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Chronik und Quellen
1933

Das Jahr 1933

Am 30. Januar 1933, dem später von den Nationalsozialisten sogenannten Tag der „Machtergreifung", wurde Adolf Hitler an die Spitze einer Koalitionsregierung aus Konservativen und NSDAP gerufen und als Reichskanzler vereidigt. Binnen weniger Monate beseitigte er sämtliche demokratischen Errungenschaften der vergangenen 14 Jahre der Weimarer Republik. Er setzte die Auflösung des Reichstags und Neuwahlen durch, und in den folgenden Wochen bis zur Wahl am 5. März 1933 wurden mittels der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes" sowie der „Reichstagsbrandverordnung" wichtige Grundrechte wie die Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt bzw. außer Kraft gesetzt. Zusätzlich unterstützt durch Terror und Verhaftungen wurden damit sämtliche konkurrierende Parteien eingeschüchtert oder - wie die KPD - ausgeschaltet, sodass die NSDAP bei den Märzwahlen mit 43,9 Prozent der Stimmen als stärkste Partei hervorging. Mit dem „Ermächtigungsgesetz" vom 23. März 1933 trat der Reichstag faktisch seine Gesetzgebungskompetenz an die Reichsregierung ab, womit der Weg Hitlers zur totalitären Diktatur besiegelt war.

In den folgenden Monaten wurden sämtliche konkurrierenden Parteien sowie die meisten Verbände und Organisationen des öffentlichen Lebens entweder verboten oder „gleichgeschaltet", das heißt in die NS-Organisationen überführt. Damit wurden alle wichtigen Bereiche von Staat, Wirtschaft, Kultur und des gesamten öffentlichen Lebens völlig auf die Ziele des NS-Regimes ausgerichtet und jeglicher Widerstand weitgehend ausgeschaltet. Wer sich trotzdem offen wiedersetzt, verlor Beruf und wirtschaftliche Lebensgrundlage, musste emigrieren oder wurde verhaftet, gequält und im schlimmsten Fall ermordet. Allein 1933 wurden im Reichsgebiet nach offiziellen Angaben 20.565 Personen wegen politischer Vergehen von Gerichten verurteilt; darunter 1.689 wegen Hochverrats und 3.133 auf der Grundlage der „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar.

 

Das stellte allerdings nur die eine Seite der neuen Realitäten in Deutschland dar. Die andere war geprägt durch einen hohen Grad an Anpassung, die sich bei vielen mehr und mehr zur Begeisterung steigerte, glaubte man durch Hitler doch die tiefgreifende Krise überwunden und den weiteren sozialen Abstieg gestoppt. Außerdem propagiert das neue Regime massiv und vielversprechend die neue „Volksgemeinschaft“, die Einheit der „Arbeiter der Stirn und der Faust“, wodurch es ihm auch gelang, zumindest in Teilen in zunächst resistent erscheinenden katholischen Milieus oder in der Arbeiterbevölkerung immer fester Fuß zu fassen. Von Beginn an wurde seitens des NS-Regimes aber auch in aller Klarheit demonstriert, wer nicht zur „Volksgemeinschaft“ zählt und als „Gemeinschaftsfremder“ auszugrenzen und entsprechend zu behandeln war: Juden, Sinti und Roma, Behinderte, „Asoziale“ und all jene anderen Menschen, die gemäß der rigorosen NS-Rassenideologie aus der Gemeinschaft auszuschließen waren.

Für das weitere Schicksal der katholischen Vereine und Verbände wurde der Abschluss des Reichskonkordats im Sommer 1933 zum zentralen Dreh- und Angelpunkt: Die Vereinbarungen zwischen Vatikan und deutscher Reichsregierung setzten für die verunsicherten katholischen Laienorganisationen ein deutlich erkennbares Signal zur Verständigung mit dem neuen Regime, wobei der „Vereinsschutzartikel“ 31 eine bereits zuvor vorhandene Tendenz zur Entpolitisierung und Verkirchlichung des Vereinskatholizismus verstärkte. Viele Katholiken sahen nunmehr im „total christlich-nationalen Staat“ ureigenste Anliegen verwirklicht.

