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Chronik und Quellen
1937
Dezember 1937

Bericht des SD-Oberabschnitts Süd-West II 112

Ohne Datum berichtet der Sicherheitsdienst des SD-Oberabschnitts Süd-West für das Jahr 1937 aus Stuttgart:

Im Jahre 1937 befand sich das Judentum langsam aber stetig auf dem Rückzug. Die Ereignisse in Palästina , insbesondere die Distanzierungsabsichten Englands von dem Teilungsplan, die Bildung einer antisemitischen Regierung in Rumänien, daneben aber auch die zunehmenden Einwanderungserschwerungen in vielen Staaten und die Aussichtslosigkeit einer Massenansiedlung überhaupt standen im Vordergrund der jüdischen Diskussion und gaben der Entwicklung im Jahre 1937 ihr Gepräge. Wenn früher die Haltung des Judentums im Oberabschnittsgebiet zionistisch war, so hat sich diese im vergangenen Jahr mehr und mehr zu eine assimilatorischen Einstellung gewandelt. Unverkennbar ist, daß die kompromißlose Haltung der Bewegung auch die seither indifferenten Juden zur Besinnung auf ihre Eigenart gebracht hat; das Judentum in seiner großen Mehrheit interessiert sich für die zionistische Organisation (also die Mitgliedschaft zum Zwecke des Interesses für die Auswanderung ) gar nicht. Trotz der Nürnberger Gesetze und trotz des Kampfes der Partei bleibt das Judentum immer noch fest sitzen und verhält sich abwartend. Die Grundlage zu dieser zähen Haltung ist in der Tatsache zu sehen, daß noch ein beträchtliches Vermögen der Juden im Inland investiert ist, das sie dem deutschen Volk zu ''schenken'' nicht gewillt sind; weiterhin bauen die Juden auf die Solidarität ihrer Rassegenossen im Ausland. Die Bestätigung dafür gab im April v.J. eine Jüdin aus Mannheim, die sich einige Monate in Amerika aufhielt, in dem sie sagte, daß die Juden in den Vereinigten Staaten alles daran setzen würden um Deutschland zu treffen; besonders die Hochfinanz opfere unglaubliche Summen, um die Niederringung Deutschlands zu erreichen.

Der Kampf, den die zionistische Weltorganisation führt, ist kein Kampf um Auswanderungsland, weil die Juden Bauern werden wollen, sondern ein Prestigekampf um souveräne Macht. Dies zeigt sich insbesondere daran, daß wirtschaftlich vermögende Juden sich keineswegs für die Auswanderung interessieren, mögen sie sich auch nach außen hin betont zionistisch gerieren. Die Stimmung gegen den nationalsozialistischen Staat geht deutlich aus einem Brief eines Berliner Juden an einen Freiburger Juden hervor, worin es heißt:

''Das sind Lichtblicke in der düsteren Zeit, in der des für uns weder Billigkeitsgründe noch Milderung für Härten gibt. So schwer es mir auch gefallen ist an diese Herren mit Gesuchen heranzutreten, ich habe es doch getan. Der Jude ist für sie der Verbrecher und die Juden die es nicht sind, sind ihnen nur noch gefährlicher, denn wie sollten sie sonst ihre Gesetze rechtfertigen können? Bedarf es im übrigen der Machthaber einer Rechtfertigung? Beißen wir die Zähne zusammen und lassen wir die Dinge bis auf weiteres ruhen. Eines Tages kommt der Tag, an dem, wer für schuldig befinde, zur Rechenschaft gezogen wird. Alle Schuld rächt sich auf Erden, das steht auch bereits in den 10 Geboten und diese haben voll und ganz auch heute noch ihre Gültigkeit, wenn man sich auch heute in Deutschland über sie lustig macht.''

Typisch für die geistige Haltung des heutigen Juden in Deutschland ist auch die Rede des Juden Scherek aus Berlin, die dieser im Judenhotel Tannhäuser in Baden-Baden anläßlich eines Tanzabends mit Palästinawerbung hielt:

''Nur mit Hilfe von England können wir Deutschland überrumpeln. Mit dem Hammer werden wir Deutschland zertrümmern. Ich betone immer und immer wieder nur mit England ist eine solche Tat möglich. Unsere Hoffnung ist heute so groß. Die größten Feinde sind die, die in Berlin sitzen. Man gibt uns hier keine Zeit zum sprechen, man schiebt uns so schnell wie möglich ab. Das Salz muß aufgekauft werden, um den Vierjahresplan zu versalzen. Wenn wir nicht dumm sind, müssen wir die Schlacht gewinnen. Die Landwirtschaft steht heute 75% schlechter da als je zuvor. Wenn das nicht gelingt, müssen wir andere Mittel und Wege finden um sie auf die Knie nieder zu zwingen.

