Menü
Chronik und Quellen
1935
September 1935

Das Gestapa Sachsen berichtet aus Dresden

Das Gestapa Sachsen erstattet aus Dresden folgenden undatierten Bericht für September 1935:

Die Judenpolitik, die wesentlich das innenpolitische Gesicht der letzten Monate bestimmte, hat demgegenüber nach dem Erlaß der Reichstagsgesetze an Beachtung verloren. (…)

 

Einzelberichte

Kultur, Kirche und Wirtschaft - Kultur

Durch Erlaß des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre ist nunmehr die Möglichkeit gegeben, auf gesetzlicher Grundlage der blutsmäßigen Zersetzung des deutschen Volkes noch stärker Einhalt zu gebieten als bisher. Wie notwendig dies war, geht aus der Tatsache hervor, daß allein in Sachsen bisher 184 Personen (Arier und Juden) wegen Rassenschande in Schutzhaft genommen worden sind, davon 30 im Berichtsmonat. In weiteren 21 Fällen werden die Erörterungen ergeben, inwieweit ein Einschreiten gerechtfertigt erscheint. Sogar arische Ehefrauen haben sich in 4 Fällen bis zum außerehelichen Geschlechtsverkehr mit Juden herabgelassen. In Leipzig wurde bereits ein Jude auf Grund des Judengesetzes vom 15.9.1935 der Staatsanwaltschaft wegen Rassenschande zugeführt. Auch in diesem Falle war die Arierin Ehefrau und Mutter von 3 Kindern. Zu bemerken ist weiter als besondere Artvergessenheit, daß in Chemnitz ein arisches Mädchen mit 2 Negern (Span. Marokko) 3 Bastarde zeugte, wovon 2 noch leben. Als Erziehungsmaßnahme werden den in Leipzig in Schutzhaft befindlichen arischen Frauen und Mädchen Vorträge des Kreisbeauftragten des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP über Art und Volk gehalten. (…)

 

Judentum

Die gesetzgeberischen Maßnahmen gegen das Judentum sind in jüdischen Kreisen ohne bemerkenswerte Unruhe hingenommen worden. Die hauptsächliche Auswirkung der Gesetze auf die tagespolitische Lage dürfte das fast völlige Aufhören von wilden Aktionen gegen Juden sein. Die Frage der Rassenschande bedarf nach wie vor größter Beachtung. Es mußten noch im September 30 Personen wegen derartiger Delikte in Schutzhaft genommen werden. Für die Zusammenhänge zwischen Rassenschande, Ausländertum, Kriminalität und illegalem politischen Kampfe ist die folgende Übersicht über die Erörterungen gegen Rassenschänder 1935 in Leipzig bezeichnend:

Bisher wurden dort insgesamt 73 Juden, darunter 16 Polen, 1 Österreicher, 4 Tschechoslowaken, 2 Ungarn, 1 Engländer und 17 staatenlose Juden rasseschänderischer Verkehr nachgewiesen. Besonders wird bemerkt, daß gegen mehrere wegen Rassenschande in Schutzhaft befindlicher Juden Verfahren wegen krimineller Verfehlungen, Eigentumsvergehen und Betätigung für die illegale SAP und KPD eingeleitet worden sind. Andererseits hat sich bei einer Vernehmung herausgestellt, daß sich ein Jude in den Reichsluftschutzbund eingeschmuggelt hatte. Diese Angelegenheit wird weiter verfolgt.

Daß die antisemitische Propaganda durch planmäßige weltanschauliche Unterrichtung besser gefördert wird als durch unüberlegte Einzelaktionen , wurde durch den Massenbesuch einer Versammlung des Stellvertreters des Gauleiters Streicher , Pg . Holz - Nürnberg in Leipzig aus allen Kreisen der Bevölkerung erneut unter Beweis gestellt. - Die Gendarmerieberichte für den Monat August haben ein umfassendes Bild von den schweren Auswirkungen des Judenboykotts auf gewisse Teile der sächischen Wirtschaft - Textil-, Pelz-, Spielwarenindustrie gegeben. Solche Klagen sind auch im September noch nicht verstummt. Es scheint jedoch, daß die im September erfolgte Gesetzgebung auf dem Gebiet der Auseinandersetzung mit dem Judentum diese nachteiligen Auswirkungen auf wirtschaftlichem Gebiete keineswegs verstärkt hat. Infolge des Rückganges der offenen Aktionen gegen jüdische Geschäfte mußte in Leipzig und in Chemnitz wieder eine leichte Zunahme der Besucherzahl jüdischer Kaufhäuser festgestellt werden.

