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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Die Sopade berichtet

In der November-Ausgabe 1938 heißt es im „Teil B“ der „Deutschland-Berichte“ der Sopade:

Die Entrechtung der Juden in Deutschland (abgeschlossen am 2. Dezember 1938)

Geschichtliche Einleitung

Juden waren in Deutschland schon in der Römerzeit ansässig. In Köln lassen sie sich urkundlich schon im Jahre 321 n. Chr., in Mainz im 9. Jahrhundert, in Worms, Magdeburg, Merseburg und Regensburg im 10., in Trier und Speyer seit dem 11. Jahrhundert nachweisen. Nachdem die französische Nationalversammlung auf Antrag Mirabeaus am 28. September 1791 die Gleichberechtigung der Juden ausgesprochen hatte, wurde sie ihnen in den Rheinlanden, in Baden und Hessen i. J. 1808, in Preußen durch ein Edikt vom 11. März 1812 zuteil. Im Norddeutschen Bund wurden die Juden durch Gesetz vom 3. Juli 1869 für gleichberechtigt erklärt. Dieses Gesetz wurde i. J. 1871 Reichsgesetz.

Allerdings stand die Rechtsgleichheit der Juden in der Vorkriegszeit z. T. auf dem Papier. In die Beamtenschaft und ins Heer wurden fast in allen deutschen Ländern nur getaufte Juden aufgenommen. Indes putzten in der Regierungszeit Wilhelms II., in der die alte preußische Sparsamkeit durch Prunkliebe verdrängt wurde, viele hochadelige Offiziere ihre abgenutzten Wappenschilder mit dem Golde ihrer jüdischen Gattinnen auf. Die letzten Zurücksetzungen der Juden im öffentlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Leben fielen erst in der Weimarer Republik.

Antisemitische Strömungen hat es in Deutschland schon vor dem Weltkrieg gegeben. Am bekanntesten waren die von dem Berliner Hofprediger Stöcker gegründete christlich-soziale Partei, sodann die allgemeine deutsche antisemitische Vereinigung, die im Jahre 1890 in Hessen fünf Reichstagswahlsitze und als deutsche Reformpartei bei den Wahlen von 1893 in Sachsen und Hessen sogar 11 Reichstagssitze gewann; schließlich die deutschsoziale antisemitische Partei, die in ihrem Bochumer Programm verlangte, daß die Juden unter Fremdenrecht gestellt wurden. Der Rassengedanke wurde gegen die deutschen Juden zum erstenmal von dem antisemitischen Berliner Rektor Ahlwardt, der 1892 und 1893 auch in den Reichstag gewählt wurde, ins Feld geführt. Die Bedeutungslosigkeit dieser antisemitischen Gruppen geht aber daraus hervor, daß sich im Reichstag von 1911 unter 397 Abgeordneten nur noch 3 Antisemiten befanden.

In der Nachkriegszeit erlangte der Antisemitismus in Deutschland politische Bedeutung erst durch die nationalsozialistische Partei. Hitler war in die Schule des österreichischen Radauantisemitismus des Alldeutschen Schönerer und des christlich-sozialen Wiener Bürgermeisters Lueger gegangen. Ihm gelang die Giftmischerei aus Nationalismus, Antisemitismus und Antibolschewismus, die in dem von Krieg, Revolution, Inflation und Weltwirtschaftskrise erschütterten deutschen Volke furchtbare Wirkung tat. Bolschewismus bezeichnet Hitler als Streben des jüdischen Volkes (!) nach der Weltherrschaft („Mein Kampf“, 13. Auflage, Seite 751). Das berüchtigte „Protokoll der Weisen von Zion“ ist für ihn unumstößliche Wahrheit (a. a. O. S. 337). Der ganze Marxismus erscheint ihm als jüdische Erfindung. Die Gleichsetzung von Bolschewismus und Judentum diente ihm dazu, die Empörung des deutschen Bürgertums über die Ausschreitungen der Diktatur des Proletariats in Rußland und über die kommunistischen Aufstände in Deutschland auf das Judentum zu übertragen. Ebenso machte er für den Verlust des Weltkriegs und den angeblichen Dolchstoß von 1918 die Juden als die angeblichen Führer des Marxismus und Verführer des deutschen Arbeiters verantwortlich. In seiner Rassenlehre, die er als den Schlüsselpunkt der Weltgeschichte bezeichnete, stellte er den lichten Idealgestalten der blonden nordischen Rasse die angeblich körperlich mißgestalteten, blutsaugerischen, materialistisch eingestellten und nur mit den teuflischen Kräften der Zerstörung begabten „jüdischen Schmarotzer“ gegenüber. Daneben wurde der Sexualneid kräftig gepflegt: „Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose deutsche Mädchen, das er mit seinem Blute schändete und damit seinem, des Mädchen Volke, raubt“ (a. a. O. S. 357). „Planmäßig schänden diese schwarzen Völkerparasiten unsere unerfahrenen jungen blonden Mädchen und zerstören dadurch etwas, was auf dieser Welt nicht mehr ersetzt werden kann“ (a. a. O. S. 630). Mit ungeschminkten Schilderungen der angeblichen jüdischen Sexualgier hat Hitler in den ersten Jahren seiner öffentlichen Tätigkeit die Versammlungssäle gefüllt. Nur Streicher hat ihn später mit seinem „Stürmer“ übertroffen.

Das nationalsozialistische Programm nahm gegen die Juden die Forderungen der Antisemiten aus den neunziger Jahren auf: Aberkennung der Staatsbürgerschaft und Stellung unter Fremdenrecht, Verdrängung aus allen öffentlichen Ämtern, Ausweisung aus dem Reich, „wenn es nicht möglich ist, die gesamte Bevölkerung zu ernähren“, insbesondere Ausweisung der seit 2. August 1914 eingewanderten Ostjuden, Entfernung jüdischer Schriftleiter und Mitarbeiter von deutschen Zeitungen, Bekämpfung des „jüdisch-materialistischen Geistes“. Dieses Programm der „Ausscheidung der Juden aus dem deutschen Volkskörper“ wurde von den Nationalsozialisten nach der Machtergreifung sofort in Angriff genommen. Es ist gegenwärtig beinahe völlig durchgeführt. Die Juden sind aus den Rechten, die schon im alten Rom des 5. Jahrhunderts v. Chr. sogar den mit ihnen zusammenlebenden Fremden eingeräumt wurden, nämlich der Gestattung der Ehegemeinschaft mit den anderen Staatsbürgern (conubium) und der Gleichstellung in vermögensrechtlicher Hinsicht mit ihnen (commercium) verdrängt.

Die Maßnahmen Hitlers gegen die deutschen Juden sind in drei Zeitabschnitten getroffen worden. Im Frühjahr 1933 wurden die Juden mit unwesentlichen Ausnahmen aus den öffentlichen Ämtern und freien Berufen entfernt. Im Herbst 1935 wurden ihnen die politischen Rechte entzogen und Ehe und Geschlechtsverkehr mit „Ariern“ verboten. Im Sommer und Herbst 1938 wurde das Werk von 1933 vollendet und sodann das Judentum auch aus dem Wirtschaftsleben ausgeschaltet. Damit ist nach nationalsozialistischen Verlautbarungen („Schwarzes Korps“ vom 23. November 1938) die physische Vernichtung der deutschen Juden eingeleitet.

