Dezember 1941
Die Lage an der Ostfront spitzte sich im Verlauf des Monats dramatisch zu. Nachdem der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Generalfeldmarschall Fedor von Bock, dem Oberkommando des Heeres zum Monatsauftakt gemeldet hatte, dass seine Truppen nahezu erschöpft seien, drangen Wehrmachtsverbände am 2. Dezember dennoch in die Vororte von Moskau ein, wo sie dann aber von starken Verteidigungskräften am weiteren Vordringen gehindert wurden. Drei Tage später eröffnete die Rote Armee eine Offensive gegen die deutschen Truppen, die daraufhin am 14. Dezember die Stadt Kalinin aufgeben und sich nach Westen zurückziehen mussten.
Hitler wollte das nicht wahrhaben. Nachdem er noch am 8. Dezember den Rückzug der Wehrmacht in kräftesparende Stellungen angeordnet hatte, revidierte er diesen Befehl und forderte die Truppen am 16. Dezember zu „fanatischem Widerstand“ auf, wobei er zugleich jedes Zurückweichen im Raum um Moskau untersagte. Da viele führende Wehrmachtsoffiziere die Situation anders einschätzten, wurden sie kurzerhand entlassen. Generalfeldmarschall von Bock etwa wurde am 18. Dezember abgelöst, Generalfeldmarschall Walter von Brauchitsch, Oberbefehlshaber des Heeres, einen Tag später, woraufhin Hitler kurzerhand selbst den Oberbefehl übernahm. In dieser Funktion befahl er am 28. Dezember die Verteidigung der deutschen Stellungen bis zum Letzten. Die entkräfteten und zermürbten deutschen Verbände, die eine Frontlinie von weit über 1.000 km Länge verteidigen sollten, mussten jedoch schrittweise zurückweichen und immer mehr Terrain preisgeben.
Die Bevölkerung an der „Heimatfront wurde über diese Entwicklungen jedoch weitgehend im Dunkeln gelassen. Stattdessen berichteten deutsche Zeitungen ausführlich über die Lage im Pazifik. Und die wenigen Berichte über die Ostfront sprachen verharmlosend von „strategischen Maßnahmen“ und versuchten, die bedrohliche Situation zu beschönigen.
Auch auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz sah es kritisch aus. Befehlshaber Erwin Rommel ließ am 7. Dezember den Kampf um die Stadt Tobruk abbrechen und ordnete wegen ausbleibenden Nachschubs den Rückzug nach Westen an. Am 23. Dezember musste das Deutsche Afrika-Korps dann die Stadt Bengasi räumen, die drei Tage später von britischen Streitkräften besetzt wurde.
Als ob all diese Probleme noch nicht ausreichen würden, erklärte Adolf Hitler, nachdem er bis dahin bestrebt gewesen war, ihnen keinen Vorwand zum Kriegseintritt zu bieten, am 11. Dezember vor dem deutschen Reichstag den Vereinigten Staaten den Krieg. Damit wurde der Krieg endgültig zum Weltkrieg.
Im Alltag sah sich die Bevölkerung hingegen weiterhin mit Engpässen und Problemen konfrontiert. So wurden in der Zeit vom 6. bis zum 24. Dezember Feldpostbriefe nur noch bis 50 g Gewicht, Feldpostpäckchen gar nicht mehr transportiert, weil Reichspost und Reichsbahn mit Transportproblemen zu kämpfen hatten. Für die Betroffenen bedeutete das gerade vor Weihnachten einen schmerzhaften Einschnitt, stellte die Feldpost doch den einzigen Kontakt zwischen Front und Heimat dar.
