Menü
Chronik und Quellen
1937
November 1937

Die Sopade berichtet

In der November-Ausgabe 1937 heißt es in den „Deutschland-Berichten“ der Sopade:

Der Terror gegen die Juden

Daß auf dem diesjährigen Nürnberger Parteitag keine neuen Gesetze gegen die Juden verkündet wurden, hat im Ausland vielfach die irrige Auffassung geweckt, die Judenhetze sei im Dritten Reich etwas in den Hintergrund getreten, man habe „andere Sorgen“. In Wahrheit hat gerade das Anwachsen dieser anderen Sorgen, haben wirtschaftlicher Niedergang und Mißstimmung das Regime veranlaßt, die Bedrückung des jüdischen Bevölkerungsteils weiter zu verschärfen. Es bedarf dazu kaum noch neuer Gesetze; die bestehenden Verordnungen und Erlasse, die vorliegenden prinzipiellen Entscheidungen höchster Instanzen reichen aus, um alle im Augenblick geplanten antisemitischen Maßnahmen zu begründen.

Auch nur den nötigsten Lebensunterhalt zu verdienen, wird für die Mehrzahl der Juden immer schwerer, die Verdrängung aus allen Berufen nimmt ihren Fortgang. Wie der Reichsbeamtenführer Neef auf dem Deutschen Beamtentag am 18. 10. 37. in München bekanntgab, wurden seit 1933 in Deutschland 1984 jüdische Beamte entlassen. - Die jüdischen Rechtsanwälte, soweit sie noch im Amt sind, haben nur ganz vereinzelte, geringfügige Fälle zu bearbeiten. Jüdische Ärzte werden zwar dort, wo Ärztemangel herrscht, mit einiger Schonung behandelt; in Gegenden, deren ärztliche Versorgung im Moment gesichert scheint, bekommen sie aber die ganze Schwere des Boykotts zu spüren. - Im November meldete der Reichsapothekerführer Albert Schmierer, daß der Apothekerstand nunmehr „judenfrei“ ist. Mehr als 400 jüdische Apotheken seien „in arischen Besitz überführt worden“. - Seit August müssen sich die jüdischen Buchverleger und Buchhändler auf den Vertrieb jüdischer Literatur an einen ausschließlich jüdischen Abnehmerkreis beschränken. Als jüdische Literatur gelten Bücher und Schriften aller Sprachen, deren Verfasser oder Herausgeber oder Mitarbeiter Juden sind. Übersetzungen gehören nur dann zur jüdischen Literatur, wenn die Verfasser der Originalwerke Juden sind. Leihbüchereien dürfen von Juden überhaupt nicht mehr unterhalten werden, auch nicht in Verbindung mit einem jüdischen Buchvertrieb. Unternehmen des jüdischen Buchhandels müssen auf ihrer Firmenbezeichnung, die in Augenhöhe anzubringen ist, den Vermerk „jüdisch“ anbringen; Ladengeschäfte haben hinzuzufügen: „Verkauf erfolgt nur an Juden gegen Ausweis.“ - Der Reichspropagandaminister hat allen jüdischen Geschäften den Verkauf des sogenannten „Volksempfängers“, eines besonders billigen Radiogerätes, sowie seiner Bestandteile verboten.

Neben diesen Reichsmaßnahmen werden in jedem Landesteil, oft auch in einzelnen Orten, noch besondere antijüdische Vorschriften erlassen. So hat z. B. in der Pfalz der Weinbauwirtschaftsverband im Sommer 1937 sämtlichen jüdischen Weinkommissionären erstmalig die vorgeschriebene Genehmigung zu abgeschlossenen Käufen verweigert. Damit ist der jüdische Weinhandel in der Pfalz lahmgelegt. - In verschiedenen deutschen Bezirken entzieht man jüdischen Handelsvertretern und Hausierern den Gewerbeschein so daß sie brotlos werden.

Das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg hat im Sommer dieses Jahres entschieden, daß ein arischer Teilhaber einer offenen Handelsgesellschaft berechtigt ist, seinen jüdischen Teilhaber auszuschließen und unter sofortiger Auflösung der Gesellschaft die Unternehmung mit Aktiven und Passiven zu übernehmen, wenn das Interesse des Geschäftes gefährdet sei. - In welcher Weise die Parteistellen versuchen, auch jede stille Beteiligung jüdischer Kaufleute an arischen Unternehmen aufzudecken und unmöglich zu machen, zeigt folgender Fragebogen, der an viele Firmen im Reiche gesandt wird:

Die Deutsche Arbeitsfront, Berlin               Zentralbüro, Berlin SW 11,
                                                                         Europahaus, Saarlandstr.
Abt. Firmenregister                                      Reichsbezugsquellenarchiv

                                                                                 14.10.1937.

Im Reichsbezugsquellenarchiv sind Anfragen über Ihr Unternehmen eingegangen. Da ich entsprechende Unterlagen nicht in meinem Besitz habe, bitte ich Sie, den beiliegenden Fragebogen sorgfältig ausgefüllt umgehend zurückzusenden.......

