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Chronik und Quellen
1937
Dezember 1937

Bericht des SD-Oberabschnitts Süd II 112

Ohne Datum berichtet der Sicherheitsdienst des SD-Oberabschnitts Süd für das Jahr 1937 aus München:

Drei wesentliche Ereignisse sind es, die im Jahre 1937 als Marksteine im jüdischen Leben stehen und die Entwicklung zu größten Teile bestimmt haben: Die Auflösung der UOBB -Logen, der Zionistenkongreß und der Bericht der königlichen Kommission (Peel-Plan).

Die Auflösung der UOBB-Logen samt Nebenorganisationen und das daran geknüpfte zweimonatliche Versammlungsverbot für sämtliche jüdische Organisationen, welches in Bayern derart straff gehandhabt wurde, daß praktisch ein Betätigungsverbot daraus wurde, brachte die in breiten Kreisen des bayerischen Judentums verbreitete Ansicht zu Fall, daß die Entwicklung mit der Verknüpfung der Nürnberger Gesetze ihren Höhepunkt überschritten hätte.

Es kam in der Folgezeit zu einem vorübergehenden Aufschwung der zionistischen Gruppen, die jedoch in Bayern nie eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Dieser Entwicklung wurde durch die neu aufflackernden Unruhen in Palästina ein jähes Ende bereitet. Der Bericht der königlichen Kommission - der Peelplan - und die darin vorgeschlagene Aufteilung des Mandats in Verbindung mit den Unruhen in Palästina, hemmten die Tätigkeit der Zionisten und ließen die Auswanderung nach Palästina nahezu vollkommen erliegen. Im Anschluß an diese Ereignisse ist eine vollkommene Unsicherheit in den jüdischen Reihen festzustellen, die auch durch den Züricher Zionistenkongreß und die daran anschließende Tagung der ''Jewish Agency '' nicht behoben werden konnte.

Die Reaktion der Juden in Bayern ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Trotz des verstärkten Druckes war eine Verstärkung der assimilatorischen Tendenzen festzustellen. Das Schwergewicht des jüdischen Lebens wurde auf kulturelle und sportliche Richtung verlagert. Öffentliche Veranstaltungen wurden vermieden, es wurde dazu übergegangen politische Fragen im internen Kreise zu erörtern. Die große Zahl der Anmeldungen von ''Vorstandssitzungen - Ausschußsitzungen'' usw. ist kennzeichnend für diese Entwicklung.

Der Umschulung und Weiterbildung der jugendlichen sowie auch der erwachsenen Juden wurden erhöhte Aufmerksamkeit und Geldmittel zugewandt.

Der größte Teil der bayerischen Juden hat sich zu der Auffassung durchgerungen, daß es besser sei, in Deutschland ein einigermaßen wirtschaftlich gesichertes Leben als Staatsbürger II. Klasse zu führen, als ein ungewisses Schicksal zu wählen mit der Gefahr, daß sich in absehbarer Zeit auch im Immigrationslande die Verhältnisse analog den deutschen entwickeln.

Im Wirtschaftsleben ist der jüdische Einfluß noch immer sehr beträchtlich. Einzelnen Geschäftsauflösungen und Arisierungen jüdischer Geschäfte stehen auf der anderen Seite sprunghafte Umsatzerhöhungen bis zu 100% und mehr gegenüber.

Die Erfordernisse des Vierjahresplanes rechtzeitig erkennend, ist es sogar vielfach gelungen, sich in einzelnen Wirtschaftszweigen nahezu unentbehrlich einzuschalten. Die Kontingentierung gewisser Rohprodukte auf Basis des Geschäftsumsatzes von 1931 hatte gute Gelegenheit geboten, sich fest in den Sattel zu setzen. Bezeichnend ist z.B. auch, daß im Textilhandel die jüdischen Firmen bei der Umstellung auf Ersatzstoffe vorangingen und sich so einen Vorsprung sichern konnten.

Im Viehhandel ist der jüdische Einfluß fast ungebrochen. Lediglich in Mainfranken ist es im letzten Viertel des Jahres gelungen, mit Hilfe von Sonderbestimmungen zum Schutze gegen die Ausbreitung von Maul- und Klauenseuche, die jüdische Vormachtstellung zu durchbrechen. Ob diese Maßnahmen auf die Dauer aber aufrecht erhalten werden können, ist zur Zeit noch nicht zu übersehen. Feststeht lediglich, daß es Juden in den meisten Fällen gelungen ist, bereits entzogene Viehhandelsscheine über die betreffende Regierung wieder zu erhalten.

Bei allen diesen Tatsachen darf jedoch nicht übersehen werden, daß die jüdische Bevölkerung bereits stark überaltert ist und eine junge Generation in vielen Gegenden Bayerns fast nicht mehr vorhanden ist. Die Städte bilden dabei noch eine Ausnahme, doch auch hier übertrifft bereits die Sterblichkeitsziffer weit die Zahl der Geburten.