Noch dringender benötigten die Soldaten in Russland aber wintertaugliche Kleidung. Am 20. Dezember riefen daher Hitler und Goebbels die deutsche Bevölkerung als „Weihnachtsgeschenk des deutschen Volkes“ zur Spende von warmer Winterkleidung für die Ostfront auf. „So lange sich noch ein einziger brauchbarer Gegenstand der Winterausrüstung in der Heimat befindet, muss er an die Front.“ Kaum war Weihnachten vorbei, erging am 26. ein erneuter Aufruf zur Abgabe von Skiern, was insbesondere jene Kinder und Jugendliche wenig erfreut haben dürfte, die eine solche Ausrüstung gerade erst als Weihnachtsgeschenk bekommen hatte. Um dem Aufruf Nachdruck zu verleihen, wurde ab dem 30. Dezember zudem der Transport von Skiern in Eisenbahnen, Automobilen und Straßenbahnen verboten.
Als sich Reichspropagandaminister Joseph Goebbels an Heiligabend über den Rundfunk an die Bevölkerung wandte, blieb ihm angesichts der für jeden sicht- und fühlbaren Engpässe kaum anderes übrig als einzuräumen, dass „karge“ Weihnachtstage bevorstehen würden. „Der Krieg ist für unser Volk die hohe Schule der Heimatliebe geworden“, fuhr er fort und erinnerte daran, dass man jenen danken müsse, die die bedrohte Heimat an den Fronten verteidigen würden. Der Sieg werde nicht geschenkt, „wir können ihn uns nur verdienen“. Deutschlands Zukunft malte Goebbels in hellsten Farben: „Es soll größer, schöner und erhabener aus diesem Krieg hervorgehen.“
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Am 3. Dezember wurde durch einen Erlass des Reichssicherheitshauptamtes auch formal festgelegt, dass die jüdische Bevölkerung selbst für ihre Deportation aufzukommen habe. Jede Jüdin und jeder Jude, der künftig „zur Abschiebung bestimmt“ würde, musste mindestens 25Prozent seines liquiden Vermögens an die Reichsvereinigung abführen, die diese Beträge auf mit „W“ wie „Wanderung“ gekennzeichneten Sonderkonten deponieren und zur Finanzierung der durch die Deportationen entstehenden Kosten aufwenden musste.
Am 12. Dezember wurde der jüdischen Bevölkerung eine der letzten ihr verbliebenen Möglichkeiten der Kommunikation untersagt. In einem weiteren Erlass bestimmte das Reichssicherheitshauptamt, dass allen Angehörigen der jüdischen Bevölkerung, die den „Judenstern“ tragen müssten, die Benutzung sämtlicher öffentlicher Fernsprechstellen verboten sei. Nur in jenen Fällen, „in denen ein Mitarbeiter der Reichsvereinigung, ihrer Bezirksstellen oder der Jüdischen Kultusvereinigungen aus dienstlichen Gründen öffentliche Fernsprechstellen benutzen“ müsse, könne die zuständige Gestapostelle eine entsprechende Genehmigung erteilen.
An den Zielorten der ersten Deportationen aus dem Reichsgebiet waren die NS-Verantwortlichen weiterhin bemüht, Platz für die Ankommenden zu schaffen. Hierzu wurden Anfang Dezember in dem 70 Kilometer nordwestlich von Litzmannstadt gelegenen Vernichtungslager Kulmhof zunächst zwei, später drei Gaswagen bereitgestellt.
Die mit den ersten Zügen aus dem Westen in Riga eintreffenden Jüdinnen und Juden wurden zunächst auf dem Gut Jungfernhof am Stadtrand unter primitiven Bedingungen untergebracht. Bis zum 15. Dezember, dem Beginn einer vorübergehenden Transportsperre, trafen noch neun weitere Züge in der lettischen Hauptstadt ein.
Bis heute ist umstritten, wann genau die Entscheidung zur Ermordung der europäischen Juden gefällt wurde. Vieles spricht aber dafür, dass dies in den letzten Wochen des Jahres 1941 geschah und damit bevor am 20. Januar 1942 im Zuge der Wannsee-Konferenz die genaue Abfolge der Deportationen koordiniert wurde. Die bis dahin bereits begangenen Verbrechen hatten letzte etwaige Skrupel beseitigt die Hemmschwelle zum Massenmord deutlich gesenkt.