Fragebogen (die Angaben werden vertraulich behandelt)

1. Name und Anschrift der Firma . . .
2. Zweck des Unternehmens . . .
3. Form des Unternehmens . . . Off. Handelsges., A.G., GmbH usw.
     a) wo im Handelsregister eingetragen und Nr.
     b) wann gegründet.
4. Inhaber und Teilhaber (stille Teilhaber und Kommanditisten, Name Stellung i. d. Fa. Staatsangeh., arisch, jüdisch, bzw. Grad der nichtar. Abstammung, Mitglied welcher Organis.
5. Geschäftsführer, Mitglied des Vorstandes (Rassezugehörigkeit).
6. Weitere Zeichnungsberechtigte (Rassezugehörigkeit).
7. Sind Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats noch an anderen Unternehmen beteiligt? Wenn ja, in welchen und in welcher Form.
8. Mitglieder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsrats (Rassezugehörig.).
9. Wieviel Gefolgschaftsmitglieder? Wieviel Nichtarier?
     a) wieviel Vertreter, in welchem Verhältnis? Wieviel Nichtar.?
     b) Anzahl und Rasse der Auslandsvertreter?
10. Wie hoch und in wessen Händen ist das Kapital?
11. Welchem Trust, Konzern oder welcher Dachges. gehört das Untern. an?
12. Ist an dem Untern, ausländ. Kap. beteiligt? Form und Umfang: (Lizenzen und dergl. sind zu berücksichtigen).
13. Art und Zeitpunkt der Gleichschaltung, Veränderungen in personeller und kapitalsmäßiger Hinsicht seit dem 30. 1. 33. (Beizufügen sind Abschriften von abgeschlossenen Verträgen).
14. Name und Rasse der ausgeschiedenen Personen (in welchem Umfange bestehen noch deren Interessen an dem Unternehmen)
15. Name und Rasse der neu eingetretenen Personen:
16. Besteht die Absicht, noch irgendwelche Veränderungen vorzunehmen? Wenn ja, welche?
17. Bemerkungen, Referenzen:

Obige Angaben sind nach bestem Wissen gemacht. Etwaige Veränderungen werden dem Reichsbezugsquellen-Archiv unverzüglich bekanntgegeben.

……......den..... 1937                           Unterschrift.....

Neben dem direkten Angriff auf die jüdischen Erwerbsunternehmer spielt auch die Anprangerung, Verfolgung und Bestrafung jener Arier eine Rolle, die mit Juden geschäftlich - oder auch nur privat - verkehren. Der „Stürmer“ veröffentlicht z. B. regelmäßig die Namen arischer Anwälte, die jüdische Klienten vertreten, arischer Klienten, die sich von jüdischen Anwälten vertreten lassen, arischer Patienten jüdischer Ärzte, arischer Landwirte, die mit jüdischen Viehhändlern Geschäfte machen, arischer Kunden, die in jüdischen Geschäften kaufen, ja, die Namen solcher Arier, die auf der Straße jüdische Bekannte grüßen. Jedesmal wird die volle Adresse der Angeprangerten genannt. - Der badische Verwaltungsgerichtshof hat im Oktober 1937 die Amtsenthebung eines Bürgermeisters ausgesprochen, weil dieser Mann im April 1936 eine Kuh an einen jüdischen Viehhändler verkauft hat. - Alle städtischen Angestellten in München erhielten ein Schreiben, worin sie aufgefordert wurden, jüdische Ärzte und Zahnärzte auch dann zu meiden, wenn sie noch als Kassenärzte zugelassen seien. Dem Schreiben lag eine Liste aller Münchner jüdischen Ärzte und Zahnärzte bei. - In der saarpfälzischen Presse wurde im September mehrfach darauf hingewiesen, daß gegen Beamte, deren Frauen immer noch in jüdischen Geschäften kaufen oder jüdische Ärzte konsultieren, dienststrafrechtlich vorgegangen werden könne.

Wir haben bereits in Heft 7/1937 (Seite A 14 f) darauf hingewiesen, daß den Juden, denen man im Land jede Lebensmöglichkeit nimmt, die Auswanderung nach Kräften erschwert wird. Es macht große Schwierigkeiten, auch nur einen geringen Bruchteil des Vermögens legal über die Grenze zu bekommen. Aber auch bloße Orientierungsreisen ins Ausland werden oft durch Paß-, Devisen- und Grenzschikanen fast unmöglich gemacht. Beim Passieren der Aachener Grenze z. B. werden seit einiger Zeit die länger als sechs Monate geltenden „Judenpässe“ genau notiert. Nach der Rückkehr der Paßinhaber ins Reichsgebiet erfolgt dann eine Herabsetzung der Paßgeltungsdauer auf sechs Monate. Die Ausstellung von neuen Pässen dauert oft drei bis vier Monate, in vielen Fällen wird sie völlig verweigert. Der Erfolg derartiger Maßnahmen ist, daß viele Auswanderungen ganz unvorbereitet unternommen werden. Erkennen die Emigranten nach einiger Zeit, daß sie im Ausland das Existenzminimum nicht erreichen können und kehren sie zurück, so werden sie in den meisten Fällen verhaftet und in ein Konzentrationslager überführt. In Dachau gibt es eine große Gruppe jüdischer Häftlinge, die als „Emigranten“ gekennzeichnet sind und deren einzige Schuld in der Rückwanderung besteht.

