September 1944
Am 8. September vermehrte sich die ohnehin bereits unüberschaubare Zahl der Staaten, mit denen sich das Deutsche Reich im Krieg befand, um Bulgarien. Nur wenige Tage nach Rumänien erklärte auch dieser ehemalige Bündnispartner Deutschland den Krieg.
Ansonsten setzte sich auf praktisch allen Kriegsschauplätzen der Rückzug deutscher Truppen fort. Zum Monatsbeginn starteten britische Truppen einen Angriff gegen die deutsche Frontlinie im italienischen Apennin, wobei es ihnen in den folgenden Tagen gelang, das deutsche Verteidigungssystem an mehreren Punkten zu durchbrechen. Am 3. September überschritten alliierte Truppen die belgische Grenze, um noch am gleichen Tag die Hauptstadt Brüssel zu befreien; am nächsten Tag zogen sie auch in Antwerpen ein. Am 11. September schließlich betraten nördlich von Trier in Form eines US-Spähtrupps erstmals alliierte Soldaten deutsches Reichsgebiet.
Kurz darauf sprangen am 17. September in der größten Luftlandeoperation des zweiten Weltkrieges 35.000 alliierte Soldaten bei Arnheim und Nimwegen (Niederlande) hinter der deutschen Front ab, um die Rheinbrücken zu besetzen. Dieses alliierte Großunternehmen schlug allerdings zu großen Teilen fehl und wurde daher für die deutsche Wehrmacht zum letzten Abwehrsieg des Krieges.
Am 1. September wurde letztmalig eine deutsche „V 1“ vom Boden abgeschossen, weil der Großteil der an der Westfront installierten Abschussrampen bereits in die Hände der vorrückenden Westalliierten gefallen war. Eine Woche später wurde dann erstmalig die „V 2“ gegen London eingesetzt. Diese weltweit erste große ballistische Rakete konnte – anders als die „V 1“ - aufgrund ihrer enorm hohen Geschwindigkeit von 5.630 Stundenkilometern und ihrer Flughöhe von bis zu 96 Kilometern nicht abgefangen werden. Allerdings wurde der Beschuss von London und Südengland zunächst weder von deutscher noch von britischer Seite kommentiert. Bis zu ersten Stellungnahmen sollte es noch bis Anfang November dauern.
Am 11. September wurde Darmstadt durch einen schweren britischen Luftangriff verwüstet: Rund 11.500 Menschen verloren hierbei ihr Leben, 66.000 der damals 110.000 Einwohner wurden obdachlos.
Am 2. September gab die deutsche Reichsbehörde für Altmaterialerfassung das vorläufige Ergebnis der Spinnstoff-, Wäsche- und Kleidersammlung bekannt. Danach sollten seit Anfang Mai rund 33,5 Millionen Kilogramm an Altspinnstoffen bei den Sammelstellen eingegangen, um anschließend neu verarbeitet und als Textilien an „Soldaten, Rüstungsarbeiter und Fliegergeschädigte“ ausgegeben zu werden.
Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink sprach am 11. September auf einer Kundgebung vor Marinehelferinnen in Hamburg über die Pflichten von Frauen in der Wehrmacht. Eine solche Stellungnahme war notwendig geworden, weil unter dem Sammelbegriff „weibliches Wehrmachtsgefolge“ immer mehr Frauen und Mädchen zum Frontdienst verpflichtet wurden. Es sei, so führte Schlotz-Klink aus, der Augenblick gekommen, in dem das Schicksal des Deutschen Reiches über allem stehen müsse, weshalb sich auch die Frauen den aktuellen Erfordernissen unterzuordnen hätten. Sie seien nicht zuletzt „Treuhänder der gefallenen Helden“ und hätten das „Vermächtnis der Toten“ hochzuhalten.
Unter der Überschrift „Zu allem bereit und entschlossen“ wurde am 17. September in der Wochenzeitung „Das Reich“ ein Artikel von Joseph Goebbels veröffentlicht, in dem es hieß: „Der Volkskrieg um unser Leben ist auch eine Sache unseres ganzen Volkes. Vom Führer bis zum letzten Mann und bis zur letzten Frau, ja bis zum letzten Kind ist die Nation zu allem bereit. Die Schwachen mögen dahinsinken, aber die Starken bleiben.“ Dabei wurden auch die vermeintlich Starken mehr und mehr Kranken: Am 17. September erlitt Adolf nämlich Hitler eine Herzattacke. Ohnehin hatte er sich seit einiger Zeit nur noch selten in der Öffentlichkeit gezeigt, weil sein körperlicher und psychischer Verfall, der immer offensichtlicher wurde, nicht zur Schau gestellt werden sollte.
Am 25. September wurde durch seinen Erlass über den deutschen „Volkssturm“ die Erfassung aller waffenfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren zur Verteidigung des „Heimatbodens“ angeordnet. In dem Schriftstück hieß es unter anderem: „Dem uns bekannten totalen Vernichtungswillen unserer jüdisch-internationalen Feinde setzen wir den totalen Einsatz aller deutschen Menschen entgegen. Zur Verstärkung der aktiven Kräfte unserer Wehrmacht und insbesondere zur Führung eines unerbittlichen Kampfes überall dort, wo der Feind den deutschen Boden betreten will, rufe ich daher alle waffenfähigen deutschen Männer zum Kampfeinsatz auf.“
Gemeint waren damit alte Männer und Jugendliche, die mit völlig unzureichender Ausrüstung in zufällig und willkürlich zusammengestellten Kampfgruppen dem hochgerüsteten und entsprechend überlegenen Feind entgegentreten sollten. Nach wenigen Stunden improvisierter „Schulung“ erhielten die „Volkssturm“-Angehörigen eine entsprechende Armbinde und ein Soldbuch, wodurch sie zu regulären Soldaten der Wehrmacht wurden. Eine Million deutscher Greise, Kranker und Kinder sollten mit alten Gewehren und verrosteten Panzerfäusten ohne Munition in den Krieg ziehen und ihn zugunsten Deutschlands entscheiden! In einem Spottvers hieß es entsprechend bitter:
„So wollen wir den Feind erwarten,
des Führers letztes Aufgebot.
Durch Panzerschreck im Schrebergarten
zum Reichsfamilienheldentod.
Wir hissen die zerfetzten Segel
und wandern froh an Hitlers Stab.
Mit Mann und Maus und Kind und Kegel
ins Massengrab, ins Massengrab.“
Da ohnehin kaum noch jemand nicht zu irgendeinem der ungezählten „Kriegshilfsdienste“ und Kriegseinsätze herangezogen war, dürfte es kaum mehr ins Gewicht gefallen sein, dass Goebbels als Generalbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz am 28. September die Schließung all jener Gaststätten und Hotels anordnete, die nicht für die Versorgung der arbeitenden Bevölkerung notwendig waren.
Zugleich wurden Zukunftsängste geschürt: Am 2. September schlug nämlich US-Finanzminister Henry Morgenthau vor, das Deutsche Reich nach Kriegsende in ein reines Agrarland umzuwandeln und es so in die wirtschaftliche und politische Bedeutungslosigkeit zu überführen. Als dieser Vorschlag aufgrund einer Indiskretion in die Öffentlichkeit gelangte, wurde er von Propagandaminister Goebbels dankbar aufgegriffen. Er nutzte den – international weitgehend abgelehnten – Plan, um den Durchhaltewillen der kriegsmüden deutschen Bevölkerung zu stärken.