Gegensätze zwischen Assimilanten und Zionisten sind wohl vorhanden; die Spannung ist aber lediglich sachbedingt. Infolge des Fehlens radikaler Führer unterblieben bisher tiefer gehende Auseinandersetzungen, auch waren die Führer beider Gruppen fast alle Mitglieder des U.O.B.B. .

Die Schläge, die das Judentum zu Anfang des Jahres 1937 durch zweimaliges Versammlungsverbot - wodurch besonders die Werbung für den 20. Zionistenkongreß und des Kongresses des V. Council des [sic] Jewish Agency in Zürich stark behindert wurde -, durch Auflösung verschiedener Ortsgruppen des ''Ring'' - Bund jüdischer Jugend - und durch die Auflösung der Logen des U.O.B.B. erhielt, haben zu einer teilweisen Änderung der Taktik der jüdischen Propaganda geführt. Im Sommer und Herbst des Jahres 1937 hat die jüdische Versammlungstätigkeit gegenüber dem ersten Halbjahr abgenommen (sie blieb nur auf die judenreichsten Städte beschränkt) an ihre Stelle traten hauptsächlich private Zusammenkünfte, wie sie von der ZVfD angeblich zum Zwecke der Erhaltung persönl. Bindungen angeregt und propagiert wurden. Die jüdische Propaganda unterscheidet gegenwärtig scharf zwischen Land und Stadt. Während der Kampf auf dem Lande durch Einzelwerbung von Bauer zu Bauer unterirdisch vor sich geht, mit dem Bestreben, den Bauern für eine Art passiven Widerstand gegen die Ausschaltung der Juden zu gewinnen, geht er in der Stadt gerade umgekehrt vor sich. Als ruhenden Pol innerhalb aller jüdischen Organisationen, also deüdischen Organisationen, also desraelitischen Kultusgemeinden anzusehen. Jeder Jude hat insofern ein Interesse an der Verwirklichung des Judenstaates in Palästina, als er damit eine Macht im Rücken weiß. Die Aktivisten dieser Idee sind organisiert. Wenn aber der Großteil der Juden diesen Organisationen nicht angehört, so liegt eben der Grund darin, daß den meisten der Auswanderungsgedanke völlig fern liegt, zu einem anderen Teil aber auch darin, weil - nach einer Äußerung des Rabbiners Dr. Grünewald , Mannheim - die Juden von Natur aus etwas zu träge sind.

Das Versammlungsverbot Frühjahr 1937 wurde teilweise in der Form umgangen, daß die Veranstaltungen religiös aufgezogen wurden. Die Hauptabsicht der Juden im Frühjahr war, viel Geld zu sammeln (Schekel -Aktion) um Sitze und Stimmen zu kaufen für den 20. Zionistischen Weltkongreß. Trotz der Behinderung hat laut einem Rundschreiben des Zionistischen Landesverbandes Baden vom 30.7.1937 diese Aktion vollen Erfolg gehabt. Das Rundschreiben bezog sich auf das Ergebnis im ganzen Reich und hatte u.a. zum Inhalt:

''...Wir dürfen mit Stolz sagen, daß das Gesamtergebnis der Aktion sehr geringfügig hinter dem Ergebnis des Jahres 1935 zurückbleibt. In Wahrheit beweist das Ergebnis, daß es uns gelungen ist, viele Tausende von Juden neu zu gewinnen und zu Schekelzahlern zu machen. Wie schwer das jetzt vorliegende Ergebnis erkämpft worden ist, wissen wir aus zahlreichen Berichten.