Neben den hier geschilderten Maßnahmen, die vor allem der wirtschaftlichen Schädigung und der persönlichen Schikane dienen, werden ständig neue Schritte getan, um die Juden verächtlich zu machen. Der „Stürmer“ veröffentlicht allwöchentlich eine Liste von neu angebrachten „Stürmerkästen“. Die Karikaturen dieses Blattes, an Unflätigkeit kaum mehr zu überbieten, werden in vielen Schulen als „Anschauungsmaterial“ im Unterricht verwendet. Andere nationalsozialistische Zeitungen - so das SS-Organ „Das Schwarze Korps“ - eifern dem Vorbild nach. - Im November ist in München eine Ausstellung „Der ewige Jude“ eröffnet worden, die unter dem Protektorat von Goebbels steht. Auf der Eröffnungskundgebung sprach Julius Streicher. Die Ausstellung, die sich über zwanzig Säle ausdehnt, enthält Propagandamaterial, Lichtbilder, Akten, Urkunden usw. über Rasse und Herkunft der Juden, über ihre Religion und Rechtsauffassung und dient, wie offiziell bekanntgegeben wurde, dem Zweck, „das schädliche Wirken des Judentums in der ganzen Welt zu veranschaulichen“. Zu der Abteilung „Moralische Verkommenheit der Juden“ werden nur Erwachsene zugelassen. Um eine große Besucherzahl zu erreichen, werden aus allen Teilen des Reiches Gemeinschaftsfahrten zur Besichtigung der Ausstellung unternommen. - Der diesjährige Winterfeldzug der NSDAP steht unter dem Motto: „Bolschewisten und Juden wollen den Aufruhr.“ Tausende von Versammlungen im ganzen Reich sind angekündigt.

Die Staatspolizei in Berlin hat im Judendezernat große Stürmer-Bilder aufgehängt mit der Unterschrift „Für unsere lieben Gäste“. - Im Berliner Westen sind gelbe Parkbänke für die Juden aufgestellt worden. Die Benützung der anderen Bänke ist den Juden nicht gestattet. - In Dessau ist zum ersten Male im Amtsgericht ein besonderes Zimmer für jüdische Anwälte eingerichtet worden. (Es gibt dort nur noch einen jüdischen Anwalt, der schwer kriegsbeschädigt ist.) - Viele Badeverwaltungen verlangten in diesem Sommer von jüdischen Gästen bei der Anmeldung die Einsendung von Photographien, um „provozierend aussehende“ Juden fernzuhalten.

 

Bei den Rassenschande-Urteilen werden jetzt in den weitaus meisten Fällen Zuchthausstrafen verhängt. Wir fassen in der folgenden Übersicht die uns seit August 1937 bekanntgewordenen Urteile zusammen. Die Liste ist unvollständig, weil über zahlreiche Prozesse dieser Art nur in der lokalen Presse berichtet wird.

Rassenschande - Urteile August bis November 1937

Name des Verurteilten   Wohnort                 Urteil

Deutschländer, Max         Hamburg         4 Jahre Zuchthaus
Dicker                                   Hamburg         2 Jahre Zuchthaus
Dreyfuss, Moritz               Berlin               2 Jahre Zuchthaus
Eichholtz, Fritz                     Hamburg         5 Jahre Zuchthaus
Finkenstein, Alfred           Breslau            2 Jahre Zuchthaus
Heimann, Paul                   Glatz                    6 Jahre Zuchthaus
Hertz, Kurt                           Bremen         3 Jahre Zuchthaus
Katz, Rudolf                         Barntrup        1 Jahr, 3 Monate Gefängn.
Kirms, Oskar                         Leipzig             2½ Jahre Gefängnis
Landauer, H. Rudolf       Darmstadt           1 Jahr, 6 Mon. Zuchthaus
Samter                                 Hindenburg       2 Jahre Zuchthaus
Steinberg, Edgar               Plauen                         2 Jahre, 2 Mon. Zuchthaus
Strauss, Arthur                   Nürnberg       5 Jahre Zuchthaus
Weiss, Sally                         Kitzingen         4 Jahre, 3 Mon. Zuchthaus
Weissmann, Julius           München           1 Jahr Gefängnis
Wohlfahrt, Dr. Theod.     Hamburg           10 Jahre Zuchthaus

Zu einer dieser Verurteilungen erhalten wir einen Bericht aus Oberschlesien: In Hindenburg wurde der Händler Samter, ein früherer Sozialdemokrat, wegen Rassenschande zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt. Dieses Urteil ist auf eine Provokation der Gestapo zurückzuführen. Samter hat mit einer Christin verkehrt. Als die Nürnberger Gesetze aufkamen, hat er das Mädel reichlich entschädigt und die Beziehung aufgegeben. Da schickte ihm die Gestapo eines Abends eine Frau in die Wohnung, die vorgab, ein Radio von ihm kaufen zu wollen. Die Kaufverhandlung mit der Frau war noch nicht zu Ende, als Polizei erschien und Samter verhaftete. Vor Gericht erklärte die Frau als Zeuge, daß sie jede Aussage verweigere. Das Gericht nahm daraufhin als erwiesen an, daß Samter Rassenschande getrieben und die Frau die Aussage im eigenen Interesse verweigert habe.

Neben den Rassenschande-Urteilen erfolgen häufig Verurteilungen wegen „versuchter Rassenschande“, wegen „Beleidigung einer deutschen Frau“ oder wegen Meineids in Rassenschandeprozessen: Wegen „versuchter Rassenschande“ verurteilte die Große Strafkammer beim Landgericht Ravensburg den Juden Jakob Harburger zu 7 Monaten Gefängnis. – Ein 22 Jahre alter jüdischer Angeklagter wurde in Magdeburg zu vier Wochen Gefängnis verurteilt, weil er ein „arisches“ Mädchen aufgefordert hatte, mit ihm ins Kino zu gehen. Eine solche Zumutung, entschied das Gericht, sei eine schwere Beleidigung.