 

Die Verdrängung aus den öffentlichen Ämtern

Durch das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 hatte die Reichsregierung Hitler die Möglichkeit erlangt, unter Ausschaltung der Parlamente sogenannte Regierungsgesetze zu erlassen, die auch der Unterschrift des Reichspräsidenten nicht bedurften und, was das Wichtigste war, von den Grundsätzen der Weimarer Verfassung abweichen konnten. Auf diese Weise war es möglich, auch die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz zu beseitigen und ein Ausnahmegesetz nach dem anderen gegen die Juden zu erlassen. Der Anfang wurde mit dem fälschlich sogenannten „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 gemacht. Es bestimmt in seinem § 3, daß Beamte nichtarischer Abstammung, soweit sie mindestens eine zehnjährige Dienstzeit aufzuweisen hatten, in den Ruhestand zu versetzen, alle übrigen zu entlassen seien. Auch nichtarische Ehrenbeamte mußten abgesetzt werden. Das Gesetz galt für alle unmittelbaren und mittelbaren Beamten des Reichs, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, der Körperschaften des öffentlichen Rechts, sowie der diesen gleichgestellten Einrichtungen, Stiftungen und Unternehmungen, für die Bediensteten der Träger der Sozialversicherung und für Beamte im einstweiligen Ruhestand, auch für Notare und Hochschullehrer. Mit der Durchführungsverordnung vom 4. Mai 1933 wurden die gleichen Bestimmungen für die auf privatrechtlichen Dienstvertrag angestellten Personen im öffentlichen Dienst erlassen. Reichsbank und Reichseisenbahngesellschaft wurden ermächtigt, entsprechende Anordnungen zu treffen.

Nach der Durchführungsverordnung vom 11. April 1933 hatte als nichtarisch zu gelten, wer von nichtarischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammte. Es genügte, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil nichtarisch war. Das letztere war besonders dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil der jüdischen Religion angehörten. In Zweifelsfällen war ein Gutachten des beim Reichsministerium des Innern bestellten Sachverständigen für Rasseforschung einzuholen. Als Abstammung im Sinne des § 3 des Gesetzes galt 5 nach der 3. Durchführungsverordnung vom 6. Mai 1933 auch außereheliche Abstammung, nicht dagegen eine Annahme an Kindesstatt.

Das Gesetz vom 7. April 1933 sah drei Ausnahmen von der allgemeinen Beseitigung jüdischer Beamter vor. Nicht abgesetzt wurden jüdische Beamte, die

1. am 1. August 1914 bereits planmäßige Beamten gewesen und seitdem ununterbrochen Beamte geblieben waren oder die am 1. August 1914 wenigstens sämtliche Voraussetzungen für die Erlangung der ersten planmäßigen Anstellung erfüllt und sich während ihrer Tätigkeit als Beamte in hervorragendem Maße bewährt hatten, oder

2. im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft hatten, oder deren Väter und Söhne im Weltkriege gefallen waren, oder

3. für die als Auslandsvertreter des Deutschen Reiches vorerst keine Ersatzmänner arischer Abstammung zur Verfügung standen.

Das Gesetz bezog sich auch nicht auf jüdische Lehrer, die an öffentlichen Schulen angestellt waren oder an anderen öffentlichen Schulen auf Grund gesetzlicher Bestimmungen jüdischen Religionsunterricht erteilten.

Dagegen mußten nach einem Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften vom 30. Juli 1933 auch alle Beamten arischer Abstammung, die mit einer Person nichtarischer Abstammung die Ehe eingingen, entlassen werden. Wer nichtarisch oder mit einer Person nichtarischer Abstammung verheiratet war, durfte nach dem gleichen Gesetz nicht mehr als Beamter berufen werden. Alle Beamten, die nicht bereits am 1. August 1914 Beamte waren, hatten ihre arische Abstammung, Beamte, die heiraten wollten, auch die arische Abstammung des künftigen Ehegatten nachzuweisen.

Die in den Gesetzen von 1933 zugunsten jüdischer Frontkämpfer usw. gemachten Ausnahmen fielen schon zweieinhalb Jahre später weg. Nach der Ersten V.O. zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 konnten Juden kein öffentliches Amt mehr bekleiden. Alle noch im Dienst befindlichen jüdischen Beamten wurden mit Wirkung zum 31. Dezember 1935 in den Ruhestand versetzt. Jüdischen Frontkämpfern wurden dabei bis zur Erreichung der Altersgrenze die vollen zuletzt bezogenen ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge als Ruhegehalt gewährt, wobei jedoch künftig der Aufstieg in Dienstaltersstufen unterblieb. Nach Erreich der Altersgrenze sollte das Ruhegehalt nach den letzten ruhegehaltsfähigen Dienstbezügen neu berechnet werden. Als Jude im Sinne dieser Verordnung galt, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammte, ferner, wer zwar von nur zwei jüdischen Großeltern abstammte, aber beim Erlaß des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte oder mit einem Juden verheiratet war. Als Beamte galten auch die Honorarprofessoren, die nichtbeamteten außerordentlichen Professoren und die Privatdozenten an wissenschaftlichen Hochschulen, die Angehörigen der Wehrmacht, die leitenden Ärzte an öffentlichen Krankenanstalten und an freien gemeinnützigen Anstalten, die Vertrauensärzte und neben den Beamten auch alle zur Erfüllung obrigkeitlicher oder hoheitlicher Aufgaben bestellten Personen. Reichsbank und Reichseisenbahn hatten wieder entsprechende Bestimmungen zu erlassen. Nur jüdische Krankenhäuser wurden von dieser Regelung nicht berührt. Mit den beiden ersten Durchführungsverordnungen zum Reichsbürgergesetz war die völlige Verdrängung der Juden aus allen öffentlichen Ämtern abgeschlossen.

 

Die „Säuberung“ der akademischen Berufe

In der Begründung zum Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933 hob die Reichsregierung hervor, daß der Anteil von Personen nichtarischer Abstammung an den höheren Berufen in Deutschland weitaus größer sei, als ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspreche, während die Zahl der Juden, die vom Ertrag der Arbeit ihrer Hände lebten, unverhältnismäßig klein sei. Durch den wirtschaftlichen und geistigen Einfluß, den die Fremdstämmigen dadurch im deutschen Leben hätten, werde die einheitliche Gesinnung und die geschlossene nationale Kraft des deutschen Volkes geschwächt. Ein Volk von Selbstachtung könne seine höhere Tätigkeit in so weitem Maße nicht durch Fremd-7 stämmige wahrnehmen lassen. Die Zulassung eines im Verhältnis zu großen Anteils Fremdstämmiger an den hohen Berufen würde als Anerkennung der geistigen Überlegenheit anderer Rassen gedeutet werden können, die mit Entschiedenheit abzulehnen ist. Bei der Knappheit des deutschen Lebensraums für gehobene Berufsarbeit hätten die eigenen Volksgenossen ein natürliches Anrecht auf Vorrang und Bevorzugung.

