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Chronik und Quellen
1938
Oktober 1938

Erinnerungen an die "Polen-Aktion"

In einem 1988 geführten Gespräch erinnerte sich der 1931 geborene H.F. an den 28. Oktober 1938 und dessen Folgen:

„Mein Vater, Jahrgang 1903, kam nach dem Ersten Weltkrieg von Polen nach Deutschland. Einer seiner Brüder war kurz vorher nach Berlin gegangen, und mein Vater ist ihm nachgefahren und hat ihn gesucht. Mein Vater war später Kaufmann in Köln, wir hatten ein Möbelgeschäft am Kleinen Griechenmarkt 61/63.

Als Jude polnischer Herkunft war mein Vater von der ‚Polenaktion‘ im Oktober 1938 betroffen. Er gehörte zu den Juden, die nach Polen deportiert werden sollten. Ich erinnere mich, dass diese Menschen in langen Reihen durch die Stadt zogen, bis dahin, von wo sie weggebracht werden sollten. Ich kann mich auch erinnern, dass in der Familie alle sehr aufgeregt waren, wir haben uns sehr erschreckt darüber. Mein Vater hatte den Tag noch ein paar Sachen zu besorgen und ich war mit meiner Mutter alleine, die hatte mich gerade gebadet und vor lauter Aufregung hat sie mir kaltes Wasser über den Kopf geschüttet - sie hat sich furchtbar erschrocken, dass sie das getan hat, aber die Situation war einfach sehr aufregend. Ich weiß noch, eine Tante von mir war da und der Briefträger kam und jeder wollte etwas von meiner Mutter. Mit diesen Transporten musste mein Vater dann weg, weil er in Polen geboren war und weil er staatenlos war - obwohl er lange Jahre in Köln gelebt hatte.

Ich war dann mit meiner Mutter alleine. Ein paar Tage später hörten wir dann, wahrscheinlich von Nachbarn, dass irgendetwas los war, dass man jüdische Geschäfte kaputtschlug. Wir hatten ja ein Möbelgeschäft, und meine Mutter wollte versuchen, die Möbel aus dem Laden in Sicherheit zu bringen. Sie hat sich sehr abgemüht, die Möbel rauszuziehen. Irgendwie hat sie es geschafft. Zwischen Diele und Geschäft war eine Eisentür, die hat sie dann zugemacht und wir sind auf den Dachboden geflüchtet. Wir waren noch unterwegs auf der Treppe, da hörte man schon den Lärm, wie alles zerschlagen wurde - es war schrecklich. Als es ruhiger wurde, ein bisschen ruhiger, hat mich meine Mutter an die Hand genommen und wir sind wieder runter. Wir hatten Bekannte in Frechen, die hatten uns gesagt, wenn etwas passieren würde, sollten wir zu ihnen kommen. Wir sind vom Dachboden runter, haben die Tür aufgemacht und dann an den Leuten, die da alles zerschlagen haben, vorbei. Sie haben uns nicht gesehen. Es waren ganz junge Leute, ich kann mich an ganz junge Gesichter erinnern. (…) Ich kann mich noch erinnern, wie der Knüppel so ging, um die Sachen zu zerschlagen, das kann ich noch sehen.

Ein paar Meter weiter konnte ich nicht mehr laufen, vor Schreck wahrscheinlich. Ich kriegte furchtbare Stiche im Bauch. Ich konnte mit dem rechten Bein nicht mehr weiter. Meine Mutter hat mich genommen und beruhigt, und dann haben wir es doch noch geschafft, nach Frechen zu kommen.“

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