- In Dresden wurde der jüdische Angeklagte Bigelmann mit 3 Monaten Gefängnis bestraft, weil er „in einem Filmtheater eine deutsche Frau durch unsittliche Berührung belästigt hatte“.

- Die Jüdin Elsa Dodeles aus Leipzig wurde zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Sie hatte, um den arischen Angeklagten vor einer Verurteilung zu bewahren, in einem Rassenschandeverfahren wahrheitswidrig beschworen, daß sie mit dem Angeklagten keine engeren Beziehungen gehabt hätte.

Der jüdische Arzt Dr. Berliner, der Inhaber des bei Breslau gelegenen Luftkurort-Sanatoriums Obernigk, der im September wegen angeblicher Begünstigung von Rassenschande verhaftet wurde, hat im Gefängnis Selbstmord verübt. - Der jüdische Arzt Dr. Schwabe in Frankfurt am Main, dem gerichtliche Verfolgung wegen Rassenschande drohte, beging Selbstmord, indem er sich aus dem Fenster seiner Wohnung stürzte. - Der frühere Knappschaftsarzt Dr. Wohlgemuth, Hindenburg, der nach der Aufhebung der Genfer Konvention seiner jüdischen Abstammung wegen aus dem Lazarett entlassen wurde, vergiftete sich Anfang Oktober mit Veronal.

Den bei uns eingegangenen Berichten über den Terror gegen die Juden entnehmen wir:

Bayern, 1. Bericht: In München leben zur Zeit noch 7500 Juden, die alle Auslandssperre haben. In Sonderfällen werden befristete Ausreisebewilligungen erteilt, aber dabei werden solche Schwierigkeiten gemacht, daß die Sperre fast lückenlos gilt. Die Existenzmöglichkeiten der Juden werden systematisch zerstört. Selbst die jüdischen Altwarenhändler werden durch die mit Hilfe der Partei organisierten Sammelaktion automatisch ausgeschaltet. Den jüdischen Stadtgeschäften versucht man auf alle mögliche Art die Kundschaft abzutreiben. Unter den Intelligenzberufen sine hier in München die Ärzte sehr schwer betroffen. Mit Ausnahme von einigen Spezialisten haben alle hart zu kämpfen. Meist verdienen sie nicht mehr so viel, um ihren Lebensbedarf bestreiten zu können. Diejenigen, die ihre ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, sind gewöhnlich nicht krankenversichert oder gehen, obgleich sie versichert sind, auf ihre eigenen Kosten zu dem langjährig vertrauten jüdischen Arzt, dem sie in Teilbeträgen das Honorar abstatten.

Die Judenschilder in den oberbayerischen Orten sind, seit man sie im vorigen Jahre wegräumte, nicht mehr erneuert worden. Um die Fremden-Orte judenrein zu halten, hat man zu anderen Methoden gegriffen, die nicht jedem Ausländer sofort ins Auge fallen. In Tegernsee bekommt jeder jüdische Feriengast einige Stunden nach seiner Anmeldung vom Gemeindeamt einen Brief zugestellt, worin in kurzen Worten verlangt wird, daß er innerhalb 24 Stunden Tegernsee zu verlassen habe. In allen Badeorten wird genau darauf geachtet, daß der Paragraph der Badeordnung, nach welchem Juden der Zutritt zu den Badeanstalten verboten ist, nicht übertreten wird. In einem bayerischen Badeort hat sich folgendes ereignet: Eine jüdische Angestellte aus X. verbrachte auch heuer, wie seit vielen Jahren, ihren Urlaub bei einem Bauern in der Nähe von . . . Dort lernte sie eine englische Familie kennen, der sie sich anschloß. An einem heißen Tage machte die Familie einen Badeausflug nach . . . und lud die Jüdin dazu ein. Diese erklärte den Engländern, daß sie nicht nach . . . und noch weniger in das Bad gehen könne. Der Mann wollte das nicht glauben und wendete alle Überredungskunst auf, um das Mädchen zum Mitgehen zu bewegen. Nachdem er ihr versichert hatte, daß er alle Verantwortung übernehme, ging das Mädchen mit. Sie war noch keine Stunde im Bad, als sie vom Bademeister aufgefordert wurde, das Bad zu verlassen. Der Engländer mischte sich sofort ein und nahm für das Mädchen Partei. Der Bademeister verwies auf seine Vorschriften. Das Fräulein sei von Badegästen erkannt worden und er müsse darauf bestehen, daß sie gehe. Er müsse sonst Anzeige erstatten. Es gab einen dramatischen Auftritt mit dem Engländer. Alle Badegäste sammelten sich um die Gruppe, nahmen aber in keiner Weise Partei. Das Mädchen verschwand, aber der Engländer wollte sich nicht zufrieden geben und ging zur Kurverwaltung, wo man die Angaben des Bademeisters bestätigte. Daraufhin reiste er mit seiner Familie sofort nach Österreich ab.