Diese Begründung ist sehr aufschlußreich. Sie erklärt, wie der Feudalismus des Mittelalters, gegenüber dem Rechte der Leistung ein Vorrecht der Geburt. Sie wendet sich an Neid- und Minderwertigkeitsgefühle und deutet naiv den wichtigsten der Gründe für die Entfernung der Juden aus dem deutschen Kultur- und Geistesleben an: Die Absicht, durch Verdrängung der bisherigen Inhaber einträgliche Posten für die nationalsozialistische akademische Jugend freizumachen. An die Reihe kamen tatsächlich die akademischen Berufe zuerst. Hier wie überall ging die gewaltsame Austreibung aus den Gerichtshöfen usw. der gesetzlichen Regelung voraus.

Das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 sah im § 1 die Möglichkeit für die Landesjustizverwaltung vor, die Zulassung von Rechtsanwälten nichtarischer Abstammung bis zum 30. September 1933 zurückzunehmen. Ebenso konnte künftig die Zulassung lediglich wegen nichtarischer Abstammung versagt werden. Das Gesetz betr. die Zulassung zur Patentanwaltschaft vom 28. 9. 1933 ermöglichte die Löschung nichtarischer Patentanwälte in der beim Reichspatentamt geführten Liste und die Versagung der Eintragung von nichtarischen Antragstellern. Die V.O. über die Zulassung von Ärzten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen vom 22. April 1933 erklärte die Tätigkeit von Kassenärzten nichtarischer Abstammung für beendet und die Neuzulassung solcher Ärzte bei den Krankenkassen für unstatthaft. In Zweifelsfällen über arische Abstammung waren Gutachten des Vorstandes des Verbandes der Ärzte Deutschlands einzuholen. Eine V.O. vom 2. Juni 1933 erklärte die Tätigkeit von Zahnärzten und Zahntechnikern nichtarischer Abstammung auf Kosten von Krankenkassen für beendet und schloß solche Personen auch künftig von dieser Tätigkeit aus. Ein preußisches Gesetz vom 12. Juni 1933 ordnete die Streichung von nichtarischen Verwaltungsräten aus der beim Oberverwaltungsgericht geführten Liste an. Durch ein Reichsgesetz vom 6. Mai 1933 wurde Nichtariern auch die Tätigkeit als Steuerberater untersagt.

Die Bestallung als Tierarzt wurde Nichtariern oder mit Personen nichtarischer Abstammung verheirateten Ariern durch § 3 der Reichstierärzteordnung vom 3. April 1936 versagt. Nach einer V.O. vom 26. März 1936 wurden Juden auch als Pächter von Apotheken nicht mehr zugelassen, öffentliche Apotheken, deren Inhaber Juden waren, mußten verpachtet werden. Durch V.O. vom 11.1. 1936 wurde Juden die Erlaubnis zur „Hilfeleistung in Steuersachen“ versagt. Gemäß V.O. vom 7. Juli 1936 sind Juden von der Zulassung zur Fachprüfung der Wirtschaftsprüfer ausgeschlossen. Ebenso wird Juden laut V.O. vom 29. Juni 1936 die erforderliche Erlaubnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Devisensachen nicht mehr erteilt. Die Erbhofverfahrensordnung vom 21. 12. 1936 schloß Juden auch von der Ernennung zu Vorsitzenden eines Anerbengerichts, zu Vorsitzenden oder richterlichen Mitgliedern eines Erbhofgerichts oder zu beamteten Mitgliedern des Reichserbhofsgerichts aus.

Der Zugang von Nichtariern zum Hochschulstudium wurde durch das Gesetz gegen die Uberfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933 eingeschränkt. Die Zahl der Nichtarier unter der Gesamtheit der Besucher jeder Schule und jeder Fakultät durfte künftig den Anteil der Nichtarier an der reichsdeutschen Bevölkerung nicht mehr übersteigen. Bei der durch das Gesetz vorgeschriebenen Herabsetzung der Besucherzahl in jenen Schularten und Fakultäten, die in einem besonders starken Mißverhältnis zum Bedarf der Berufe stand, mußte ebenfalls ein angemessenes Verhältnis zwischen der Gesamtheit der Besucher und der Zahl der Nichtarier hergestellt werden. Das Gesetz fand auf öffentliche und private Schulen gleichmäßige Anwendung. Die Anteilszahl der Nichtarier für Neuaufnahmen wurde auf 1,5%, die Verhältniszahl für die Herabsetzung der Zahl von Schülern und Studenten auf 5% im Höchstfall festgesetzt. Die Regelung entsprach ungefähr jener, die im zaristischen Rußland für jüdische Hochschulstudenten bestand. Auf Reichsdeutsche nichtarischer Abstammung, deren Väter im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft hatten, sowie auf Abkömmlinge aus Ehen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen waren, fanden sie keine Anwendung, wenn nur ein Elternteil oder zwei Großelternteile arischer Abstammung waren.

Die bei den akademischen freien Berufen zugelassenen Ausnahmen für Frontkämpfer usw. fielen im Herbst 1938 fort. Durch die fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27. 9. 1938 wurde Juden der Beruf des Rechtsanwalts überhaupt verschlossen. Im alten Reichsgebiet mußten die Zulassungen sämtlicher noch vorhandener jüdischer Rechtsanwälte bis 30. November 1938 zurückgenommen werden. Im Lande Österreich wurde die Frist bis zum 31. Dezember 1938 erstreckt. Nur in Wien kann für jüdische Frontkämpfer, deren Familien mindestens seit 50 Jahren in Österreich ansässig sind, vorläufig von der Löschung in der Rechtsanwaltsliste abgesehen werden. Juden werden in die in Österreich geführte Liste der Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger nicht mehr eingetragen, eingetragene Juden sind bis zum 31. Dezember 1938 zu streichen.

Zur rechtlichen Vertretung und Beratung ausschließlich von Juden, jüdischen Gewerbetreibenden und Unternehmungen läßt die Justizverwaltung, soweit ein Bedürfnis besteht, widerruflich sogenannte jüdische Konsulenten zu. Diesen wird ein bestimmter Ort für ihre berufliche Niederlassung zugewiesen.

Sie haben nach den Sätzen der Rechtsanwaltsordnung von ihren Auftraggebern im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung einer vom Reichsjustizministerium zu bestimmenden Ausgleichsstelle, Gebühren zu erheben. Davon erhalten sie einen Anteil, aus dem Rest kann jüdischen Rechtsanwälten, soweit sie Frontkämpfer sind, bei Bedürftigkeit und Würdigkeit (!!) ein jederzeit widerruflicher Unterhaltszuschuß gewährt werden. Nach Maßgabe der eingehenden Beträge können unter den gleichen Voraussetzungen auch anderen Juden, soweit sie seit 1. August 1914 in der Rechtsanwaltsliste eingetragen waren, Unterhaltszuschüsse dieser Art bewilligt werden.