....Das Gesamtergebnis beträgt. 91.602 Schekalim, davon sind 37.821 A-Schekel (A-Schekel = à RM 1.50 = RM 56.731.50) und 15.960 B-Schekel (B-Schekel = à RM 1.00 = RM 15.960.00. Das Gesamtergebnis betrug also RM 72.691.50) Das Verhältnis von A-Schekel zu B-Schekel stellt sich demnach 5 zu 2. Im Jahre 1935 betrug das Verhältnis 7 zu 2. Es geht daraus hervor, daß der B-Schekel diesmal stärker verbreitet worden ist, woran zweifellos die zunehmende Schrumpfung der wirtschaftlichen Kräfte der Juden in Deutschland beteiligt hat. Andererseits ist dadurch die Ziffer der Schekelzahler des Jahres 1937 gegenüber 1935 noch weniger zurückgeblieben (hierunter ist die hohe Auswanderungsziffer zu verstehen, die im Verhältnis zum Jahre 1935 in Wegfall zu bringen sei und ist in den Vergleich mit einzubeziehen)

Den 57.202 Schekelzahlern des Jahres 1935 stehen diesmal 53.781 Schekelzahler gegenüber, was die Schlußfolgerung, die oben aus dem Vergleich der Schekelziffern gezogen worden sind, noch stärker bestätigt.''

Die Beteiligung am jüdischen Winterhilfswerk des Jahres 1936/37 war etwas höher als die des Vorjahres. Pro Kopf der jüdischen Bevölkerung wurden im Oberabschnittsgebiet durchschnittlich RM 22,10 gespendet, was nahezu den vierfachen Kopfanteil des Winterhilfswerks des Deutschen Volkes ausmacht. Bei der Jahresversammlung 1937 der israelitischen Landesversammlung in Württemberg am 19.12.1937 wurde festgelegt, daß für das neue Rechnungsjahr lediglich Einkommen bis zu 1.000 RM steuerfrei bleiben, während seither Beträge bis zu 17.000 RM nicht umlagepflichtig waren.

Die auffallenden Steigerungen der Auslandsreisetätigkeit der Juden des Oberabschnittbereichs (Frankreich, Schweiz) geben Anlaß zu dem Schluß, daß sich dieselben Erholungsreisen am laufenden Band nur deshalb verschreiben lassen, um auf diese Weise Devisen auf legalem Wege ins Nachbarland zu verbringen.

Auffällig sind Drohungen, welche seitens die Grenze überschreitender Juden bzgl. des allgemein-deutschen Schicksals gemacht werden und die darin gipfeln, daß es in wenigen Jahren in Deutschland wieder anders aussehen werde. Die übereinstimmende Grundtendenz aller derartiger Andeutungen beweist, daß die deutsche Judenheit gewillt ist, an der Einkreisung Deutschlands von außen her mitzuwirken.

Innerhalb der Grenzen kann immer wieder eine Verbindung zu anderen Staatsgegnern festgestellt werden. So ist insbesondere die Haltung vieler evangelischer Pfarrer absolut projüdisch. An Hand vieler Einzelfälle zeigte sich die Instinktlosigkeit mancher Pfarrer im Jahre 1937 sehr deutlich. So wurde beispielsweise in einem Schwarzwalddorf ein verstorbener Jude unter dem Läuten sämtlicher Kirchenglocken zur Begräbnisstätte gefahren. Ein Altpietist verstieg sich zu dem Ausspruch:

''Ich empfinde es als eine Strafe von Gott, daß er mich nicht als Jude auf die Welt kommen ließ!''

Besonders in Baden sind die Beziehungen der dortigen Juden zu der katholischen Kirche sehr enge; acht Juden konnten als Mitglied von katholischen Vereinen ermittelt werden. In Emmendingen wurde einem Juden die Ehrenmitgliedschaft im katholischen Gesellenverein angetragen, die dieser auch angenommen hat. In Singen/Hohentw. ist ein getaufter Jude Angehöriger des katholischen Männerapostolats.

Mit kulturellen Darbietungen traten die jüdischen Organisationen wenig an die Öffentlichkeit. Die wenigen Tanz-, Gesangs- bzw. Musikabende in den größeren Städten standen unter dem Protektorat der israelitischen Kultusgemeinden . Im April wurde von einer jüdischen Organisation in Basel ein Konzert mit dem jüdischen Emigranten Richard Tauber veranstaltet, an dem auch eine ansehnliche Zahl Reichsdeutscher aus dem Grenzgebiet teilnahm. Zu Beginn des Wintersemesters der Universität Freiburg wurde festgestellt, daß viele jüdische und jüdisch versippte Studenten sich eingeschrieben haben.