In der oberbayerischen Stadt X. wurde ein kleiner jüdischer Junge von einem 13-jährigen Hitlerjungen mit der Peitsche geschlagen, wobei ihm das linke Auge verletzt wurde. Der Vater des Kindes beschwerte sich in der Schule. Vom Lehrer wurde ihm nahegelegt, von einer polizeilichen Anzeige Abstand zu nehmen, da es sonst der Junge in der Schule nicht mehr aushalten könne. - In einem Münchner Bierkeller saßen 3 Arbeitsmänner in Uniform, zu denen sich ein Chargierter der SS gesellte. Die Arbeitsmänner hatten einige harte Eier zu ihrer Brotzeit mitgebracht, die sie auf den Tisch legten. Da kam vom Nebentisch ein kleines schwarzes Mädchen und langte nach den Eiern. Die Arbeitsmänner nahmen die Eier weg. Der SS-Mann sagte ganz laut: „Der Fratz is so schwarz; wenn ich genau wüßt, daß des ein Judenbankert ist, batzert ich ihm eine.“ - In der Trambahn nach Freimann bei München: Man fährt gerade am jüdischen Friedhof vorbei. Von drei Frauen, die sich über eine nebensächliche Sache unterhalten, schaut die eine auf und sagt zu den anderen: „Das ist der jüdische Friedhof, da gehören endlich alle hinaus, dann hätten wir Ruhe in Deutschland.“

Einige Juden, von denen keiner jüdisch aussieht, gehen zu einem Fußballspiel. Vor dem Eingang zum Sportplatz werden sie von Abzeichenverkäufern umringt und aufgefordert, ein Zeichen zu kaufen. Einer erklärt für alle: „Wir sind Juden, uns dürfen Sie kein Abzeichen verkaufen.“ Darauf der Sammler: „Dann ist es gut, dann bekommen Sie auch keins. Euer stinkiges Geld wollen wir nicht.“ Als die Sportgäste etwas entfernt waren, rief ihnen ein SA-Mann nach: „Schämen tät ich mich, wenn ich mich als Jud ausgeben tät und keiner wär, bloß damit ich kein Zeichn kaufn brauch!“

Obwohl die Juden keine „wehrwürdigen“ Staatsbürger sind, hat man in der letzten Zeit verschiedene jüdische Ärzte zu militärischen Ausbildungskursen einberufen.

Eine Tatsache ist uns bekannt geworden, die mehr als all die hier erzählten Beispiele die traurige Lage der Juden in Deutschland kennzeichnet: Seit 1934 sind in das staatliche Irrenhaus Egelfing über 70 jüdische Frauen aus München eingeliefert worden.

2. Bericht: Für Familien, in denen nur ein Elternteil jüdischer Abstammung ist und deren Kinder als „Mischlinge“ registriert werden, gelten zwar große Teile der Nürnberger Gesetze nicht, aber man läßt die Kinder bei jeder Gelegenheit fühlen, daß sie keine vollwertigen Volksgenossen sind. Vor allem das Leben in der Schule wird ihnen zur Hölle. Mischlinge besuchen zumeist die „arischen“ Lehranstalten. Da dort der Haß gegen die Juden geschürt wird, sind sie dem Spott der anderen Kinder ausgesetzt. Im Unterricht wird oft in der gemeinsten Weise auf die Juden geschimpft. Für die Mischlinge wird dieser Unterricht zu einer seelischen Qual und die Eltern wissen oft nicht, wie sie ihren Kindern helfen können. Durch die Fragen, die ihnen die Kinder stellen, geraten sie in Gewissenskonflikte. Belügen möchten sie ihre Kinder nicht und die Wahrheit ist gefährlich. Sie kann zu Verfolgungen führen. Die Mischlinge sind übrigens von bestimmten Veranstaltungen der Schule ausgeschlossen. Sie müssen zwar am Turnunterricht mit teilnehmen, doch allen öffentlichen Sportfesten haben sie fernzubleiben. Auch nach der Schulzeit ist ihnen keine Möglichkeit geboten, bei Sportfesten, sei es als Turner, Fußballspieler, Eisläufer usw. aufzutreten, im Gegensatz zu den Volljuden, die sich im Rahmen ihrer eigenen Vereine auch öffentlich betätigen können. Allerdings werden die Vorschriften nicht überall befolgt. Es gibt auch heute noch Vereine, in denen sich Mischlinge sehr aktiv betätigen. Dann weiß jedoch gewöhnlich niemand, daß es sich um einen Mischling handelt, oder der Verein, der durch die guten Leistungen des Mischlings gefördert wird, will nichts davon wissen. Das geht jn der Regel solange, bis ein 100%iger Nazi den Fall entdeckt und seine Organisation zum Einschreiten veranlaßt. So stehen die Halbjuden zwischen zwei Lagern. Von jüdischen Vereinen dürfen sie nicht aufgenommen werden und eine offizielle Teilnahme an rein arischen Vereinigungen ist ihnen verschlossen. Auch sonst befinden sich die Mischlinge in einer besonders heiklen Lage, denn die Gesetze und Bestimmungen sind ungenau und werden nicht von allen amtlichen Stellen gleichmäßig ausgelegt. Während Mischlingen im allgemeinen das Hissen der Hakenkreuzfahne nicht erlaubt ist, müssen sie Plakate, die ihnen von Nazi-Organisationen zugestellt werden, im Fenster bzw. Schaufenster aushängen.

Wasserkante: Die Judenhetze wird in Hamburg nicht geringer. Sie hat im Gegenteil in letzter Zeit neue Verschärfungen erfahren. Wieder kann man beobachten, daß vor den Häusern jüdischer Ärzte Nazis stehen, die sich gern in ein Gespräch mit den Patienten einlassen und sie dabei auf das „Gefährliche“ solcher Besuche aufmerksam machen. „Ihr eigenes Schicksal muß Ihnen doch wichtiger sein als das eines Juden . . .“ sagte einer dieser Biedermänner zu einem Arbeiter, der im Begriff stand, seinen alten jüdischen Arzt zu konsultieren. Auch vor jüdischen Geschäften stehen wieder Posten. Desgleichen ist die Jagd auf „rassenschänderische“ Juden noch immer im Gange.