Eine ähnliche Regelung wurde durch die vierte Verordnung b io zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli 1938 mit V.O. vom 6. Oktober 1938 für die noch verbliebenen jüdischen Ärzte getroffen. Die Bestallungen (Approbationen) jüdischer Ärzte erloschen darnach ausnahmslos am 30. September 1938. Zur ausschließlichen Behandlung von Juden konnte jedoch jüdischen Ärzten auf Vorschlag der Ärztekammer allenfalls die Ausübung des ärztlichen Berufs unter Auflagen und widerruflich neu gestattet werden. Neuapprobationen von Juden dagegen sind nicht mehr zulässig. Bedürftigen und würdigen jüdischen Ärzten kann, wenn sie Frontkämpfer waren, von der Reichsärztekammer ein jederzeit widerruflicher Unterhaltszuschuß gewährt werden. Mit der Approbation erlosch auch die Eintragung jüdischer Ärzte im Arztregister der Krankenkassen und ihre Zulassung bei solchen. Juden, denen die Ausübung des ärztlichen Berufs ausschließlich zur Behandlung von Juden neu gestattet ist, können an der kassenärztlichen Versorgung jüdischer Versicherter und deren jüdischer Familienangehörigen mit jederzeit widerruflicher Genehmigung der kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands beteiligt werden.

Mit V.O. vom 28. September 1938 wurde Juden auch die allgemeine berufsmäßige Ausübung der Krankenpflege verboten. Ebenso wird nichtarischen oder nichtarisch verheirateten Leitern von Krankenpflegeschulen die erforderliche staatliche Anerkennung versagt. Juden dürfen die Krankenpflege nur mehr an Juden oder in jüdischen Anstalten berufsmäßig ausüben. Die Ausbildung jüdischer Krankenschwestern und jüdischer Krankenpfleger darf nur an jüdischen Krankenpflegeschulen erfolgen. In diesen dürfen nichtjüdische Personen nicht ausgebildet werden.

 

Kultur„erneuerung“

Ihre wütendsten Angriffe hatten die Nationalsozialisten vor der Machtergreifung gegen die angeblich zersetzende Tätigkeit der Juden im deutschen Kulturleben gerichtet. Indes ging auf diesem Gebiet die „Säuberung“, dem Wesen des Propagandaministers Dr. Goebbels entsprechend, in der Hauptsache nicht auf Grund klarer gesetzlicher Vorschriften, sondern hinterhältig vor sich. Die Handhabe zur Ausschaltung der Juden aus dem Kulturleben bot das Gesetz über die Reichskulturkammer vom 22. September 1933, das die Übermittlung jeder Schöpfung oder Leistung der Kunst an die Öffentlichkeit, und jeder anderen geistigen Schöpfung oder Leistung an die Öffentlichkeit durch Druck, Film oder Funk, also jede künstlerische oder geistige Tätigkeit von der Zugehörigkeit zu einer Berufsorganisation abhängig macht. Die Aufnahme in die einschlägige Berufsorganisation kann aber abgelehnt und ein Mitglied kann ausgeschlossen werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, daß die in Frage kommende Person die für die Ausübung ihrer Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit oder Eignung nicht besitzt. Nach einer Weisung des Propagandaministers Dr. Goebbels vom 7. Februar 1934 an die Fachkammern sind Juden grundsätzlich für ungeeignet zu befinden. Aus der Reichsschrifttumskammer wurden die letzten Juden im Laufe des Jahres 1935 ausgeschlossen.

Das Theatergesetz vom 15. Mai 1934 führte für die künstlerischen Leiter der Theater, wie Bühnenleiter, Intendanten, Theaterdirektoren, erste Kapellmeister und Oberspielleiter das Erfordernis der Bestätigung durch den Reichspropagandaminister ein. Bei Theater und Film wurden schon seit 1933 durch den Bühnennachweis nur mehr Kräfte „arischer“ Abstammung vermittelt, nichtarische wurden überall entlassen. Spielverbote wurden auch gegen die nichtarisch verheirateten Künstler erlassen. In die Filmkammer wurde ebenfalls kein Nichtarier mehr als Mitglied aufgenommen. Filme, bei denen nicht alle bei der Herstellung beschäftigten Personen Mitglieder der Filmkammer, also Arier waren, durften nicht mehr aufgeführt werden.

Auch im Musikleben wurden alle nichtarischen Künstler und Komponisten geächtet. Den letzten nichtarischen Mitgliedern der Reichsmusikkammer wurden am 31. März 1935 die Ausweise entzogen; die weitere Berufsausübung auf jedem zur Zuständigkeit der Reichskulturkammer gehörendem Gebiete wurde ihnen untersagt. Selbst getauften Voll- und Halbjuden wurde im September 1935 der Organistendienst in christlichen Kirchen verboten.

Das Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933, das für alle Zeitungen und politische Zeitschriften gilt, machte die erforderliche behördliche Zulassung zum Schriftleiter von arischer Abstammung, bei Verheirateten auch von rein arischer Ehe abhängig. Befreiung von diesem Erfordernis wurde nur in Aussicht gestellt bei Personen, die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder seine Verbündeten gekämpft hatten oder deren Väter und Söhne im Weltkrieg gefallen waren, ferner für Personen, die den Schriftleiterberuf an einer jüdischen Zeitung ausüben wollten und endlich in „besonderen Fällen“, aber nur für bestimmte Zwecke, besonders für die Tätigkeit als Handelsredakteur. Verleger, Aktionäre der großen Zeitungskonzerne und deren Verwaltungsratsmitglieder mußten nach einer Verordnung zur Sicherung der Unabhängigkeit der Presse vom 24. 4. 1935 ihre arische Abstammung und die ihrer Frauen bis zum 1.1. 1800 zurück beweisen.

 

Der Entzug der Staatsbürgerrechte

Die Forderung des nationalsozialistischen Programms, alle seit dem 2. August 1914 in Deutschland eingewanderten Juden wieder auszuweisen, ließ sich im Jahre 1933 aus außenpolitischen Gründen noch nicht sofort verwirklichen. Die Nationalsozialisten waren daher gezwungen, schrittweise vorzugehen. Durch Gesetz vom 14. Juli 1933 wurden zunächst die in der Zeit zwischen 9. November 1918 und 30. Januar 1933 vollzogenen und jetzt „unerwünschten“ Einbürgerungen rückgängig gemacht. Als unerwünscht wurde im Gesetz besonders die Einbürgerung von Ostjuden bezeichnet. Die Behörden machten sich nun daran, die sämtlichen Einbürgerungen von Juden aus Österreich, Polen, der Tschechoslowakei, Litauen usw. nachzuprüfen. Von 1919 bis 1933 waren in Deutschland rund 10 300 Ostjuden eingebürgert worden. Bis 1. Juli 1935 waren davon wieder 4000 ausgebürgert. Die Ausgebürgerten wurden zumeist als Staatenlose, besonders seit Beginn des Jahres 1938, abgeschoben oder ins Konzentrationslager gesperrt.

