Juli 1935
Kirchenfragen blieben auch im Juli das dominierende Thema. Alfred Rosenberg, der unter anderem „für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ zuständig zeichnete und in dieser Frage besonders stark polarisierte, richtete am 6. Juli im Rahmen des Gautags der NSDAP Westfalen-Nord scharfe Angriffe gegen den Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, der versucht hatte, seinen Auftritt zu verhindern und dem von Rosenberg propagierten Neuheidentum entgegentrat. Am 16. Juli wies dann Hermann Göring als preußischer Ministerpräsident und Chef der Gestapo die preußischen Behörden an, strenger gegen oppositionelle Priester und ehemalige Zentrumspolitiker vorzugehen. Am gleichen Tag protestierte der Vatikan offiziell gegen die „Verletzung des Konkordats“ durch den zunehmenden Druck, den staatliche Stellen auf praktizierende Katholiken in Deutschland ausüben.
Ebenfalls am 16. Juli wurde Hans Kerrl, bis dahin Minister ohne Geschäftsbereich, von Hitler zum Minister für kirchliche Angelegenheiten berufen. Er sollte in dieser Funktion die bis dahin stark stockende Gleichschaltung der evangelischen Kirche vorantreiben. Mit dieser Maßnahme wurde Reichsbischof Müller faktisch entmachtet.
Im öffentlichen Leben wurde weiterhin jedes noch so nebensächliche unangepasste Verhalten unnachsichtig sanktioniert. So wurden am 13. Juli in Karlsruhe fünf Mitglieder eines Studentenkorps, die während einer Rundfunkrede Hitlers „auf einer Sektflasche blasend“ ein Lokal betreten hatten, in ein Konzentrationslager überführt.
Zuvor war am 5. Juli das Strafgesetzbuch im Deutschen Reich per Gesetz geändert und an die Wünsche des NS-Regimes angepasst worden. Nach den neuen Bestimmungen konnten künftig auch Angeklagte, auf die kein Paragraph des Strafgesetzbuches anwendbar war, verurteilt werden. Damit galt der Grundsatz „Was nicht erlaubt ist, ist verboten“. Zugleich fand das „gesunde Volksempfinden“ Eingang ins deutsche Strafgesetzbuch, in dessen Paragraph 2 es nun hieß: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach dem gesunden Volksempfinden Bestrafung verdient.“ Damit konnten Angeklagte völlig legal verurteilt werden, die gegen kein Gesetz, aber gegen das vom jeweiligen Richter definierte „gesunde Volksempfinden“ verstoßen hatten. Das erhöhte naturgemäß den Anpassungsdruck auf die deutsche Bevölkerung.
Das galt auch und insbesondere für Fragen und Verhaltensweisen, die die Umsetzung der NS-Rassenideologie tangierten. So reagierte das Reichsinnenministerium am 9. Juli mit einem Erlass gegen die angebliche „Sterilisationshetze“. Danach wurde fortan jede Kritik an dem Gesetz zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ unter empfindliche Strafen gestellt.
Tags zuvor hatte das Reichserziehungsministerium ebenfalls per Erlass alle Studenten vor Studienbeginn zum Nachweis ihrer „arischen Abstammung“ verpflichtet. Damit wurde die „Arier“-Klausel aus dem Parteiprogramm der NSDAP erstmals auf eine staatlich geleitete Organisation übertragen.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Die Monatsmitte war von schweren antisemitischen Ausschreitungen in Berlin geprägt, die ihren Höhepunkt zwischen dem 15. und 18. Juli erlebten und in den sogenannten „Kurfürstendamm Krawallen“ gipfelten. Nach einem Protest von jüdischer Seite gegen einen antisemitischen Film wurden jüdische Ladeninhaber und Passanten verprügelt und Schaufensterscheiben eingeworfen.
Am 16. (oder 26.) Juli erteilte Reichsinnenminister Frick Standesbeamte die Anweisung, künftig keine „Rassenmischehen“ mehr zu schließen. Das endgültige Verbot solcher „Mischehen“ erst dann im September des Jahres im Rahmen der „Nürnberger Gesetze“.
Nachdem es in dieser Hinsicht bereits zuvor lokale Initiativen gegeben hatte, erteilte der Reichs- und Preußische Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 25. Juli die Anweisung, dass jüdische Schülerinnen und Schüler aus den „schulischen Veranstaltungen und Unterrichtsstunden ... der Erziehung zu nationalsozialistischer Weltanschauung und Staatsgesinnung“ auszuschließen seien. Das hatte unter anderem zur Folge, dass „Nichtarier“ nicht mehr mit ihrer Schulklasse in Landschulheime geschickt werden durften. Stattdessen mussten sie während der Abwesenheit ihrer Klasse am Unterricht anderer Klasse teilzunehmen.
Ebenfalls am 25. Juli verbot der Dortmunder Oberbürgermeister Jüdinnen und Juden das Betreten der öffentlichen Badeanstalten, Sporthallen und vergleichbarer öffentlicher Einrichtungen. Am folgenden Tag wurde ihnen in Franken der Zutritt zu Jugendherbergen verwehrt.