Das Verhältnis der Juden zum Gemeinschaftsleben weist die bekannten Extremitäten auf. Mit übertriebener Höflichkeit wird die Kundschaft bedient, Angestellte und Arbeiter erhalten in Einzelfällen Sonderurlaub zwecks Teilnahme an KdF -Fahrten (mit voller Lohnzahlung), eine jüdische Firma in Karlsruhe schloß sogar auf 14 Tage den ganzen Geschäftsbetrieb und führte einen gemeinsamen Betriebsausflug durch, ebenfalls unter Fortzahlung der vollen Löhne. Diese Tatsache verfehlte insbesondere auf die Arbeiterschaft ihre Wirkung nicht, allgemein wurde die große soziale Einstellung der Betriebsführer gelobt. Neben vielen anderem ist die Kreditgewährung bei Kaufabschlüssen recht großzügig und viele deutsche Menschen fallen immer wieder diesen jüdischen Lockungen zum Opfer, sei es um eines geringen Vorteils willen oder aus einer verstockten Haltung infolge gegnerischer Einstellung heraus, darunter auch immer wieder Parteigenossen, DAF -Mitglieder, Wehrmachtsangehörige usw.

Auf kriminellem Gebiet treten die Juden in zunehmendem Maße hervor; die jüdische Kriminalität machte sich hauptsächlich in Betrugsdelikten geltend. Während auf 100.000 deutschblütige Einwohner im Oberabschnittsgebiet nur ein Straffälliger kommt, kämen im Verhältnis hierzu auf dieselbe Anzahl Juden 180 Straffällige. Bezüglich der Umgehung der Bestimmungen der Nürnberger Gesetze wurde in verschiedenen Fällen festgestellt, daß das Untervermieten von Zimmern an deutsche Mädchen, einsame Verabredungen an Badeplätzen oder Waldpartien, Haltung von Dienstmädchen mit ausländischer Staatsangehörigkeit beliebte Mittel waren.

Die Beziehungen der Juden zum Wirtschaftsleben haben im vergangenen Jahre eine gewisse Korrektur erfahren. Die Zahl der jüdischen Einzelhandelsgeschäfte ist 1937 weiterhin zurückgegangen. Der jüdische Viehhandel dagegen kann nur schrittweise ausgeschaltet werden, insbesondere in Württemberg. Es fehlt hauptsächlich an der Planmäßigkeit der Abwehr seitens der bäuerlichen Organisationen, an dem Geschick und der Zuverlässigkeit arischer Viehhändler, dem Mangel an Kreditfähigkeit und an dem konservativen Sinn weiter Bauernkreise. Auffallend ist die Zurückdrängung der Juden aus dem badischen Viehhandel, von 600 Juden anfangs 1937 besaßen nur noch 7 Juden am Ende dieses Jahres die Viehhandelserlaubnis. Dagegen sind im ganzen Oberabschnittsgebiet in der Industrie und im Großhandel (z.B. Holz, Eisen, Textil, Tabak) noch starke Positionen vorhanden. Dies gilt vor allem für die Großstädte Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart und Freiburg. Ein Beispiel über [sic] den Einfluß des Judentums im Großhandel. Bei einer Sitzung der Großhändler in Textilwaren, Garnen usw. im August 1937 in Freiburg i.Br. unter dem offiziellen Vorsitz eines Vertreters der gewerblichen Wirtschaft waren von 18 Teilnehmern 12 Juden, das sind somit 66%. Die wirtschaftliche Lage bzw. der Geschäftsumfang der jüdischen Großhändler hat sich im vergangenen Jahr kaum vermindert. Zum Teil hängt dies mit der allgemeinen Entwicklung der Wirtschaft zusammen, d.h. daß infolge der Rohstoffknappheit ohne Prüfung der rassischen Zugehörigkeit der Inhaber eben bei solchen Firmen eingekauft wurde, die im Besitze der gewünschten Artikel waren, wobei vielfach die Beobachtung gemacht werden konnte, daß die jüdischen Betriebe auf Grund ihrer Auslandsbeziehungen mit den gesuchten Waren besser versorgt waren, als die arischen Firmen. Wiederholt wurde auch beobachtet, daß die jüdischen Großfirmen bereits vor Eintritt der Knappheit auf irgendeinem Gebiet über den Stand der Dinge genau informiert waren und sich entsprechend einrichten konnten, und daß diese Waren in erster Linie den am Ort wohnenden Juden selber zugänglich gemacht wurden. Wie bereits erwähnt liegt zum andern Teil der Grund des guten Geschäftsganges im jüdischen Handel an der Interesselosigkeit bzw. in der Boshaftigkeit unbelehrbarer Käufer. In letzterem Falle handelt es sich fast durchweg um fanatische Anhänger der christlichen Konfessionen und der Sekten.