In regionaler Hinsicht brachte 1937 eine deutlich erkennbare Entwicklung zweier jüdischer Zentren in Bayern. Während die jüdisch-religiösen und kulturellen Gruppen nach Nürnberg-Fürth verlegt wurden (bezeichnend für diese Entwicklung ist die Verlegung der Landesorganisation der Agudas Jisroel nach Nürnberg) sind die jüdisch-politischen und wirtschaftlichen Interessen in München verkörpert. Es kam hierbei zur Schaffung einer ''Arbeitsgemeinschaft süddeutscher israelitischer Gemeindeverbände'', deren Interessen der Vorstand des ''Bayerisch isr. Gemeindeverbandes'' Landgerichtsrat a.D. Dr. Neumayer vertritt.

In Mittel-, Unterfranken und Schwaben geht eine ständige Verschiebung der jüdischen Bevölkerung von Stadt in Landgemeinden vor sich, wobei hauptsächlich Juden beteiligt sind, die noch über Privatvermögen verfügen und glauben, in diesen kleinen Gemeinden weniger belästigt zu werden. Auch die nicht zu unterschätzende moralische Unterstützung der Kirchen , die sich natürlich in bäuerlichen Gegenden bedeutend stärker auswirkt, denn in Städten, dürfte hier mitbestimmend sein.

Die Auswanderung ist praktisch zum Stillstand gekommen. So waren z.B. in München zu Beginn des Jahres 37 cirka 9.100 Juden gemeldet, anfangs Dezember sind es noch immer 8.860 Juden; der Abgang beträgt demnach 240 Juden oder 2,2%. Berücksichtigt man die darin enthaltede Binnenwanderung , die in Bayern nach Aufstellungen des ''Jüdischen Gemeindeblattes'' recht beträchtlich ist, sowie die Abnahme der jüd. Bevölkerung durch eine hohe Sterblichkeitsziffer, so kommt klar zum Ausdruck, daß eine nennenswerte Auswanderung im Berichtsjahre nicht stattgefunden hat.

Das Ende des Jahres 1937 brachte in Franken noch ein besonderes Weihnachtsereignis in Form eines Judenboykottes. Gauleiter Streicher ließ am 16.12. in der Parteipresse Frankens eine Veröffentlichung erscheinen in der es u.a. heißt: ''Die Juden wollen den Boykott , sie sollen ihn haben!''

In der Bevölkerung wurde dieser Boykott mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Während der nationalsozialistisch eingestellte Teil der Bevölkerung den Boykott begrüßte, wird besonders in Wirtschaftskreisen lebhafte Kritik daran geübt, wobei die unterschiedliche Behandlung in den Vordergrund gestellt wurde. (Von dem Boykott wurden nur die jüdischen Einzelhandelsgeschäfte betroffen.) Auch die vielen Aufträge, die von Staat und Wehrmacht noch an jüdische Großfirmen vergeben werden waren Hauptargumente dieser Kreise gegen den Boykott.

Die Durchführung des Boykottes stieß zum Teil auf aktiven Widerstand Einzelner, wobei es verschiedentlich zu Zusammenstößen kam, die zum Teil blutig endeten.

In jüdischen Kreisen wurde diese Maßnahme als Beweis der Richtigkeit ausländischer Zeitungsmeldungen aufgenommen, die besagen, daß der Staat die Initiative in der Judenfrage den einzelnen Gauleitern anheim gestellt habe.

Verschiedene behördliche Anordnungen und Erlasse haben den Tätigkeitsbericht der assimilatorischen Verbände und Vereine im Berichtsjahr weiter eingeschränkt. Eine Schwächung des assimilatorischen Einflusses ist jedoch durch diese Maßnahmen nicht eingetreten. Selbst Verfügungen, daß in den einzelnen Vereinen Zionisten in den Vorstand aufgenommen werden mußten, brachten nicht den erwarteten Erfolg. Gerade in den assimilatorischen Kreisen sind finanzkräftige Juden vertreten, da aber viele kleinen Vereine kultureller und karitativer Art auf die geldlichen Zuwendungen solcher Juden angewiesen sind, kann naturgemäß keine Ansicht vertreten werden, die im Gegensatz zu der des Geldgebers steht.

Der Einflußkreis dieser finanzkräftigen Juden geht aber noch viel weiter und ist in seinen zersetzenden Auswirkungen nur abzuschätzen, denn nur in den wenigsten Fällen ist er nachweisbar. Die zunehmende Zahl der Festnahmen und Verurteilungen wegen Verstoß gegen den Heimtückeparagraphen läßt jedoch erkennen, daß in diesen Kreisen eine eifrige gegnerische Mundpropaganda betrieben wird. Fälle, wie sie sich in der Berichtszeit ereigneten, daß z.B. ein einflußreicher Bankjude einen Antrag auf Zuerkennung der Reichsbürgerschaft stellt, oder ein anderer maßgeblicher Jude einem arischen Bauer 10.000 RM verspricht, für den Fall, daß dieser den zuständigen Kreisleiter der NSDAP erschieße, sind nicht als Einzelerscheinungen zu werten, sondern sind kennzeichnende Symptome des verstärkten assimilatorischen Einflusses.