Der Antisemitismus hat im Bürgertum viele Gegner. „Die Nazis veranstalten den ganzen antisemitischen Rummel nur, um von den weißen Juden abzulenken.“ Auch der Kern der organisierten Arbeiterschaft will mit der Judenhetze nichts zu tun haben. Aber in der breiten Masse der indifferenten Arbeiter hat das ständige antisemitische Trommelfeuer seine Wirkung getan. Auch Leute, die früher gar nicht wußten, was ein Jude ist, schieben heute alles Unheil auf die Juden. Und die primitiven Nazis gar kennen schon keinen anderen Gesprächsstoff mehr.

Sachsen: Kennzeichnend für die Lage der Juden im Dritten Reich ist der Ausspruch eines Juden: „Wir wollen uns ja allen Gesetzen und Anordnungen fügen, man soll uns aber endlich einmal in Ruhe lassen und nicht immer schikanieren und als gehetztes Wild durchs Leben jagen.“

Die jüdischen Kinder müssen jetzt alle in jüdische Schulen gehen. In allen Sommerbädern ist hier für Juden das Baden verboten. Die Juden hatten beabsichtigt, ein eigenes Bad zu erwerben. Man verlangte aber dafür einen so hohen Preis, daß das unmöglich war. Aus diesem Grunde ist es den Juden hier nicht möglich, im Sommer ein Bad im Freien zu nehmen.

Da Juden in vielen Gaststätten nicht erwünscht sind, haben sie sich in Leipzig am Dittrichsring eine eigene Gaststätte geschaffen.

Im Kaufhaus Knop, früher Kaufhaus Brühl, wurden sämtliche jüdischen Angestellten entlassen und durch „vollarische“ Angestellte ersetzt. Auch viele andere Geschäfte kündigten den jüdischen Verkäufern und Verkäuferinnen. In den meisten Fällen verlangt der Vertrauensrat die Entlassung, da es angeblich den arischen Angestellten nicht zugemutet werden könne, mit Juden zusammen zu arbeiten. Oft zahlten die Chefs den Angestellten bei fristloser Entlassung 3 Monate Gehalt aus. Ein gekündigter Angestellter sagte dem Chef, daß er ja wie ein Verbrecher auf die Straße gesetzt werde. Wenn es ihm nicht einmal erlaubt sei, die 3 Monate abzuarbeiten, wolle er die Abfindungssumme nicht annehmen. Er brauche kein Gnadenbrot. Der Chef versicherte ihm, daß er ihn nur ungern entlasse, aber dazu gezwungen sei, wenn er nicht boykottiert werden wolle.

Schlesien: In Bad Kudowa, das in diesem Jahre stark von jüdischen Kurgästen besucht war, nimmt die Judenhetze immer schärfere Formen an. Die jüdischen Pensionen und Hotels wurden nachts mit Aufschriften wie „Juden heraus“ beschmiert. Die Juden dürfen nur in bestimmten Pensionen und in einem Hotel, dem „Fürstenhof“ wohnen, alle anderen Pensionen und Hotels sind ihnen verboten. Man will auf alle Fälle erreichen, daß im nächsten Jahr die Juden aus Kudowa fernblei-ben. Den Besitzer des. . . wollte man zwingen, den Juden seine ärztliche Hilfe zu versagen und die Juden zu entfernen. Er erklärte aber, daß er Arzt sei und sich verpflichtet fühle, allen kranken Menschen nach Möglichkeit zu helfen. Für ihn als Arzt gebe es weder Rassen- noch Klassenunterschiede, er lasse sich auf keinen Fall verbieten, Juden zu behandeln. Die abgesandten Herren zogen nach dieser geharnischten Erklärung ab und wollten sich höheren Orts beschweren. Bisher ist aber nichts unternommen worden.

Rheinland-Westfalen: Die Judenhetze geht weiter. In Remscheid hat die Ehefrau eines Nationalsozialisten bei einem Juden Einkäufe für den täglichen Haushalt gemacht. Sie hatte den Kaufpreis nicht voll entrichtet. Der jüdische Geschäftsmann verklagte den Ehemann auf Zahlung des Restes. Der Mann verweigerte die Zahlung der Restschuld, da es ihm als Nationalsozialisten nicht zugemutet werden könne, für häusliche Einkäufe seiner Ehefrau in einem jüdischen Geschäft einzustehen. Das Amtsgericht in Remscheid wies die Klage des Juden ab. Zur Begründung wurde gesagt, daß sich die Erkenntnis allgemein durchgesetzt habe, daß deutsche Volksgenossen nicht beim Juden kaufen dürften. Die Bindung eines deutschen Ehemannes an einen solchen Vertrag müsse deshalb regelmäßig als unzumutbar angesehen werden.

Hier sind alle Leute überzeugt, daß dieses Beispiel Schule machen und daß sich jetzt noch mehr „deutschblütige“ Ehefrauen bei Juden Waren pumpen werden, die ihre Ehemänner nicht zu bezahlen brauchen.