Was das Verhältnis der Juden zum Ausland anbelangt, so sind neuerdings durch die bereits erfolgte Auswanderung geschaffenen Verwandtschaftsverhältnisse viele Beziehungen zum Auslande hergestellt. Ein Verkehr zum Ausland ohne die vorerwähnten Bindungen findet hauptsächlich nach der Schweiz statt. Hier ist in besonderem Maße der kleine Grenzverkehr auffällig, wobei täglich große Summen Hartgeld auf legalem und illegalem Wege ausgeführt wurden und werden. Diese Beziehungen der Grenzlandjuden zur Schweiz finden das große Interesse der übrigen Rassegenossen im Reich, denn es erscheint eigenartig, daß plötzlich entlang der ganzen Grenze verschiedene Pensionen entstanden, die während der Sommermonate sehr guten Besuch aufzuweisen hatten.

 

Die Lage in regionaler Hinsicht

In Württemberg fällt im Jahre 1937 die Abwanderung der Juden vom flachen Land in die größeren Städte auf. Hatte am 16.6.1933 die Zahl der Juden in Württemberg 10.109 betragen, so war sie am 1.1.1937 auf 8.723 gesunken und war am 1.7.1937 auf 8.032 angekommen. In der Zwischenzeit ist die Zahl der Juden weiterhin um einige Hundert gesunken. Die Abnahme beträgt also im 1. Halbjahr 1937 ca. 700 Personen, d.h. es wanderten in diesem Halbjahr über die Hälfte sämtlicher in den 7 1/2 Jahren seit der Machtergreifung Ausgewanderter aus. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Parallele zu der Entwicklung des jüdischen Bevölkerungsanteils Stuttgarts. Derselbe betrug am 16.6.1933 4.467 Personen, am 1.1.1937 aber immer noch 4.411, die Abnahme war somit äußerst gering, hauptsächlich dadurch, daß die vom Land abziehenden Juden sich hier festsetzten. Bereits am 1.7.1937, im Verlauf des einen Halbjahres also, war diese Zahl auf 3.963 gesunken. Die Juden erkennen danach zunehmend, daß es ihnen nicht mehr möglich ist, unbeobachtet in der Großstadt unterzutauchen. Ferner beweist diese außerordentliche Abnahme, daß das erste Stadium der jüdischen Abwanderung, die Flucht vom flachen Lande, der echten Auswanderung Platz zu machen beginnt.

Das württembergische Judentum war in seiner großen Mehrheit schon immer assimilatorisch eingestellt, und nur ganz langsam vollzieht sich der Übergang zu einem absolut jüdischen Bewußtsein. Daran ist ohne Zweifel die lange Ansässigkeit vieler jüdischer Familien und die der günstigen wirtschaftlichen Struktur des Landes entsprechende gute finanzielle Verankerung schuld, nicht zuletzt aber auch die Mentalität der schwäbischen Menschen, der leicht geneigt ist, jüdischen Einflüsterungen von ''ungerechten Unterdrückungen'' sein Ohr zu schenken. Die jüdisch-politische Linie der württembergischen Juden liegt auf einer gewissermaßen ''erzwungenen'' Anerkennung des zionistischen Gedankens; der israelitische Oberrat von Württemberg kann als misrachistisch (religiös-zionistisch) bezeichnet werden.