In Dresden ist die Beobachtung gemacht worden, daß Zettel angeklebt bzw. verbreitet wurden, in denen für die Juden Stellung genommen wird. Es besteht der dringende Verdacht, daß die Zettel von Juden selbst angefertigt worden sind. Die Erörterungen in dieser Angelegenheit sind noch nicht abgeschlossen.

Während in Dresden eine sehr lebhafte Versammlungstätigkeit der Juden zu bemerken war, gab es in Leipzig, Chemnitz, Zwickau und Plauen verhältnismäßig wenig jüdische Veranstaltungen und Versammlungen. Übereinstimmend melden Leipzig und Dresden, daß die Juden versuchen, sich mehr und mehr zusammenzuschließen, wobei sogar Standesunterschiede eine untergeordnete Rolle spielen.

Das für die Assimilanten bestehende Versammlungsverbot wurde überall eingehalten. Auffallenderweise ist der Assimilantenführer Landgerichtsrat a.D. Dr. Kurt Cohn , Chemnitz, Weststraße 47, Vorstandsmitglied des jüdischen Kulturbundes in Chemnitz geworden. Es besteht die Möglichkeit, daß die Assimilanten sich innerhalb des Kulturbundes zusammenfinden und so getarnt ihre unerwünschte Arbeit fortsetzen.

Die zionistischen Versammlungen im September standen ausnahmslos unter dem Einfluß des in Zürich veranstalteten Zionistenkongresses. Die Staatszionisten konnten bisher in Sachsen noch keine wesentlichen Erfolge erzielen. Der Besuch ihrer Versammlungen ist stets außerordentlich schwach. In Chemnitz hat sich ein gewisser Joel Klingner von ihnen getrennt und beabsichtigt nunmehr eine deutsche Ortsgruppe der von Wien aus geleiteten ''Judenstaatspartei'' zu gründen.

Wie schon in den Vormonaten, so sind es auch diesmal wieder die einzelnen jüdischen Jugendgruppen , die eine sehr rege Versammlungs- bezw. Veranstaltungstätigkeit entfalteten. Im einzelnen traten nachstehende jüdischen Vereine mit Veranstaltungen hervor:

1) Sportverein Bar Kochba ,
2) Makkabi Hazair,
3) Haschomer Hazair ,
4) Habonim ,
5) Hechaluz ,
6) Machzike Thora ,
7) Krankenhilfsverein Mischenes Chaulim,
8) Jüdischer Schulverein in Dresden,
9) Verband jüdischer Frauen für Palästinaarbeit ,
10) Verein polnischer Staatsbürger jüdischen Glaubens ,
11) Sportverein Schild ,
12) Zeire Misrachi ,
13) Zionistische Ortsgruppe Dresden.

Auch in diesen Veranstaltungen machte sich das Bestreben der Juden bemerkbar, sich enger zusammenzuschließen.

 

Wanderungsbewegung der Juden

Im Gegensatz zu Leipzig, das im August einen Zuzug von 66 und im September einen Zuzug von 57 Juden hatte, wird von Chemnitz berichtet, daß 30 Juden weggezogen und nur zwei neue in die Stadt gekommen sind: Ein neuer Beweis dafür, daß das deutsche Judentum danach strebt, sich an einigen großen Plätzen zusammenzufinden.

Für die Abwanderung aus Leipzig nach dem Ausland sind folgende Zahlen ermittelt worden:

1925 gab es in Leipzig ca. 13.300 Juden, während heute noch etwa 10.000 Juden vorhanden sind. Ca. 800 Juden sind vermutlich nach Palästina gegangen, die übrigen nach einem anderen Lande.

 

Schutzhaft (…)

Wegen Rassenschande wurden insgesamt 58 Personen festgenommen. Insoweit es sich bei ihnen um ausländische oder staatenlose Juden handelte, wurde unverzüglich die Reichsverweisung eingeleitet und in fast allen Fällen auch durchgeführt. Bis zum Zeitpunkt ihrer Abschiebung wurden sie im zuständigen Polizeigefängnis verwahrt. Die Juden deutscher Reichsangehörigkeit wurden ins Schutzhaftlager Sachsenburg überführt. Gegen die würdelosen Frauen wurde im allgemeinen eine 1monatige Schutzhaft verfügt, nur in schweren Fällen wurden sie ins Frauenkonzentrationslager Moringen gebracht.

Baum wird geladen...