Württemberg: Die jüdischen Viehhändler werden in jeder Weise schikaniert. Ich kenne einen solchen Mann, der seit Jahrzehnten ortsansässig ist, bei den Bauern der Umgegend einen guten Ruf genießt und noch immer Geschäfte macht. Er bekommt jedes Vierteljahr den Besuch eines Landjägers, der ihm bekanntgibt, er müsse seinen Stall sofort neu tünchen lassen. Auf den tadellosen Zustand des Stalles wird dabei gar nicht geachtet.

Die nachfolgenden Berichte aus Oberschlesien schildern die nach Ablauf der „Genfer Konvention“ erfolgten Pogrome und die gegenwärtige Situation (siehe auch Heft 7/1937, Seite A 30-31):

1. Bericht: Das besitzende Judentum hat sich auf den Ablauf der Genfer Konvention vorbereitet. Zahlreiche Geschäfte wurden aufgelöst oder an Arier verkauft. Aber es blieben dennoch viele Juden zurück, vorwiegend kleinere Geschäftsleute, an denen sich die Nazis austoben konnten. Der „Stürmer“ gab zum Ablauf der Genfer Konvention eine Sondernummer heraus, die in vielen Betrieben und bei allen Behörden verbreitet wurde und wüste Verleumdungen gegen die oberschlesischen Juden enthielt. Die Schutzpolizei in Gleiwitz, Beuthen und Hinden-burg war angewiesen, „Judenlisten“ anzufertigen, die den Nazi-Organisationen ausgehändigt wurden. Am 28. und 29. Juli brachen in ganz Oberschlesien Pogrome aus.

In Beuthen wurden die Ausschreitungen im SA-Heim vorbereitet. Man wählte durchwegs Burschen von 12 bis 15 Jahren aus, die von der dortigen Frauenschaft in Uniform angeführt wurden. Sie schlugen die Scheiben und Türen der Synagoge ein, beschmierten die Wände, überrannten den Synagogendiener, verprügelten ihn und vernichteten viele Gegenstände. Die Polizei sah dem Treiben zu, ohne einzugreifen. Als die Tat vollzogen war, sperrte man aber das Gebiet in weiterer Umgebung ab, niemand durfte in die Nähe.

Inzwischen ist die Synagoge in polnischen Besitz übergegangen und nach einer Intervention des polnischen Generalkonsuls in Oppeln auf Staatsunkosten repariert worden. Nach dem Sturm auf die Synagoge rottete sich die HJ auf dem Beuthener Ring zusammen und stürmte ein Obstgeschäft, das einem Juden gehört, warf die Waren auf die Straße, plünderte und vertrieb den Inhaber, der sich an die Schutzpolizei gewendet hatte, aber von ihr abgewiesen worden war. Ein anderer Teil der Hitlerjugend sammelte die Beute von der Straße und verschwand damit, ohne daß die Schutzpolizei auch nur einen Versuch unternahm, einzuschreiten. Erst, als die Hitlerjugend sich entfernte und die Bevölkerung sich vor dem Geschäft ansammelte und ihrer Empörung deutlich Ausdruck verlieh, erschien ein Polizeikommando und vertrieb die Zuschauer. Man erklärte, daß der Jude provoziert habe und nach Polen geflohen sei. - Vor den jüdischen Geschäften wurde das Publikum teils photographiert, teils am Einkauf gehindert. Käufer, die dennoch in die Geschäfte eintraten, wurden von der Polizei gestellt. In das Eisengeschäft Leipziger, Beuthen, drang die Hitlerjugend ein und entwendete dort Solinger Stahlwaren und Silberbestecke. Im Pelzgeschäft Steinhauer, Beuthen, wurde geplündert. Die Aktionen gegen andere jüdische Geschäfte dauerten noch einige Tage, ohne daß die Polizei eingriff, vielfach wurden die Plünderer von SA-Leuten begleitet.

In Klausberg bei Hindenburg legte man dem Holzhändler Schiro-kauer und dem Gastwirt Brauer schon vor dem 15. Juli nahe, den Ort zu verlassen. „Es werde sonst etwas geschehen.“ Tatsächlich wurden eines Nachts die Unternehmen dieser beiden Leute überfallen. Der Sachschaden an ausgeschlagenen Fensterscheiben wird auf mehrere hundert Mark geschätzt. Die Wände wurden mit Teer-Inschriften beschmiert: „Juden heraus!“

Der „alte Kämpfer“ Negel in Klausberg hat auf der Hauptstraße ein Haus, in dem sich zwei jüdische Geschäfte befinden. Er wurde aufgefordert, die Leute hinauszuwerfen. Da er sich weigerte, erschienen am 1. August Hitler-Jungen und versuchten, die Geschäfte mit antisemitischen Plakaten zu versehen. Negel verprügelte die Lausbuben. Es kam SA und Polizei; Negel wurde verhaftet und soll vor ein Parteigericht gestellt werden. - An einem Klausberger Markttag Anfang August wurden sämtliche jüdischen Marktstände umgeworfen. Die Juden wurden verprügelt und vertrieben. Halbuniformierte Hitlerjungen erschienen vor dem Mehlgeschäft Schneemann in Klausberg und klebten Transparente an: „Ein Volk, das die Juden zu Herren macht, geht zugrunde!“ - „Wer bei einem Juden kauft, ist ein Lump!“ - „Kauft nicht bei Juden, denn wer bei Juden kauft, ist kein Deutscher!“ Wie später durch die Indiskretion von SA-Leuten bekannt wurde, hat die Konkurrenz des Schneemann Plakate und Kleister an die Hitler-Jugend geliefert.

