ungültig erklärt. Als Übergangsmaßnahme wurde Firmen in jüdischem Besitz „bis auf weiteres“ die Möglichkeit eingeräumt, sich in diesen Angelegenheiten durch nichtjüdische Bevollmächtigte vertreten zu lassen.

Mitte Juni wurde in Deutschland die Aktion „Arbeitsscheu Reich“ durchgeführt, der neben anderen diskriminierenden Aspekten auch eine starke antisemitische Stoßrichtung verfolgte. Nachdem bereits im April des Jahres im Rahmen einer vergleichbaren Maßnahme 1.500 bis 2.000 als „arbeitsscheu“ klassifizierte Männer festgenommen und in KZ interniert worden waren, wurde eine weitere, weitaus größere und unter gleichem Titel firmierende Aktion zwischen dem 13. und 18. Juni durchgeführt. Die ursprüngliche im Fokus stehende Gruppe der sogenannten Asozialen war auf persönliche Anordnung Hitlers erweitert und der Großrazzia damit auch eine eindeutig antisemitische Ausrichtung gegeben worden. Ende Mai hatte er angeordnet, dass nun reichsweit auch „asoziale und kriminelle Juden“ festzunehmen seien, weshalb sich unter den rund 9.000 Festgenommenen bis zu 2.500 geringfügig vorbestrafte Juden befanden, die ebenfalls in KZs eingewiesen wurden.

Als Reaktion auf den wachsenden und zusehends sichtbarer werdenden Widerspruch zwischen dem erklärten Ziel der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung und der durch deren wirtschaftliche Ausgrenzungen rasch ansteigenden Zahl erwerbsloser und von Fürsorge abhängiger Juden begann man im Juni damit, an verantwortlicher Stelle über umfassende Zwangsarbeitsmaßnahmen als Bestandteil künftiger antijüdischer Politik zu diskutieren.

Parallel dazu wurde Joseph Goebbels und sein Propagandaapparat nicht müde, das antisemitische Klima zu schüren. Am 21. Juni hielt er, der zugleich ja auch als NSDAP-Gauleiter von Berlin fungierte, im dortigen Olympiastadion im Rahmen der großaufgezogenen Sonnenwendfeier eine Rede, die auch von betont antijüdischen Tönen geprägt war. Man habe, so hetzte er, in Berlin nicht jahrelang gegen das „internationale Judentum“ gekämpft, damit es sich heute „breiter mache“ als je zuvor. Goebbels prangerte es als geradezu empörend an, dass in den letzten Monaten rund 3.000 Juden in dieStadt zugewandert seien. „Sie sollen dahin gehen, woher sie gekommen sind, und sie sollen uns nicht noch weiter lästig fallen“, führte er unter lauten Jubel aus. Zugleich wies er jedoch – recht scheinheilig – darauf hin, dass die notwendige Auseinandersetzung mit dem Judentum streng nach dem Gesetz von Partei und Staat geführt werden, „und nicht von der Straße“. Es werde durch gesetzliche Maßnahmen dafür gesorgt werden, dass jeglicher jüdischer Einfluss - auch der in der Wirtschaft - in absehbarer Zeit gebrochen werde.

Währenddessen setzte sich im jüdischen Alltag die herabwürdigende Diskriminierung in allen Bereichen fort. So ordnete ein Erlass des Reichsinnenministers am 22. Juni an, dass die Unterbringung von Juden in Krankenanstalten künftig so auszuführen sei, dass die „Gefahr von Rassenschande“ vermieden würde. „Juden sind in besonderen Zimmern unterzubringen.“

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