September 1935
In Nürnberg begann am 10. September der 7. Reichsparteitag der NSDAP, der dieses Mal unter dem Motto „Parteitag der Freiheit“ abgehalten und von Propagandaminister Goebbels wieder als gigantische Massenveranstaltung inszeniert wurde. Hunderttausende Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, die unter anderem mit 465 Sonderzügen nach Nürnberg transportiert worden waren, nahmen an dem jährlichen Spektakel teil.
Einen Tag darauf legte Hitler im 1933 zur „Stadt der Reichsparteitage“ erklärten Nürnberg den Grundstein zur neuen monumentalen Kongresshalle, die nach Fertigstellung 60.000 Besuchern Platz bieten sollte. Gemeinsam mit den projektierten Parteitagsbauten im Luitpoldhain und auf dem Zeppelinfeld sowie dem „Deutschen Stadion“ für 400.000 Menschen sollte die dem römischen Kolosseum nachempfundene Halle zur „Weihestätte der Nation“ und zum „Weltwunder der Neuzeit“ werden. Das auf 16,5 Quadratkilometer verteilte Bauten-Ensemble sollte die politische Macht des NS-Regimes und dessen Überlegenheit demonstrieren.
Am 15. September wurden dann vor dem ebenfalls nach Nürnberg einberufenen Reichstag gleich drei Gesetze verkündet: das „Reichsflaggengesetz“, das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Durch ersteres wurde die Hakenkreuzfahne nun auch formal zur Reichs- und Nationalflagge erhoben und festgelegt, dass öffentliche Gebäude nur noch mit ihr beflaggt werden durften. Außerdem wurden die Feiertage (z.B. der „Führergeburtstag“) näher bestimmt, an denen die Hakenkreuzfahne künftig auch an Privatgebäuden zu hissen waren - eine Anordnung, die fortan genau überprüft und bei Verstößen geahndet werden sollte.
Durch das „Reichsbürgersetz“ wurde die Bevölkerung in „Staatsangehörige“ und „Reichsbürger“ mit vollen politischen Rechten aufgeteilt. Der Status von Letztgenannten wurde ausschließlich „Ariern“ zugestanden, wodurch alle deutschen Juden zu Bürgern zweiter Klasse degradiert wurden. Das zeitgleich verkündete „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ – auch als „Blutschutzgesetz“ bezeichnet – verbot Eheschließungen sowie jeglichen sexuellen Verkehr „zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“. Verstöße gegen die beiden nach ihrem Verkündungsort als „Nürnberger Gesetze“ bekanntgewordenen neuen Verordnungen wurden unnachgiebig mit Zuchthausstrafen geahndet. In der deutschen Bevölkerung wurde die verschärfte Rassengesetzgebung, die die bisherige Judendiskriminierung legalisierte und deren Ausweitung ermöglichte, überwiegend positiv aufgenommen.
Auf größeres Interesse in der breiten Öffentlichkeit stießen wohl eher andere Ereignisse, wie jenes, dass am 1. September in Berlin der aus zwölf LKWs bestehende „Olympiazug“ seine 10.000 km lange Werbefahrt durch 70 deutsche Städte startete. Sie war Teil einer großangelegten Propagandaaktion, die das olympische „Fieber“ auch in die deutsche Provinz tragen sollte. Parallel hierzu liefen im Reichsgebiet gleich sieben Olympiaausstellungen, die von Olympiawerbewochen begleitet wurden. Zugleich sollten die Aktionen aber auch außenpolitische Wirkung entfalten. So erklärte Hitler bei einer Besprechung über den Bau des neuen Olympiastadions: „Deutschland befindet sich außenpolitisch in einer der schwierigsten und ungünstigsten Lagen, es muss versuchen, durch große kulturelle Leistungen die Weltmeinung für sich zu gewinnen.“ Hierzu war er sogar bereit, entgegen seiner Überzeugung auch jüdische Sportler zu den Spielen zuzulassen.
Im September wurde auch die angebliche Freiwilligkeit von Spenden neu definiert, als am 23. für das Winterhilfswerk gesetzlich Mindestspendensätze festgelegt wurden. Deutsche Lohn- und Gehaltsempfänger mussten nunmehr 10 Prozent der Lohnsteuer als Spende abführen.
Dabei war zu diesem Zeitpunkt die gesamte Bevölkerung ohnehin von Einschränkungen betroffen. Nachdem nämlich bereits der vorhergehende Samstag von Versorgungsschwierigkeiten geprägt gewesen war, waren am 30. September im gesamten Reichsgebiet praktisch keine Butter, Margarine oder Schweineschmalz mehr zu erhalten – Ergebnis der NS-Handelspolitik, deren eindeutiger Schwerpunkt auf der Einfuhr von Rüstungsgütern lag.
In allen katholischen Kirchen im Reichsgebiet wurde am 1. September ein von der Fuldaer Bischofskonferenz am 20. August beschlossener Hirtenbrief verlesen, der einen Kampfaufruf gegen die Kirchenpolitik des Regimes darstellte. Hintergrund des Protests waren die propagandistisch groß aufgemachten Prozesse gegen katholische Priester und Ordensangehörige wegen angeblicher Devisenvergehen. Im Hirtenbrief wurde vor Feinden des christlichen Glaubens und der katholischen Kirche gewarnt und zugleich der Erhalt der Bekenntnisschulen sowie der katholischen Jugendverbände gefordert. Zugleich wurde der Alleinvertretungsanspruch des NS-Staates im öffentlichen Leben massiv kritisiert. Das alles beeindruckte diesen jedoch kaum: Im Regierungsbezirk Münster löste die Gestapo am 16. September die katholischen Arbeitervereine wegen angeblicher „staatsfeindlicher Betätigung“ auf.
Auch mit Blick auf die evangelische Kirche rumorte es. Am 24. September erließ die Reichsregierung das „Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche“, mit dessen Hilfe der neuernannte Kirchenminister Hanns Kerrl dort wieder aus NS-Sicht „geordnete Zustände“ herstellen und mittels rechtsverbindlicher Verordnungen sowohl eine einheitliche Leitung als auch eine stärkere Kontrolle der Kirche sichern sollte. Das alles zielte auf die Ausschaltung der 28 Landeskirchen hin, was jedoch misslang, so dass der Konflikt zwischen „Deutschen Christen“ und Bekennender Kirche seine Fortsetzung fand.