Das Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 brachte sodann die antisemitische Hauptforderung des nationalsoziali-13 stischen Programms der Erfüllung näher: Es nahm sämtlichen deutschen Juden die staatsbürgerliche Gleichberechtigung. Durch das Gesetz wurden zwei Klassen von Staatsangehörigen geschaffen: Reichsbürger mit vollen politischen Rechten und gewöhnliche Staatsangehörige ohne solche Rechte. Reichsbürger kann nach dem Gesetz vom 15. September 1935 nur sein, wer deutschen oder artverwandten Blutes ist. Der Reichsbürger ist der alleinige Träger der vollen politischen Rechte. Bis zum Erlaß weiterer Vorschriften über den Reichsbürgerbrief gelten vorläufig als Reichsbürger jene Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes, die beim Inkrafttreten des Reichsbürgergesetzes, d. i. am 30. September 1935, das Reichstagswahlrecht besaßen. Juden können nach diesem Gesetz nicht Reichsbürger sein. Ein Stimmrecht in politischen Angelegenheiten steht ihnen nicht zu. öffentliche Ämter können sie nicht bekleiden. Als Jude gilt, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt, ferner wer zwar nur von zwei jüdischen Großeltern abstammt, aber beim Erlaß des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte oder mit einem Juden verheiratet war. Stimmabgabe durch Juden wird nach dem Gesetz über das Reichstagswahlrecht vom 7. März 1936 mit Gefängnis bestraft. Das Hissen der Reichsund Nationalflagge und das Zeigen der Reichsfarben wurde Juden durch § 4 des Rassenschutzgesetzes vom 15. September 1935 bei Meidung von Gefängnisstrafe verboten.

Vom Wehrdienst, der nach deutscher Auffassung Ehrensache ist, wurden die Juden bereits durch das Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 ausgeschlossen. Arische Abstammung ist darin als Voraussetzung für den aktiven Wehrdienst bezeichnet. In der Fassung des geänderten Wehrgesetzes vom 26. Juni 1936 lautet die Bestimmung, daß ein Jude nicht aktiven Wehrdienst leisten kann. Jüdische Mischlinge können nicht Vorgesetzte in der Wehrmacht werden. Personen, deren beide Eltern jüdischen Blutes sind, ferner Personen, die drei jüdische Großelternteile haben, werden, soweit sie wehrfähig sind, ausnahmslos der Ersatzreserve II überwiesen. Die Dienstleistung von Juden im Kriege bleibt besonderer Regelung Vorbehalten. Das bereits im § 15 des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935 für Angehörige arischer Abstammung der Wehrmacht und des Beurlaubtenstandes ausgesprochene Eheverbot mit Personen nichtarischer Abstammung wurde durch das Rassenschutzgesetz vom 15. September 1935 überflüssig. Jeder Dienstpflichtige ist von der Polizeimeldestelle über den Begriff des Juden zu unterrichten. Er hat eine Erklärung abzugeben, daß er über den Begriff des Juden aufgeklärt sei und ihm keine Umstände bekannt seien, daß er Jude sei. Etwa erforderliche Ermittlungen über die Abstammung werden von Amts wegen vorgenommen.

Nach § 7 des Reichsarbeitsdienstgesetzes vom 26. 6. 1935 in der Fassung des Gesetzes vom 19. März 1937 werden Juden auch nicht zum Reichsarbeitsdienst zugelassen. Jüdische Mischlinge können auch nicht Vorgesetzte im Reichsarbeitsdienst werden.

Die erste Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz vom 4. Mai 1937 sieht für Juden vor, daß sie auf dem Gebiet des Werkluftschutzes, des Selbstschutzes und des erweiterten Selbstschutzes zur Luftschutzdienstpflicht herangezogen werden können, wenn es zum Schutze ihrer Person oder ihres Eigentums notwendig ist. Darüber hinaus ist ihre Heranziehung nur auf Grund besonderer Bestimmungen zulässig, die der Reichsminister der Luftfahrt und der Oberbefehlshaber der Luftwaffe im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern erläßt.

Juden, die der alten oder der neuen Wehrmacht, der österreichisch-ungarischen Wehrmacht oder dem österreichischen Bundesheer angehört und das Recht zum Tragen einer Uniform erhalten hatten, wurde dieses Recht mit Erlaß des Führers und Reichskanzlers vom 16. November 1938 entzogen.

Die Stempelung der Juden zum Fremdenvolk und ihre völlige staatsbürgerliche Entrechtung wurde im Laufe des Jahres 1938 weitergetrieben. Nach einer V.O. vom 17. August 1938 dürfen Juden nur solche Vornamen beigelegt werden, die in den vom Reichsminister des Innern herausgegebenen Richtlinien über die Führung von Vornamen aufgeführt sind. Soweit Juden bereits andere Vornamen führen, müssen sie vom 1. Januar 1939 ab zusätzlich einen weiteren Vornamen und zwar „Israel“ bzw. „Sara“ annehmen. Soweit es im Geschäftsverkehr üblich ist, den Namen anzugeben, müssen Juden stets auch wenigstens einen ihrer Vornamen führen. Sind sie zur Annahme eines zusätzlichen Vornamens verpflichtet, so ist auch dieser Name zu führen. Vorsätzliche Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschriften werden mit Gefängnis bis zu 6 Monaten, fahrlässige mit Gefängnis bis zu 1 Monat bestraft.

Nach einer Bekanntmachung über den Kennkartenzwang vom 23. Juli 1938 haben Juden deutscher Staatsangehörigkeit unter Hinweis auf ihre Eigenschaft als Juden bis zum 31. Dezember 1938 bei der zuständigen Polizeibehörde die Ausstellung einer Kennkarte zu beantragen. Für Juden, die nach Inkrafttreten dieser Bekanntmachung geboren werden, ist der Antrag innerhalb 3 Monaten nach der Geburt (!) zu stellen. Juden über 15 Jahre haben sich, sobald sie eine Kennkarte erhalten haben, auf amtliches Erfordernis jederzeit über ihre Kennkarte auszuweisen. Bei Anträgen, die sie an amtliche oder parteiamtliche Dienststellen richten, haben sie unaufgefordert auf ihre Eigenschaft als Jude hinzuweisen, soweit ihre Kennkarte und deren Kenn-Nummer anzugeben oder, falls die Anträge mündlich gestellt werden, unaufgefordert ihre Kennkarte vorzulegen. Das Gleiche gilt für jede Art von Anfragen und Eingaben, die Juden an amtliche oder parteiamtliche Dienststellen richten, sowie bei der polizeilichen Meldung. Wird ein Jude durch eine dritte Person vertreten, so hat der Vertreter unaufgefordert auf die Eigenschaft des Vertretenen als Juden hinzuweisen, sowie Kennwort und Kenn-Nummer der Kennkarte anzugeben. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe bestraft.

Durch V.O. vom 5. Oktober 1938 wurden dann alle Reisepässe von Juden, die sich im Reichsgebiet aufhielten, für ungültig erklärt. Die Paßinhaber mußten ihre Pässe den Behörden innerhalb von zwei Wochen zurückgeben. Die mit Geltung für das Ausland ausgestellten Reisepässe werden wieder gültig, wenn sie von der Paßbehörde mit einem vom Reichsminister des Innern bestimmten Merkmal versehen sind, das den Inhaber als Juden kennzeichnet. Zuwiderhandlungen werden mit Haft oder Geldstrafe belegt.

 

Die Rassenschutzgesetzgebung

Nach Hitlers Auffassung „hat der völkische Staat die Rasse in den Mittelpunkt des allgemeinen Daseins zu setzen“, insbeson-ders „für ihre Reinhaltung zu sorgen“. „Rassenschande“, aus der angeblich nur „Mißgeburten zwischen Mensch und Affe“ hervorgehen, sollte im nationalsozialistischen Staat unmöglich gemacht werden.