Im Zusammenleben mit dem deutschen Gastvolke, kommt es in diesem Zusammenhange zu einer hohen Zahl von Vergehen gegen die Rassengesetzgebung. Lücken in diesen Gesetzen werden aufgespürt und ausgenützt. Mit Vorliebe werden z.B. arische Hausgehilfinnen ausländischer Staatsangehörigkeit angestellt, die nicht unter das vorgeschriebene Mindestalter fallen. Auch sonst bemühen sich viele Juden ihre Abstammung dadurch zu verschleiern, daß sie sich in amtlichen Fragebogen in der Spalte ''Religionszugehörigkeit'' als - gg - gottgläubig eintragen.

Nicht übersehen werden darf hierbei, daß selbst in nationalsozialistisch eingestellten Kreisen an der Nürnberger Gesetzgebung stark kritisiert wird. So ist es besonders die Tatsache, daß der beteiligte weibliche Teil straffrei bleibt, die dem einfachen Volke mit gesunden Rechtsgefühl unverständlich bleibt.

Als zusammenfassende Stelle der jüdischen Interessen trat der ''Verband Bayerisch-israelitischer Gemeinden'' 1937 immer mehr in den Vordergrund. Von diesem Verband sind in Bayern sämtliche Schulungs-Umschulungslager und Lehrwerkstätten weitgehend abhängig, da dieser Verband die finanziellen Lasten fast ganz trägt.

Zur Aufbringung der Geldmittel wurde dem Verband im Berichtsjahr die Erhöhung der Kirchensteuer auf 15% durch die Regierung zugebilligt.

Die notwendigen Geldmittel standen auch stets zur Verfügung, so war es dem Verband ohne weiteres möglich, im Herbst 1937 in München eine großartig und modernst ausgestattete Lehrwerkstätte zu errichten.

Auch im Rahmen des jüdischen WHV gehört Bayern zu einem sogenannten Überschußgebiet. Im Monat Oktober 37 allein wurde die Summe von cirka 40.000 RM aufgebracht.

Im Verlaufe des Jahres wurde der ''Jüdische Kulturbund '' immer stärker als Hauptträger des jüdisch-kulturellen Lebens in den Vordergrund gestellt. Mit einem ziemlich umfassenden Programm trat er vor die jüdische Öffentlichkeit. Die Darbietungen standen im Durchschnitt auf einer beachtlichen Stufe, wenn auch immer wieder der unfreiwillige Beweis erbracht wurde, daß es mit ''Jüdischer Kunst'' allein nicht geht. Das Programm stützte sich in der Hauptsache doch auf die bedeutenden arischen Komponisten, wenn man von den, im großen gesehen, mißlungenen Versuchen mit hebräischen Autoren und Komponisten absieht. Der Besuch war außerordentlich gut, nur litt die Tätigkeit des Kulturbundes darunter, daß die längste Zeit ein geeignetes Lokal nicht zur Verfügung stand, nachdem der bisher benützte Museumssaal in Büroräume umgebaut wurde.

Auch der jüdische Sportbetrieb hat 1937 eine beträchtliche Steigerung erfahren. Verschiedene gut organisierte Veranstaltungen hinterließen bei den jüdischen Zuschauern starken Eindruck. Es konnten zum Teil auch recht ansehnliche sportliche Erfolge aufgezeigt werden.

Die nach außen rührigste Gruppe der Juden stellen auch im Berichtsjahre wieder die Zionisten . Besonders die noch vorhandene jüdische Jugend ist fast restlos in den zionistischen Bünden erfaßt. Doch muß dabei berücksichtigt werden, daß die in diesen Gruppen zusammengefaßte Jugend zahlenmäßig sehr schwach ist und anderenteils noch nicht charakterlich gefestigt ist, somit anzunehmen ist, daß im gleichen Augenblick, wo sich die politische Konstellation zu Gunsten der Juden ändern würde, von dem jetzt bekundeten Auswanderungswillen nicht viel übrig bleiben würde.

Dazu sind in Bayern die Zionisten im weitgehendsten Maße von dem Wohlwollen des Verbandes ''Bayer. Isr. Gemeinden'' abhängig, da im Zionismus fast ausschließlich finanziell nicht leistungsfähige Juden zusammengefaßt sind. Schon dadurch, daß der Verband für die Unterhaltung der Umschulungsstätten aufkommen muß, ist ihm ein bedeutender Einfluß gesichert.

Die Gruppe der Staatszionisten ist an Zahl und Geldmittel zu bedeutungslos, als daß sie eine Rolle im jüdischen Gemeindeleben spielen könnte. Nur durch die behördliche Forderung auf Einschaltung dieser Gruppe, konnte der Vorstand der Staatszionisten in den jüd. Turn- u-Sportverein Itus als Vorstandsmitglied gebracht werden.

Die von den Zionisten durchgeführte ''Schekelaktion'' (Kopfsteuer, nach welcher die Zahl der Teilnehmer eines Landes am Zionistenkongreß bestimmt wird.) brachte ein finanziell gutes Ergebnis. Doch ist dieses Ergebnis nur auf die Unterstützung seitens Nichtzionisten zurückzuführen, die aus taktischen Gründen auch hier ihren Beitrag leisteten.

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