Dezember 1935
In Berlin veröffentlichten am 11. Dezember 44 führende deutsche Politiker, meist NSDAP-Mitglieder, einen Appell an die deutschen Eltern, mindestens vier Kinder zu bekommen, um so die Leistungen des nationalsozialistischen Staates für die Zukunft zu sichern. Mit denen sah es angesichts der Versorgungsengpässe aktuell jedoch nicht eben rosig aus, was den preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring am 6. November eine Rede in Hamburg dazu veranlasste, Aufrüstung und Lebensmittelknappheit unmittelbar miteinander verknüpfte: „Entweder kaufen wir Butter und verzichten auf die Freiheit oder aber wir erstreben die Freiheit und verzichten dann auf die Butter.“ Kurz vor Weihnachten warnte er dann am 22. Dezember die deutschen Bauern vor dem „Hamstern“ von Lebensmitteln. Grund hierfür waren Beobachtungen, wonach es immer wieder zum privaten Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und zur Überschreitung der vom Staat festgelegten Preise gekommen war. Die Gestapo, so drohte Göring nun, werde rücksichtslos gegen solche „Saboteure der Volksernährung“ vorgehen.
Einen Weg zur Vermeidung künftiger Ernährungskrisen wies am 5. Dezember im Rahmen einer Veranstaltung in Hamburg auch Franz Ritter von Epp, als er als Leiter des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP die Rückgabe der ehemaligen deutschen Kolonien forderte. Es bestehe, so erklärte er einer in dieser Hinsicht sicherlich interessierten und aufnahmebereiten Bevölkerung, ein klarer Rechtsanspruch auf diese Gebiete, da die „koloniale Schuldlüge längst als Machwerk erkannt“ sei.
Um das Weihnachtsfest trotz aller latenten Unzufriedenheit doch noch zur Demonstration der angeblichen „Volksgemeinschaft“ zu nutzen, wurden im gesamten Reichsgebiet „Gemeinschaftsfeiern“ veranstaltet, in deren Rahmen das Winterhilfswerk Kinder und deren Eltern mit Präsenten in der Größenordnung von 5,2 Millionen Reichsmark beschenkt wurden. Zuvor hatten am 22. Dezember, dem „Tag der nationalen Solidarität“ prominente Staats- und Parteifunktionäre und Personen des öffentlichen Lebens angeblich 4,2 Millionen Reichsmark für das WHW gesammelt.
Weihnachtliche Stimmung machte sich allerdings nicht überall bemerkbar. Am 17. Dezember verurteilte ein Gericht in Siegen einen katholischen Priester aus Kirchhundem zu vier Jahren Gefängnis, weil er das NS-Regime angegriffen und dadurch im Ort eine anti-nationalsozialistische Stimmung geschürt habe, die im Sommer 1935 schließlich zur Erschießung eines Mitglieds des Arbeitsdienstes geführt habe.
Zum Jahresende wurden schließlich sämtliche jüdischen Beamten, darunter auch die Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges, aufgrund einer Verordnung zu den „Nürnberger Gesetzen“ aus dem Dienst entlassen.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Das Deutsche Reich beginnt sich intensiver auf die olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen einzustellen. Am 3. Dezember ordnete das Reichsinnenministerium auf Anweisung Hitlers an, alle antijüdischen Schilder und Transparente in der Umgebung der Olympia-Stadt mit Rücksicht auf die kommenden öffentlichkeitswirksamen Ereignisse zu entfernen.
Am 7. Dezember wurde ebenfalls seitens des Reichsinnenministers ein Erlass veröffentlicht, laut dem künftig bei Mitteilungen über strafbare Handlungen an die Presse stets ganz besonders hervorzuheben sei, wenn solche von Jüdinnen oder Juden begangen worden seien, wobei besonders deutliche Hinweise auf deren „Rassenzugehörigkeit“ erwünscht waren. Auf diese Art und Weise sollte es zudem ermöglicht werden, im Rahmen der Reichskriminalstatistik eine separate „Statistik des jüdischen Verbrechens“ zu erstellen.
Die am 13. Dezember verabschiedete Reichsärzteordnung legte fest, dass eine ärztliche Bestallung zu versagen war, „wenn der Bewerber wegen seiner oder seines Ehegatten Abstammung nicht Beamter werden könnte und zur Zeit der Bewerbung der Anteil der nicht deutschblütigen Ärzte an der Gesamtzahl der Ärzte im Deutschen Reich den Anteil der Nichtdeutschblütigen an der Bevölkerung des Deutschen Reichs übersteigt“ Immerhin war dem Reichsinnenminister gestattet, „in Härtefällen im Einvernehmen mit der Reichsärztekammer Ausnahmen“ zuzulassen.
Am 16. Dezember legte die Gestapo per Erlass fest, dass von wenigen Ausnahmefällen abgesehen Waffenscheine künftig nicht mehr an Jüdinnen und Juden ausgegeben werden durften, „da dies eine Gefahr für die deutsche Bevölkerung“ darstelle.
Mit der „Zweiten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ wurden am 21. Dezember Bestimmungen darüber erlassen, wer aufgrund der Bestimmungen des Gesetzes vom 15. September 1935 über das Ausscheiden jüdischer Beamter aus dem Amt tatsächlich als solcher anzusehen war. Demnach bezog sich das Gesetz u.a. auf Lehrer im öffentlichen Schuldienst und an wissenschaftlichen Hochschulen, Honorarprofessoren, außerordentliche Professoren und Privatdozenten, leitende Ärzte an öffentlichen und freien gemeinnützigen Krankenhäusern und Vertrauensärzte, Notare, Handelsrichter, Schöffen, Geschworene, Konkurs-und Zwangsverwalter, Angestellte von Körperschaften öffentlichen Rechts und Sozialversicherungen. Letztlich wurde bestimmt, dass alle Jüdinnen und Juden, die ein öffentliches Amt bekleiden - darunter auch Schiedsmänner, Fleischbeschauer und Stempelverteiler - bereits seit dem 15. November des Jahres diese Ämter nicht mehr bekleiden durften und - soweit noch nicht geschehen - unverzüglich ihre Tätigkeit einzustellen hatten.