Die Reinhaltung der Rasse wurde nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten als Sonderaufgabe zunächst dem Bauernstand anvertraut. Nach dem Erbhofgesetz vom 26. September 1933 ist „bauernfähig“ nur, wer deutschen oder stammesgleichen Blutes ist, d. h. wer bis 1. 1. 1800 zurück keinen jüdischen oder farbigen Vorfahren hat. Deutsche jüdischer Abstammung können also keine Bauern sein.

Dem Zweck der Reinhaltung der Rasse diente sodann das Gesetz vom 23. November 1933, nach dem die erforderliche gerichtliche Bestätigung der Annahme an Kindesstatt besonders bei „rassischer Verschiedenheit der Beteiligten“ verweigert werden muß.

Die Anschauung Hitlers und Streichers, daß jede Geschlechtsverbindung zwischen Angehörigen der „arischen“ Rasse und Juden „Rassenschande“ sei und zu einer „bastardisierten“ Nachkommenschaft führe, setzte sich bereits im Laufe des Jahres 1934 bei den Gerichten durch. Jüdische Mischehen wurden, auch wenn sie vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten eingegangen waren, für ungültig erklärt, weil der arische Teil eine solche Ehe „in verständiger Würdigung des Wesens der Ehe nicht geschlossen hätte, wenn er schon bei ihrer Eingehung die ihm von der nationalen Revolution vermittelten Kenntnisse über die Rassenfrage gehabt hätte“ (Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 2. März 1934, in der Juristischen Wochenschrift 1934, Nr. 22, Seite 1371). Seit Beginn des Jahres 1934 weigerten sich dann auf höhere Weisung auch die Standesbeamten, Ehen zwischen Juden und Ariern zu vollziehen. Beschwerden gegen diese damals noch völlig ungesetzliche Praxis wurden von den Gerichten zurückgewiesen, weil die nationalsozialistische Weltanschauung mit der Machtübernahme durch Hitler die Grundlage des deutschen Rechtes geworden sei. Unter Berufung auf die nationalsozialistischen Grundsätze wurden von den Gerichten auch Kinder aus geschiedenen Ehen gegen den damaligen Wortlaut des § 1635 des Bürgerlichen Gesetzbuches dem schuldigen „arischen“ Teil und nicht dem unschuldigen „nichtarischen“ zugesprochen, Lehrverträge „arischer“ Mündel mit jüdischen Lehrherren nicht genehmigt, jüdische Testamentsvollstrecker entgegen dem Willen des Erblassers nicht ernannt oder abberufen usf. An zahlreichen Orten Deutschlands wurden Juden und „arische“ Mädchen wegen „Rassenschande“ mit Plakaten um den Hals durch die Straßen geführt und hernach in Konzentrationslager gesteckt, lange bevor der Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden gesetzlich verboten war. Viele Lichtbilder im „Stürmer“ aus den Jahren 1934 und 1935 geben Aufschluß darüber.

Auf dem Nürnberger Parteitag „der Freiheit“ wurde dann durch das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935 die Eheschließung und der Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes bei Zuchthausstrafe verboten. Staatsangehörige jüdische Mischlinge mit zwei volljüdischen Großeltern bedurften nach der Ausführungsverordnung vom 14. November 1935 zur Eheschließung mit Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes oder mit Staatsangehörigen jüdischen Mischlingen mit nur einem volljüdischen Elternteil der Genehmigung des Reichsministers des Innern und des Stellvertreters des Führers. Alle Verlobten hatten nunmehr vor dem Standesamt durch Ehetauglichkeitszeugnis nachzuweisen, daß im Hinblick auf die Rasseschutzbestimmungen kein Hindernis gegen die beabsichtigte Ehe vorhanden sei.

Aus Gründen des Rassenschutzes wurde Juden durch das Gesetz vom 15. September 1935 auch verboten, in ihrem Haushalt weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren zu beschäftigen. Die Ausführungsverordnung vom 14. 11. 1935 milderte das Verbot dahin, daß Hausgehilfinnen, die beim Erlaß des Gesetzes in einem jüdischen Haushalt beschäftigt waren und bis zum 31. Dezember 1935 das 35. Lebensjahr vollendeten, in ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis bleiben durften.

Zwecks Feststellung der Rasse eines Kindes haben sich nach § 9 des Gesetzes vom 18. April 1938 in Familienrechtsstreitigkeiten die Parteien und Zeugen erb- und rassekundlichen Untersuchungen zu unterwerfen. Gegen Widerstrebende kann unmittelbarer Zwang angewendet werden. Nach § 12 dieses Gesetzes können Annahmen an Kindesstatt bei rassischer Verschiedenheit der Beteiligten auf Antrag der höheren Verwaltungsbehörde wieder aufgehoben werden.

 

Verdrängung aus Gewerbe und Handel

Die Entfernung der Juden aus der Wirtschaft begann bereits im März und April 1933. Zahlreiche jüdische Geschäfte und Unternehmungen gingen damals durch mehr oder minder sanften Druck aus jüdischen Händen in die von „Ariern“ über. Die Juden wurden damals schon aus den Vorständen und Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften, aus wirtschaftlichen Organisationen, wie dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat, dem Reichskohlenrat, dem Reichskalirat, dem Vollzugsrat der genossenschaftlichen Zentralbank, dem Verwaltungsrat der Bank für deutsche Industrieobligationen, den Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer verdrängt. Juden wurden auch von der „Arbeitsfront“ ausgeschlossen und damit bei Verlust ihres bisherigen Arbeitsverhältnisses praktisch in die Unmöglichkeit versetzt, ein neues zu finden. Jüdische Geschäfte wurden als solche gekennzeichnet und boykottiert, der Einkauf in solchen einem immer größeren Teil der Bevölkerung durch Terror unmöglich gemacht. Zahllose jüdische Angestellte und Arbeiter wurden entlassen. Die noch gewalttätigeren „Arisierungsmethoden“, die man dann im Frühjahr 1938 im eroberten Österreich anwandte, sind noch in frischer Erinnerung.

Die gesetzliche Verdrängung der Juden aus bestimmten Gewerbebetrieben setzte in der Hauptsache im Jahre 1938 ein. Durch Gesetz vom 5. Februar 1938 wurde Juden die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Versteigerung fremder Sachen untersagt.

Das Waffengesetz vom 18. März 1938 verbot die Erteilung der B19 Erlaubnis an Juden zur gewerbsmäßigen Herstellung, Bearbeitung oder Instandsetzung von Schußwaffen oder Munition; auch die für die kaufmännische oder technische Leitung eines solchen Betriebes in Aussicht genommenen Personen dürfen nicht Juden sein.

