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Chronik und Quellen
1937
Februar 1937

Das Gestapa berichtet aus Berlin

Das Gestapa erstattet aus Berlin folgenden (undatierten) Bericht für den Zeitraum 1. Oktober 1936 bis 28. Februar 1937:

Spanienflüchtlinge

Infolge der Unruhen in Spanien sind etwa 7 bis 8.000 deutsche Reichsangehörige mit Flüchtlingstransporten nach Deutschland zurückgekehrt. Unter den Flüchtlingen befanden sich auch eine Anzahl Personen - u.a. etwa 60-70 Juden -, die aus politischen Gründen nach der Machtübernahme das Reichsgebiet verlassen hatten. Um sich den für Emigranten vorgesehenen Schulungsmaßnahmen zu entziehen, hat der größte Teil dieser Emigranten das Reichsgebiet sofort wieder verlassen, so daß nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl - etwa 30-40 - der aus Spanien zurückgekehrten Emigranten in Schulungshaft genommen worden ist. Wie festgestellt werden konnte, haben viele jüdische Emigranten im Hinblick auf die ihnen bei der Einreise ins Reichsgebiet drohende Schulungshaft sich von vornherein in andere Asylländer insbesondere nach Frankreich und England begeben. (…)

 

Juden

Versammlungstätigkeit

Die Anfang des Jahres stattgefundenen Neuwahlen des Vorstandes der ''Berliner Jüdischen Gemeinde'' hatten eine rege Versammlungstätigkeit der jüdischen Organisationen zur Folge. Um die zionistisch eingestellten Verbände in ihrer Propaganda zu unterstützen, wurde ihnen in einigen Fällen in Abweichung von dem für Sonn- und Feiertage bestehenden Versammlungsverbot gestattet, auch an diesen Tagen Versammlungen einzuberufen.

Nach der Neuwahl setzt sich der Vorstand aus 3 Liberalen, 3 Zionisten und 1 Konservativen zusammen. Von einer zahlenmäßigen Verstärkung der zionistischen Vertreter im Vorstand auf Kosten der Liberalen bezw. Konservativen durch staatspolizeiliche Maßnahmen ist abgesehen worden, da die Liberalen, deren Anhänger in der Gemeinde sich auf etwa 55.000 Juden belaufen, für diesen Fall ihren Austritt aus der jüdischen Gemeinde erklärt haben würden.

Während die Versammlungen der zionistischen Organisationen ohne Beanstandungen verliefen, mußte über zahlreiche Redner des ''Jüdischen Centralvereins '' Redeverbot verhängt werden, weil sie in öffentlichen Versammlungen in einer mit der Zielsetzung der Reichsregierung unvereinbaren Weise die Versammlungsmitglieder zum Verbleiben in Deutschland aufgefordert hatten.

Darüber hinaus ist der jüdische Centralverein mit allen Mitteln bestrebt, das Judentum in Deutschland zu erhalten, indem er Kommissionen, wirtschaftliche Einrichtungen sowie Rechtsberatungsstellen gründet, die als Gegengewicht zur Deutschen Arbeitsfront angesehen werden müssen. Neuerdings konnte festgestellt werden, daß der Centralverband Schlichtungsstellen eingerichtet hat, durch die er versuchen will, Streitigkeiten unter Juden vor Erhebung der Klage auf gütlichem Wege beizulegen. Wie aus einem Rundschreiben ersichtlich ist, beschränkt der Centralverein hierbei seine Tätigkeit nicht allein auf seine eigenen Mitglieder, sondern fordert darüberhinaus auch Juden anderer Verbände auf, von dieser Einrichtung Gebrauch zu machen. Der Centralverein gibt damit klar zu erkennen, daß er auch auf zionistische Kreise Einfluß zu nehmen versucht und somit diesen Kreisen gegenüber nicht mehr als trennendes sondern als bindendes Element angesehen werden muß. Bei dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern ist daher der Antrag gestellt worden, den Jüdischen Centralverein aufzulösen. Die bisher von dem Herrn Reichs- und Preußischen Minister des Innern geäußerten Bedenken, daß bei einer Auflösung des Centralvereins eine Verstärkung der jüdischen Opposition zu befürchten sei, dürfte nicht mehr zutreffen, da auch innerhalb des zionistisch eingestellten Judentums hinreichend Gegensätze vorhanden sind, die geeignet sind, die Aufmerksamkeit der Juden von anderen politischen Fragen abzulenken.