Aus der Vielzahl der jüdisch-politischen Bestrebungen in Württemberg-Hohenzollern heben sich drei größere Gruppen hervor:

1. Die assimilatorische Gruppe des RA Mainzer, Stuttgart, welcher als Sprachrohr des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten angesehen werden kann. Mainzer bekennt sich als Gegner eines jüdisch-völkischen Staates und fordert Duldung der Juden als religiöse Minderheit. Er wendet sich vor allem gegen die ostjüdischen Einwanderer denen er alle Schuld an der gegenwärtigen Lage der Juden in Deutschland zuschreibt. Immer wieder betont er: ''Unsere Jungen sollen eben auswandern, aber uns alte deutsche Juden, laßt auch in Deutschland sterben!''

2. Die zionistische Gruppe des RA Tänzer. Tänzer bekennt sich zur schnellen Auswanderung; er hält zwar den Peelplan für indiskutabel, immerhin ist ihm ''der Sperling in der Hand lieber, als die Taube auf dem Dach'' - ein kleiner Judenstaat besser, als gar keiner - .

3. Gruppe Adler; Adler ist Leiter des jüdischen Kulturbundes und Leiter für die Zentralstelle des jüdischen Vereins- und Veranstaltungswesens. Er bekennt sich offen als Jude, ist Gegner jeder Assimilation und propagiert ein jüdisch-völkisches Eigenleben, aber nicht innerhalb des Judenstaates, sondern innerhalb des Gastlandes. Er erstrebt die Anerkennung der Juden als Minderheit, ''so wie es doch auch die Deutschen in Siebenbürgen sind''.

Diese dritte Gruppe zählt viele Anhänger, hauptsächlich unter den gebildeten jüdischen Schichten und muß wegen ihrer unauffälligen Taktik ''Verinnerlichung des jüdischen Menschen durch kulturelle Betätigung'' als besonders gefährlich betrachtet werden.

Das Auswanderungsziel der württembergischen Juden ist ganz überwiegend Nordamerika; es folgen Palästina, England, Südamerika, Schweiz, Italien, Frankreich und Holland. (…) Die neusten Mitteilungen besagen, daß die Palästinafurcht der deutschen Juden einem erneuten Optimismus auf Erwerb besserer Lebensmöglichkeiten Platz zu machen scheinen.

Baden: Am Ende des Jahres 1937 betrug die Zahl der noch in Baden lebenden Juden ca. 14.600. Diese Zahl, verglichen mit der des Jahres 1936 (15.400), weist einen Rückgang von ca. 800 Juden auf, also noch nicht einmal 10%. Seit 1933 bis Ende 1937 sind insgesamt nur 1.128 Juden von Baden ausgewandert. (…) Dieses Ergebnis als Grundlage zum Vergleich mit dem Gesamtverhältnis zu der amtlichen Zahl der jüdischen Bevölkerung in Baden im Jahre 1933 = 20.600 ergibt einen Auswanderungsdurchschnitt von 5%.

Rein zahlenmäßig ist in Baden die ZVfD tonangebend. Sie umfaßt zur Zeit ca. 4.000 Mitglieder von insgesamt 14.600 Juden. Das assimilatorische Element, das seinen Angelpunkt im CV und RjF hat, trat während der Berichtszeit nach außenhin nicht in Erscheinung. Etwa 75% der badischen Juden haben sich in den Städten konzentriert und zwar wohnen in Mannheim etwa 4.500, in Karlsruhe 3.500, in Pforzheim 600, in Heidelberg 500 und in Freiburg 800. Am 19.4.1937 wurden in Baden insgesamt 6 U.O.B.B. -Logen und 5 Schwestervereinigungen aufgelöst und das Vermögen beschlagnahmt. In Freiburg wurde Ende August 1937 eine ''Vereinigung 1937'' gegründet; die Mitgliederzahl beträgt zur Zeit 8.

Im Kaiser-Wilhelm-Institut in Heidelberg ist immer noch der Jude Meyerhof, ein früherer Nobelpreisträger in leitender Stellung tätig. Aus unbekannten Gründen waren alle Bemühungen, diesen Juden von dieser einflußreichen Stellung wegzubringen, erfolglos.