Durch eine Anordnung vom 26. April 1938 wurde die Neueröffnung eines jüdischen Gewerbebetriebes oder der Zweigniederlassung eines solchen, ferner die Veräußerung oder Verpachtung eines gewerblichen land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes, sowie die Bestellung eines Nießbrauchs an einem solchen Betrieb, wenn an dem Rechtsgeschäft auch nur ein Jude als Vertragsschließender beteiligt ist, ferner die Verpflichtung zur Vornahme eines solchen Rechtsgeschäfts genehmigungspflichtig gemacht. Durch Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts darf die Genehmigungspflicht nicht umgangen werden. Vorsätzliche oder fahrlässige Übernahme, Behalten, Überlassen oder Belassen eines gewerblichen usw. Betriebs ohne die erforderliche Genehmigung oder die Neueröffnung eines jüdischen Gewerbes oder der Zweigniederlassung eines solchen wurde mit Gefängnis oder Geldstrafe, in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bedroht.

Der Begriff des „jüdischen Gewerbebetriebs“ ist in der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 erläutert. Darnach gilt ein Gewerbebetrieb als jüdisch, wenn der Inhaber Jude ist. Offene Handelsgesellschaften oder Kommanditgesellschaften gelten als jüdisch, wenn ein oder mehrere persönlich haftende Gesellschafter Juden sind. Gewerbebetriebe einer juristischen Person (G.m.b.H., A.G.) gelten als jüdisch, wenn eine oder mehrere von den zur gesetzlichen Vertretung berufenen Personen oder eines oder mehrere von den Mitgliedern des Aufsichtsrates Juden sind oder wenn Juden nach Kapital oder Stimmrecht entscheidend beteiligt sind, d. h. wenn mehr als Vh des Geschäftskapitals Juden gehört oder wenn die Stimmen der Juden die Hälfte der Gesamtstimmenzahl erreichen. Ein Gewerbebetrieb gilt schließlich auch dann als jüdisch, „wenn er tatsächlich unter dem beherrschenden Einfluß von Juden steht“. Ein deutscher Staatsangehöriger, der aus eigennützigen Beweggründen dabei mitwirkt, „den jüdischen Charakter eines Gewerbebetriebes zur Verführung der Bevölkerung oder der Behörden bewußt zu verschleiern“, wird nach der V.O. gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe vom 22. April 1938 mit Zuchthaus, in weniger schweren Fällen mit Gefängnis, jedoch nicht unter 1 Jahr, und mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer für einen Juden ein Rechtsgeschäft schließt und dabei unter Irreführung des anderen Teils die Tatsache, daß er für einen Juden tätig ist, verschweigt.

Durch Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung vom 6. Juli 1938 wurde Juden und jüdischen Unternehmungen mit eigener Rechtspersönlichkeit der Betrieb folgender Gewerbe untersagt: des Bewachungsgewerbes, der gewerbsmäßigen Auskunftserteilung über Vermögensverhältnisse oder persönliche Angelegenheiten, des Handels mit Grundstücken, der Geschäfte gewerbsmäßiger Vermittlungsagenten für Immobilienverträge und Darlehen, des Gewerbes der Haus- und Grundstücksverwalter, der gewerbsmäßigen Heiratsvermittlung mit Ausnahme der Vermittlung von Ehen zwischen Juden oder zwischen Juden und Mischlingen ersten Grades, und des Fremdenführergewerbes. Die Fortsetzung solcher Gewerbebetriebe durch Juden kann polizeilich verhindert werden. Juden, die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes Grundstückshandel betrieben haben, ist dies bis 31. Dezember 1938 erlaubt, den übrigen jüdischen Gewerbetreibenden wurde der Betrieb der vorgenannten Gewerbe nur noch auf die Dauer von 1-3 Monaten gestattet.

Nach dem gleichen Gesetz ist Juden grundsätzlich der Wandergewerbeschein zu versagen, ferner kann ihnen die Legitimationskarte für Handelsreisende versagt und entzogen werden, es kann ihnen das Feilhalten von selbstgewonnenen oder rohen Erzeugnissen der Land- und Forstwirtschaft, des Garten- und Obstbaus, der Geflügel- und Bienenzucht, sowie der selbstgewonnenen Erzeugnisse der Jagd und Fischerei, ferner das Feilbieten von selbstverfertigten Waren als Gegenständen des Wochenmarktverkehrs oder das Anbieten von gewerblichen Leistungen innerhalb 15 km des Wohnortes, ferner das gewerbsmäßige Ausrufen, Verkaufen, Verteilen, Anheften und Anschlagen von Druckschriften oder anderen Schriften oder Bildwerken auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen untersagt werden. Jüdische Wandergewerbescheine verloren ihre Gültigkeit mit dem 30. September 1938, alle Wandergewerbescheine, Legitimationskarten und Stadthausierscheine im Besitz von Juden mußten sofort an die Gewerbepolizeibehörden abgeliefert werden. Entschädigungen für persönliche oder wirtschaftliche Nachteile aus diesen Maßnahmen werden nach ausdrücklicher Vorschrift des Gesetzes nicht gewährt.

 

Die wirtschaftliche Vernichtung

Der Vorbereitung der wirtschaftlichen Vernichtung der deutschen Juden diente die V.O. über die Anmeldung des Vermögens der Juden vom 26. April 1938. Darnach mußte jeder deutsche Jude sein gesamtes in- und ausländisches Vermögen - Juden fremder Staatsangehörigkeit nur ihr inländisches Vermögen - ohne Rücksicht auf etwaige Steuerfreiheit anmelden und bewerten. Die Anmelde- und Bewertungspflicht traf auch den nichtjüdischen Ehegatten eines Juden. Lediglich Gegenstände des persönlichen Gebrauchs und Hausrat, soweit er nicht Luxusgegenstände enthielt, wurde nicht zum Vermögen gerechnet. Die Anmeldepflicht entfiel, wenn der Gesamtwert des anmeldepflichtigen Vermögens ohne Berücksichtigung der Verbindlichkeiten 5000 Reichsmark nicht überstieg. Verletzung der Anmeldepflicht wurde in besonders schweren Fällen vorsätzlicher Zuwiderhandlung mit Zuchthausstrafe bis zu 10 Jahren bedroht.

Aus dem Leitartikel Erich Schröters in Nr. 540 der „Berliner Börsenzeitung“ vom 18. November 1938 ergibt sich, daß diese „Inventarisierungsverordnung“ vom 26. April 1938 bereits „die kommende Heranziehung des jüdischen Besitzes bedeutete“. Die Schüsse Grynszpan auf einen Mitarbeiter des deutschen Botschafters in Paris haben nach Schröter nur „den vorzeitigen Start von Maßnahmen ausgelöst“.

Diese Maßnahmen bestanden zunächst darin, daß am 8., 9. und 10. November 1938 von organisierten Banden die jüdischen Bethäuser in ganz Deutschland angezündet und fachmännisch in die Luft gesprengt, die jüdischen Läden und Wohnungen verwüstet, die jüdischen Säuglings- und Altersheime geschlossen und zahllose Juden von 15 bis 70 Jahren in die Konzentrationslager gesperrt wurden. Wie immer wurden die Gewalttaten durch die Gesetzgebung nachträglich „legalisiert“. Nach der V.O. „zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben“ vom 12. November 1938 mußten alle Schäden, welche „durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland“ in der Zeit vom 8. bis 10. November 1938 an jüdischen Gewerbebetrieben und Wohnungen entstanden waren, von den jüdischen Inhabern oder jüdischen Gewerbetreibenden auf ihre Kosten sofort beseitigt werden. Außerdem wurden die aus diesen Vorfällen entstandenen Versicherungsansprüche von Juden deutscher Staatsangehörigkeit zugunsten des Reiches beschlagnahmt. Damit nicht genug, wurde durch eine weitere V.O. vom 12. November 1938 den Juden deutscher Staatsangehörigkeit eine „Sühneleistung“ für den Mord in Paris in Höhe von 1 Milliarde Reichsmark auferlegt. Nach zuverlässigen Schätzungen bedeutet diese „Kontribution“ annähernd die Enteignung der Hälfte des jüdischen Vermögens in Deutschland.