Der ''Reichsbund jüdischer Frontsoldaten '' ist durch Erlaß des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei vom 9.10.1936 auf sein eigentliches Tätigkeitsgebiet, die Betreuung jüdischer Kriegsopfer, beschränkt worden. Eine andere Betätigung als die Betreuung jüdischer Kriegsopfer, insbesondere auf jüdisch-politischem Gebiet, ist dem Reichsbunde jüdischer Frontkämpfer nicht mehr gestattet. Auch ist es ihm verboten worden, die Abkürzung ''RjF'' weiter zu führen, da diese Abkürzung von der Reichsjugendführung geführt wird und daher Anlaß zu Verwechslungen geben kann.

Diese Maßnahme ist im übrigen auf alle Bezeichnungen der Partei und NS-Gliederungen erstreckt und somit allen jüdischen Organisationen verboten worden, ihre Organisationen in gleicher oder ähnlicher Weise zu bezeichnen.

Zur restlosen Durchführung der sich aus den Nürnberger Gesetzen ergebenden grundsätzlichen Behandlung von Juden und Mischlingen beabsichtigt der Sonderbeauftragte des Herrn Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda für die geistige Überwachung des Judentums einer Anregung des Geheimen Staatspolizeiamtes entsprechend, alle Volljuden und alle mehr als 50%igen Mischlinge aus dem ''Paulusbund '' (Vereinigung der nichtarischen Christen) auszuschließen. Den davon Betroffenen soll anheim gestellt werden, sich dem jüdischen Kulturbund anzuschließen, der zur Aufnahme dieser Juden und Mischlinge verpflichtet wird.

 

Auswanderung

Durch Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Juden und insbesondere im Hinblick auf die geringe Erwerbsmöglichkeit der jüdischen Jugendlichen in Deutschland ist die Zahl der Auswanderungswilligen ständig im Wachsen begriffen. Nach Mitteilung des Palästina -Amtes Berlin der Jewish Agency for Palestine sind im ersten Halbjahre 1936 über die Häfen Haifa und Jaffa 4.396 Personen nach Palästina eingewandert. Diese Zahl erhöht sich noch um die im gleichen Zeitraum in Palästina legalisierten Touristen (327), sodaß die offizielle Statistik 4.723 legale jüdische Einwanderer aus Deutschland in den Monaten Januar bis Juni 1936 umfaßt. Bis Mitte September d.Js. sind bereits weitere 2.300 Juden aus Deutschland nach Palästina eingewandert. Die offizielle Statistik für das Jahr 1936 steht noch aus.

Um die Auswanderungsmöglichkeit nach Südafrika noch vor Inkrafttreten der neuen Einwanderungsbestimmungen, die eine Einwanderungsbeschränkung vorsehen, voll auszunutzen, hat der ''Hilfsverein der Juden in Deutschland '' mit finanzieller Unterstützung der ''Berliner Jüdischen Gemeinde'' den ''Dampfer Stuttgart'' des Norddeutschen Lloyd gemietet und weitere etwa 550 Juden noch vor dem Stichtage in Kapstadt landen können.

Wie aus den Pressemeldungen ausländischer Zeitungen ersichtlich ist, wird der weitere Zuzug von Juden auch von anderen Staaten in zunehmenden Maße als unerwünscht bezeichnet und Maßnahmen empfohlen, durch die der Einwanderung wirksam vorgebeugt werden kann. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Begründung der portugiesische Regierung ''daß die für das nationalsozialistische Deutschland lästigen Juden für Portugal ebenso unerwünscht seien''.

 

Umschichtung und Umschulung

Nach den Bestimmungen über die Einwanderung von Juden nach Palästina erhalten nur solche mittellose Einwanderer vom Palästina-Amt der Jewish Agency for Palestine auf Grund der Einwanderungsgesetze die Einwanderungserlaubnis (Zertifikat ), die eine entsprechende Vorbildung in Landwirtschaft, Gärtnerei oder Handwerk nachweisen können. Im Interesse der Auswanderung und einer einheitlichen Regelung der damit zusammenhängenden Fragen beabsichtigt der Reichsnährstand unter Aufgabe seiner bisherigen Bedenken, der ''Reichsvertretung der Juden in Deutschland '' Gelegenheit zu geben, junge auswanderungswillige Juden in der Landwirtschaft auszubilden. Die Ausbildung soll entsprechend der bisherigen Praxis sowohl in jüdischen Betrieben als auch in einer beschränkten Anzahl anderer Betriebe erfolgen, vorausgesetzt, daß deutschblütige Angestellte hierdurch nicht von ihren Arbeitsplätzen verdrängt werden. Nach Genehmigung dieses Vorschlages durch den Reichsbauernführer ist zu erwarten, daß jährlich mindestens rund 3.200 jugendliche Juden nach Palästina auswandern werden.

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