Zur positiven Stimmung trug sicherlich das Abflauen der Wirtschaftskrise und der damit verbundene Rückgang der Arbeitslosenquote bei. Nachdem man im Reichsgebiet am 31. Januar 1933 noch 6.013.612 Arbeitslose gezählt hatte, sollten es Ende November des Jahres „nur“ noch 3.714.646 sein. Erreicht wurde ein erheblicher Teil dieses Rückgangs durch den konjunkturellen Aufschwung, während ein großer anderer Teil lediglich auf statistische Manipulationen zurückzuführen war: Seit dem 1. Juli wurden alle beim Arbeitsdienst beschäftigten Erwerbslosen nicht mehr als arbeitslos geführt. Außerdem „bereinigten“ umfangreiche Arbeitsbeschaffungsprogramme die Statistik, wobei diese mit erheblichem Kapitalaufwand durchgeführten öffentlichen Arbeiten das Ansehen des NS-Regimes erheblich förderten. Ergänzt wurde das durch massive Kampagnen gegen Schwarzarbeit und das „Doppelverdienertum“, also in erster Linie gegen berufstätige Frauen.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Kaum hatte das NS-Regime die Macht im Deutschen Reich übernommen, erhob es den Antisemitismus zu einem zentralen Bestandteil seines Regierungsprogramms. Hierin wurden antijüdische Vorurteile mit Furcht kombiniert und immer neue Ängste geschürt: jene der kleinen Ladenbesitzer vor den Warenhäusern, der Handwerker vor der Industrialisierung und der Bauern vor billigen Importen, Preisverfall und Überschuldung.

Ermutigt durch die neuen Machthaber und deren für den 1. April 1933 verfügten öffentlichen Boykott jüdischer Geschäfte priesen selbstständige Kaufleute und Unternehmer ihre Firmen nun plötzlich als „rein deutsch“ und profitierten massiv und in aller Regel gern vom politisch gewollten Niedergang ihrer jüdischen Konkurrenten. Das galt besonders für den Bereich der kleinen selbstständigen Kaufleute. Die meisten Mittel-, Klein- und Kleinstbetriebe erlitten infolge massiver von NS-Seite initiierter Boykottmaßnahmen schwere Umsatzeinbußen. Sie mussten Personal entlassen, und viele gingen in im Laufe der Zeit in den Bankrott.

Im Zuge der damit langsam einsetzenden „Arisierung“ übernahm die „arische“ Konkurrenz nicht nur die öffentliche Aufträge der jüdischen Unternehmen und gewann deren Kunden für sich, sondern sie ging schrittweise dazu über, die Warenlager der in die Pleite getriebenen Konkurrenten für einen Spottpreis zu ersteigern. Bis zur Übernahme von deren gesamten Besitz in den folgenden Jahren war es dann nur noch ein logischer Schritt.[1]

Während sich die wirtschaftliche Lage für die Mehrheit der Deutschen seit 1933 stabilisierte und bald verbesserte, erlebte der jüdische Teil der Gesellschaft den Beginn eines dramatischen sozialen Abstieg und geriet schnell und häufig in oft akute Geldnot. Schon im ersten Jahr des NS-Regimes wurden – oft auf der Grundlage zweifelhafter Gesetze - Zehntausende Juden entlassen oder mussten zumindest erhebliche Einkommensverluste hinnehmen. Daneben litten Jüdinnen und Juden unter ihrer massiven Verdrängung aus den meisten Berufen, dem Kulturbereich und generell aus dem öffentlich-gesellschaftlichen Leben.

Aus der deutschen „Mehrheitsgesellschaft“ erfuhren sie dabei nur wenig Anteilnahme oder gar Unterstützung. Greifbar wurde die fehlende Solidarität in einem Schreiben, mit dem der Münchener Kardinal Michael von Faulhaber im April 1933 den Brief eines wegen der massiven Hetze gegen die jüdische Bevölkerung zutiefst besorgten Katholiken beantwortete. „Dieses Vorgehen gegen die Juden“, so schrieb er, sei „derart unchristlich, daß jeder Christ, nicht bloß jeder Priester, dagegen auftreten müsste.“ Dem folgte aber umgehend die entscheidende Relativierung: Die kirchlichen Oberbehörden, so teilte der Kardinal mit, würden sich jedoch mit „weit wichtigeren Gegenwartsfragen“ konfrontiert sehen, denn die Themen Schule, Weiterbestand der katholischen Vereine oder Sterilisierung seien „für das Christentum in unserer Heimat“ weitaus bedeutender. Das gelte umso mehr, als „man annehmen darf und zum Teil schon erlebte, daß die Juden sich selber helfen können, daß wir also keinen Grund haben, der Regierung einen Grund zu geben, um die Judenhetze in eine Jesuitenhetze umzubiegen“.[2] – Deutlicher konnte eine Absage an jede Form aktiver Unterstützung kaum ausfallen.

Fußnoten

[1] Vgl. Verfolgung und Ermordung, Bd. 1, S. 31f.

[2] Zitiert nach Verfolgung und Ermordung, Bd. 1, S. 35

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