Erinnerungen an das Pogrom in Köln
Die 1927 geborene H.L. erinnerte sich 1988 an die dramatischen Ereignisse des 9. November 1938:
„Ich wurde am 18. Dezember 1927 als Tochter des in Köln lebenden jüdischen Kaufmanns Jonas Kessler und seiner katholischen Lebensgefährtin geboren. Seit meiner Einschulung 1934 besuchte ich die Volksschule Berrenrather Straße Köln-Sülz.
Den Tag der Reichskristallnacht erlebte ich in der Nähe dieser Schule. An diesem Tag 1938 sah ich auf dem Schulweg die Zerstörungen jüdischer Geschäfte. Besonders blieb mir bis heute die vollkommene Verwüstung eines jüdischen Spielwarengeschäftes auf der Berrenrather Straße in Erinnerung. Die Schaufensterscheiben war zerborsten, das Geschäftsmobiliar zertrümmert - ein Bild völliger Zerstörung.
Als ich an diesem Morgen in die erste große Pause ging, stand mein Vater am Schulhofstor und winkte. Er legte seinen Arm um mich und begleitete mich bis in die nahegelegene Lotharstraße. Vor seinem endgültigen Abschied sagte er mir: „Großmutter, die ganze Familie und ich müssen heute fort." Meine Mutter, die für 2 Mark am Tag nähen war, hatte er zuvor vergeblich gesucht. Mir, die ich keine 11 Jahre alt war, nahm er das Versprechen ab, der Mutter zu helfen und immer artig zu sein. Er umarmte mich beim Abschied heftig. Dann klingelte es, die Pause war zu Ende. Als ich ins Klassenzimmer kam, schluchzte ich heftig. Ich konnte mich nicht beruhigen. Ich wusste, es war etwas Furchtbares geschehen. Die Klassenlehrerin, die nichts von alledem wusste, stellte mich zur Rede: „Warum heulst Du?" Da ich ihr die Wahrheit nicht sagen durfte, an einem Finger der linken Hand eine Entzündung hatte, hielt ich ihr die Hand entgegen. Sie meinte daraufhin: „Hör zu heulen auf!"
Von 1938 bis 1945 habe ich auf meinen Vater gewartet. Dann erfuhr ich, dass er 1944 in einem polnischen Konzentrationslager erschossen worden war.“