Um den deutschen Juden jede Möglichkeit zu nehmen, auch in Zukunft jemals wieder hochzukommen, wurde am 12. November 1938 die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ erlassen. Nach ihr ist Juden vom 1. Januar 1939 ab der Betrieb von Einzelverkaufsstellen, Versandgeschäften oder Bestellkontoren, sowie der selbständige Betrieb eines Handwerks untersagt. Ferner ist ihnen mit Wirkung vom gleichen Tag verboten, auf Märkten aller Art, Messen oder Ausstellungen Waren oder Gewerbeleistungen anzubieten, dafür zu werben oder Bestellungen darauf anzunehmen. Jüdische Gewerbebetriebe, die entgegen diesem Verbot weitergeführt werden, sind polizeilich zu schließen. Vom 1. Januar 1939 an kann ferner kein Jude mehr Betriebsführer im Sinne des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. 1. 1934 sein. Juden, die in einem wirtschaftlichen Unternehmen als leitende Angestellte tätig sind, kann mit einer Frist von 6 Wochen gekündigt werden. Mit Ablauf der Kündigungsfrist erlöschen alle Ansprüche des Dienstverpflichteten aus dem gekündigten Vertrag, insbesonders auch Ansprüche auf Versorgungsbezüge und Abfindungen. Kein Jude kann endlich mehr Mitglied einer Genossenschaft sein, Juden scheiden aus allen Genossenschaften ohne besondere Kündigung zum 31. Dezember 1938 aus.

Die jüdischen Einzelhandelsgeschäfte sollen zu zwei Dritteln überhaupt verschwinden, der Rest soll „arisiert“ werden. Die etwa der Plünderung und Zerstörung am 8. bis 10. November 1938 entgangenen Warenvorräte werden verkauft. Die Überleitung erfolgt unter Einschaltung von Partei, Wirtschaftsgruppen und Polizei.

Durch eine V.O. vom 27. November 1938 werden die deutschen Juden auch von der öffentlichen Fürsorge ausgeschlossen und an die freie jüdische Wohlfahrtspflege verwiesen.

Um verzweifelten Juden die Möglichkeit einer Einzelaktion gegen ihre Bedrücker zu nehmen, wurde am 11. November 1938 eine Verordnung gegen den Waffenbesitz der Juden verkündet. Sie untersagt Juden den Erwerb, den Besitz und das Führen von Schußwaffen und Munition sowie von Hieb- und Stichwaffen. Die Juden haben die in ihrem Besitz befindlichen Waffen und Munitionsvorräte, die dem Reich ohne Entschädigung verfallen sind, unverzüglich an die Ortspolizeibehörden abzuliefern. Zuwiderhandlungen werden bestraft, in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren.

Auf diese Weise will man die Juden ohne eigene Gefahr ihrem Schicksal überliefern. Dieses Schicksal besteht nach der in der Judenpolitik führend gewordenen Zeitung der SS, „Schwarzes Korps“ vom 23. November 1938 darin, die Juden völlig verarmen und in die Kriminalität absinken zu lassen, um sie dann „mit Feuer und Schwert auszurotten“. Die Rettung der Juden vor diesem Schicksal soll nur dadurch möglich sein, daß das Ausland ihren Abtransport und ihre Neuansiedlung übernimmt.

 

Auswanderung?

In dieser Zusammenstellung der Entrechtungsmaßnahmen gegen die deutschen Juden sind nur die reichsgesetzlichen Vorschriften berücksichtigt. Es fehlen die zahlreichen örtlichen Aufenthalts- und Niederlassungsverbote, die Straßen-, Park-und Badeverbote, die Hotel-, Gaststätten-, Theater- und Kinoverbote, die Bibliotheken- und Museensperre, die Kurorteverbote, die Lebensmittelabgabeverbote, die Wohnungsverbote, die Ächtungen jedes freundschaftlichen Verkehrs, sogar des Kartenspiels mit Juden. Es fehlen die gewaltsamen Judenaustreibungen, die Einsperrungen von tausenden unschuldiger Juden in Konzentrationslager, wo sie einer besonders niederträchtigen Behandlung ausgesetzt und zu Hunderten ermordet worden sind.

Den Juden aber, die sich aus dieser Hölle retten wollten, war die Auswanderung schon bisher ungeheuer erschwert. Zunächst mußten jüdische Auswanderer 25% ihres Vermögens, und zwar nach den längst unterschrittenen Werten des Jahres 1931 gerechnet, an das Reich als Fluchtsteuer abgeben. Für den Rest konnte die Reichsbank eine Transfergenehmigung erteilen, d. h. der Rest des jüdischen Vermögens durfte auf dem Wege über die Auswanderersperrmark ins Ausland gebracht werden, sofern sich ein Käufer dafür fand. Bei der Entwertung der Auswanderersperrmark konnten aber Juden günstigstenfalls noch 15 bis 20% ihres nach dem Verkauf ihrer Sachen übriggebliebenen Vermögens ins Ausland retten. Heute wird auch dieser letzte Ausweg durch die Enteignung eines großen Teils der jüdischen Vermögen in Deutschland unmöglich gemacht. Die Juden sollen nach dem Willen der Nationalsozialisten nackt und bloß an die deutschen Grenzen gestellt und der „christlichen Barmherzigkeit“ oder „kindlichen Humanitätsduselei“ der übrigen Völker, wie sich das „Schwarze Korps“ ausdrückt, überlassen werden. Allem Anschein nach sind die demokratischen Staaten bereit, in christlicher Geduld auch diese Heimsuchung über sich ergehen zu lassen. Die Behinderung der deutschen Machthaber an ihren bi. uarischen Judenverfolgungen würde den Staatsmännern der demokratischen Staaten als völkerrechtlich verbotene Einmischung in die inneren Angelegen- b 25 heiten des Dritten Reiches erscheinen. Sie haben vergessen, daß Hugo Grotius, der Vater des Völkerrechts, im II. Buch Kapitel XXV, VIII seines „Kriegs- und Friedensrechts“ eine Intervention gegen fremde Herrscher billigt, „die ihr eigenes Volk mißhandeln“, und daß die Vereinigten Staaten von Amerika noch im Jahre 1898 ihre Intervention in Cuba mit den „allgemeinen Interessen der Menschheit und der Kultur“ begründeten. Sie werden sich also nicht wundern dürfen, wenn die Herren des Dritten Reichs nach einem siegreichen Krieg gegenüber den besiegten Völkern die gleichen Entrechtungsmethoden gebrauchen, die sie heute den wehrlosen deutschen Juden gegenüber zur Anwendung bringen.

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