In Hindenburg begann die Aktion gegen die Juden damit, daß SA in den Geschäften arischer Kaufleute erschien und das Aushängen von Plakaten forderte mit der Aufschrift: „Juden unerwünscht!“ Nur in den seltensten Fällen wurde dies abgelehnt. - In dem jüdischen Gasthaus Eisner, Hindenburg, in dem Postbeamte, Eisenbahner und Magistratsangestellte verkehrten, erschienen SA und Polizei und nahmen die Personalien der Anwesenden auf. Es wurde ihnen die Entlassung aus dem Dienst angedroht. Als im jüdischen Farbengeschäft Kuttner, Hindenburg, ein Malerlehrling Einkäufe besorgte, warf man ihm das Fahrrad um und verschüttete die Farben. Die Polizei stellte seine Personalien fest und nahm ein Protokoll darüber auf, wer ihn zum Juden geschickt habe. - Die Aktionen in Hindenburg werden von dem SA-Führer und Vertrauensrat der Redenhütte, Hartwieger, geleitet. Der Arbeitsamtsangestellte Baganz, der vom Magistrat wegen Unterschlagungen entlassen worden ist, fuhr Hitlerjungen mit dem Auto in Hindenburg herum. Vor jüdischen Geschäften ließ er sie im Massenchor rufen: „Juden müssen heraus!“ Die Polizei sah den Dingen zu, ohne einzugreifen. Unter Begleitung von SA-Leuten gingen Hitlerjungen herum, rissen die Türen jüdischer Geschäfte auf und schrien: „Juden müssen heraus!“ Als die Inhaberin des Konfektionsgeschäftes Himmelfärb sich gegen die Jungens wendete, wurde sie von ihnen und einigen SA-Leuten mißhandelt. Die Grün- und Park-Anlagen dürfen von Juden nicht betreten werden. Am 29. Juli wurden in den Abendstunden die Jüdinnen Kohn und Goldmann auf der Kampfbahnallee mißhandelt und zum Verlassen der Allee gezwungen.

Bei verschiedenen SA-Leuten und in den Betrieben fanden diese Aktionen keine Billigung. Die Anführer sind als zweifelhafte Ehrenmänner bekannt.

Zu den Aktionen in Tost und Gleiwitz wurden SA-Leute aus Klausberg und Hindenburg abkommandiert, weil die dortige SA nicht mitmachen wollte.

In der Bevölkerung sagt man: „Hitler muß schon am Ende sein; was macht er, wenn die Judenhetze nicht mehr zieht?"

2. Bericht: Seit Ablauf der Genfer Konvention wurde in Oberschlesien 52 jüdischen Notaren die Notariate entzogen. In der gleichen Zeit sind 25 jüdische Gastwirtschaften „wegen Schmutz und Unsauberkeit im Betrieb“ geschlossen worden. Bemerkenswert ist, daß man den Besitzern zunächst Nazis als Käufer schickte und als sie nicht bereit waren, den ihnen gebotenen, lächerlich geringen Kaufpreis anzunehmen, wurde darauf der Betrieb polizeilich geschlossen.

Der Polizeipräsident von Gleiwitz erließ ein Rundschreiben an die jüdischen Geschäftsinhaber, daß er es künftig ablehnen müsse, den Juden Schutz zu gewähren, sie müßten sich beeilen, ihre Unternehmungen zu liquidieren. Jüdische Geschäfte, Restaurants und Gastwirtschaften seien der Polizei als Herde der Meckerei bekannt. - Auf Aufforderung der Arbeitsfront entließ die Brauerei Schultheiß-Patzenhofer in Hindenburg alle jüdischen Angestellten, Arbeiter und Filialleiter. Die jüdischen Angestellten verlangten bei der Arbeitsfront, deren Mitglieder sie sind, Rechtsschutz. Sie erhielten die Antwort, daß man für Juden nichts tun könne.

Aus zahlreichen Ortschaften wird berichtet, daß jetzt die Gestapo nachforsche, ob von jüdischen Geschäftsleuten während der Dauer der Genfer Konvention nicht Rassenschande getrieben worden sei. - Gegen einige Personen, die Oberschlesien bereits verlassen haben und sich im Ausland befinden, wurden Steckbriefe erlassen, obgleich man ihnen vorher Pässe ausgestellt hatte, da gegen sie nichts vorlag.

Einige in den X-Werken beschäftigte Arbeiter ließen sich von einem jüdischen Arzt behandeln, der als Kriegsteilnehmer bei der Krankenkasse zugelassen ist. Der Vertrauensrat verbot ihnen das. Als sie sein Verbot nicht beachteten, verkündete der Vertrauensrat durch einen Aushang: die Arbeiter. . . seien für ein halbes Jahr „aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen“, weil sie mit Juden verkehrt hätten. In der Belegschaft wurde viel über diesen Fall diskutiert. Die „aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossenen“ Arbeiter sind weiter an ihren bisherigen Arbeitsstellen tätig. Oft kann man jetzt hören: „Willst Du von den Nazis fort, dann geh zu einem jüdischen Arzt und man schließt Dich endlich aus der Volksgemeinschaft aus!“ Es ist für die Stimmung bezeichnend, daß die Ausgeschlossenen immer wieder mit Augenzwinkern gefragt werden, wie es ihnen außerhalb der Volksgemeinschaft ergeht.

Baum wird geladen...