In der Pfalz lebten zu Beginn des Jahres 1933 rund 6.800 Juden; ihre Zahl hat sich bis jetzt um rund 2.700 auf etwa 4.100 vermindert. Seit 1933 haben die Juden somit 40% ihres Bestandes verloren. Sie verteilen sich auf 67 Gemeinden; im Laufe des Jahres 1937 sind insgesamt 300 ausgewandert. Neben den eingangs erwähnten Schwierigkeiten (Einwanderungserschwerung in verschiedenen Ländern) machte sich abwanderungshemmend insbesondere die Beschränktheit des jüdischen Altersheims bemerkbar. So wandern viele jüngere Juden nicht aus, weil sie keine Möglichkeit haben, ihre Eltern, die sie aus irgendwelchen Gründen nicht mitnehmen können, unterzubringen. Die Auswanderung selbst erfolgt in der Hauptsache nach USA; es folgt Frankreich, Holland und Palästina. Die starke Bevorzugung von USA hat ihre Erklärung in der Struktur der jüdischen Familienverhältnisse. Aus Anlaß der großen Auswanderungsbewegung der Pfälzer in der Mitte des vorigen Jahrhunderts kamen auch viele Juden nach den Vereinigten Staaten. Die Nachkommen dieser Juden hatten zwar durch den Abbruch aller Beziehungen keinerlei familiäre Verbindungen mehr mit den Zurückgebliebenen, doch werden vom Hilfsverein der Juden die Verwandtschaftsverhältnisse erforscht und die in Amerika wohnenden Juden angegangen, die Bürgschaften für ihre auswandernden Verwandten zu stellen. Hierin dürfte auch die Lösung liegen, weshalb einige Juden im vergangenen Jahr den Versuch machten, ihre Stammbäume zu erhalten.

Neben der starken Abwanderung ist aber auch eine fast gleichstarke Abwanderung in andere Gebiete festzustellen, so vor allem nach Baden.

Bedingt durch die frühere Zugehörigkeit großer Gebietsteile der Pfalz an Frankreich, genossen die in der Pfalz ansässigen Juden schon frühzeitiger als im übrigen Reich die Gleichberechtigungen mit der Bevölkerung. Die loyale Haltung des Pfälzers dem Juden gegenüber und die außerordentlich guten Existenzmöglichkeiten ließen aus den Juden die typischen Assimilanten werden. Es gab vor 1933 in der Pfalz wohl keinen einzigen Juden, der sich nicht als Deutscher fühlte. Die Assimilation war so weit vorangeschritten, daß die Juden in ihrem religiösen Brauchtum immer mehr verchristlichen und die synagogalen Handlungen sich immer mehr dem protestantisch-uniierten Ritus anglichen. Ein jüdisch-völkisches Bewußtsein hatten diese Juden nicht mehr, so wenig wie ihnen eine rassische Unterscheidung bekannt war. Begünstigt wurden diese Zustände durch die Ausbildung der jüdischen Lehrer an dem protestantischen Lehrerseminar in Kaiserslautern. Diese Lage trägt die Begründung in sich, warum der Zionismus in der Pfalz nur außerordentlich schwer Fuß fassen kann.

Der Übergang von jüdischen Geschäften in arische Hände ist in der Pfalz besonders lebhaft gewesen und hielt bis zum Jahresende unvermindert an. Als Symptom für diese Entwicklung sei ein Fall angeführt, wo ein Aktienpaket in Höhe von 1,3 Millionen Mark in arischen Besitz überging. Die Domäne der Juden ist nach wie vor der Weinhandel. Hier bedient sich der Jude häufig einer Scheinfirma um seine Käufe zu tätigen. So hat z.B. ein jüdischer Weinhändler unter einer Deckadresse die Kantine der Zeppelinwerft Friedrichshafen mit Wein beliefert.

Vom Rückgang des jüdischen Gemeindelebens in der Pfalz mag die Tatsache zeugen, daß im Jahre 1937 insgesamt 12 Synagogen verkauft wurden, die nun größtenteils als Tabakspeicher Verwendung finden. Die erlösten Mittel werden restlos für Altersversorgung verwendet.

Auch die jüdischen Schulen haben in der Pfalz unverkennbar eine rückläufige Entwicklung aufzuweisen. Von fünf jüdischen Schulen ist 1937 eine aufgelöst worden; das gleiche Schicksal dürfte in absehbarer Zeit die Speyrer Judenschule ereilen.

Im Saargebiet ist die Zahl der Juden verhältnismäßig gering. Zu Beginn des Jahres 1935 waren im Saarland ca. 4.000 Juden ansässig, die infolge der Rückgliederung des Saarlandes zum Reich in den ersten Monaten des Jahres 1935 unter dem Schutz des Römischen Abkommens in großer Zahl nach dem Ausland gewandert sind. Ende des Jahres 1935 waren nur noch etwa 2.000 Juden im Saargebiet, während zu Ende des Jahres 1936 nur noch ungefähr 800 Juden gewählt wurden. Diese Zahl hat sich auch während des Jahres 1937 nicht wesentlich verringert. Heute sind im Saarland noch rund 650 Juden wohnhaft; innerhalb der letzten zwei Jahre hat sich sonach die Judenheit des Saarlandes um 85% verringert. Vorzüglich die jüngeren Jahrgänge zwischen 20 und 35 Jahren waren bei der Abwanderung maßgeblich beteiligt; die Hauptauswanderungsziele waren Frankreich, Luxemburg und Amerika, während nur wenige Juden nach Palästina ausgewandert sind. Die bereits im Jahre 1936 beginnende Konzentration der Juden in Saarbrücken hat sich im Laufe des Berichtsjahres so ausgewirkt, daß nunmehr über 2/3 aller im Saargebiet wohnhaften Juden in Saarbrücken selbst wohnen. Es ist daher die Lage in Saarbrücken selbst im großen und ganzen maßgeblich für das ganze Saargebiet.

Die vorherrschende Richtung ist der Zionismus; alle geistig führenden Juden sind betont zionistisch eingestellt. Gegenströmungen gegen diese Richtung waren lediglich unter den einzelnen Gemeindemitgliedern selbst und auch hier nur in ganz bedeutungslosen Umfange festzustellen. Immerhin konnte gegen Ende des Jahres 1937 festgestellt werden, daß die Anzahl der Assimilanten verhältnismäßig größer ist, als es nach außenhin den Anschein hatte. Ein großer Teil der Angehörigen dieser Interessengruppe dürfte jedoch als Mitläufer zu bezeichnen sein, denn er rekrutiert sich fast ausschließlich aus solchen Kreisen, die über die in letzter Zeit herrschenden Unruhen in Palästina und durch die dadurch entstandenen Auswanderungsschwierigkeiten verbittert sind und Zweifel über eine eventuelle spätere Existenzmöglichkeit in Palästina bekommen haben. Rein äußerlich zeigen diese Juden ihren Unwillen dann dadurch, daß sie sich assimilatorischen Organisationen wie dem CV und dem RjF anschließen.

Durch die Konzentration der Juden in Saarbrücken ist das jüdische Leben auf dem Lande vollkommen bedeutungslos geworden, sodaß die verschiedenen Synagogengemeinden in kleineren Orten nicht mehr lebensfähig sind. Ihre Auflösung ist überall beschlossen, die Liquidation im Gange. Für alle bisherigen Synagogengemeinden sind Staatskommissare bestellt worden, die die Liquidation durchführen sollen. Trotzdem ist noch in keinem Orte die Liquidation abgeschlossen worden, vor allem deshalb nicht, weil der Verkauf der Synagogengebäude wegen der schwierigen Eigentumsverhältnisse zum Teil auf außerordentliche Schwierigkeiten stößt.

Die beiden jüdischen Organisationen ''Hechaluz '' und ''Zentralverein, Ortsgruppe Saarbrücken'' haben sich gegen Ende des Jahres 1937 selbst aufgelöst, und befinden sich zur Zeit in Liquidation.

Die Verbindungen der im Saarland wohnhaften Juden zum Ausland, vor allem zu Juden in Frankreich und Luxemburg, bestehen nach wie vor. Auffallend ist, daß im Jahre 1937 mehr und mehr von den emigrierten Juden Anträge auf Einreisegenehmigung nach Deutschland in ganz erheblichem Umfange gestellt wurden. Saarbrücken wurde im Laufe des Jahres 1937 in steigendem Maße Anlaufstelle für Juden aus dem ganzen Reichsgebiet, die hier illegal die Grenze nach Frankreich überschreiten wollen; so konnte während des Berichtsjahres zweimal eine organisierte Menschenschmugglerbande festgenommen werden. In beiden Fällen setzte sich die Bande größtenteils aus Juden zusammen; die festgenommenen jüdischen Rädelsführer besaßen fast ausnahmslos die polnische Staatsangehörigkeit.

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