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Chronik und Quellen
1935
September 1935

Die Gestapo berichtet aus Bielefeld

Die Gestapo des Regierungsbezirks Minden erstattet am 3. Oktober 1935 aus Bielefeld folgenden Bericht für September 1935:

Begrüßt wurde insbesondere das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Durch dieses klare Gesetz, das den Juden endgültig als einen Angehörigen eines fremden Volkes ansieht, der in Deutschland lediglich Gastrecht genießt und deutsches Blut und deutsche Ehre nicht noch vergiften darf, ist erreicht worden, daß die vielfach von der Bevölkerung mißfällig aufgenommenen *Einzelaktionen zur Judenbekämpfung unterbleiben. Man sieht heute ein, daß die Frage der Judenbekämpfung ausschließlich nur auf dem Wege der Gesetzgebung geregelt werden kann, und daß der entscheidende Schritt hierzu nun getan ist. Die nach dem gegebenen Gesetz erteilte Zubilligung, daß Juden *arische Hausangestellte über 45 Jahre halten dürfen, hat nach den hier gemachten Feststellungen verschiedenartige Auffassung gefunden. Allgemein ist man der Auffassung, daß es zweckmäßiger gewesen wäre, dieses Verbot auf das ganze weibliche Geschlecht zum Schutz der deutschen Frau überhaupt auszusprechen. Durch die jetzige Regelung habe man eine unnötige Klassifizierung geschaffen. Wie so oft wurden auch zu diesem Gesetzesparagraphen ''böswillige'' Kommentare gegeben. Beispielsweise werden hier in Bielefeld am Biertisch Erzählungen dahin gemacht, ''daß das Marienstift (Altersheim für Frauen) demnächst aufgelöst wird und die hier untergebrachten Frauen als Hausangestellte bei den Juden Stellung finden.'' (…)

Begrüßenswert ist, daß nunmehr auch klare Richtlinien ergangen sind, welche Judenstämmlinge sich bei der allgemeinen Beflaggung beteiligen können.

 

Juden und Freimaurer

Bis Anfang des Berichtsmonats machte sich die antisemitische Welle im Stapobezirk noch recht bemerkbar. In erhöhtem Maße wurden in Stadt und Land *Transparente , Warnungsschilder usw. angebracht. U.a. waren Aufschriften wie:

''Juden sind keine Menschen, Juda verrecke, auf nach Palästina,''
''Juden haben hier nichts zu schnüffeln''
''Wer den Juden kennt, kennt den Teufel,''
''Wanderer kehre bei uns ein, du darfst nur kein Jude sein,'' zu sehen. - Ebenso wurden an den Wohnhäusern jüdischer Familien, Stallungen usw. Aufschriften mit Farbe angebracht.

Einzelaktionen sind auch vereinzelt im Stapobezirk vorgefallen. U.a. wurde in Rimbeck von jugendlichen Tätern eine jüdische Gruft aufgebrochen, da das Gerücht kursierte, der Jude habe 3.000 RM mit ins Grab genommen. Bei den ermittelten Tätern handelt es sich um katholische Jugendliche, die bisher nationalsozialistischen Verbänden nicht angehört haben, von denen der eine indessen bei der Tat *SA -Hose und Stiefel trug. Die Ermittlungen laufen noch. Politische Motive scheinen der Tat aber nicht zu Grunde zu liegen. Es kam den Jugendlichen anscheinend nur auf das Geld an. Tatsächlich sind in der Gruft weder Geld noch Wertsachen gefunden worden. In Bielefeld wurde vor dem jüdischen *Kaufhaus Alsberg die Beobachtung gemacht, daß die ein- und ausgehenden Käufer fotografiert wurden. Die betr. Personen gaben an, nur Passanten zu fotografieren, um ihnen die Bilder zu verkaufen. Das weitere Fotografieren wurde verhindert. - In einem jüdischen Kaufhaus in Brackwede hatten sich zwei Angehörige der PO postiert, um die Käufer vom Kauf abzuhalten. Der Erfolg war weniger groß. Aus einer gewissen Opposition heraus besuchten daraufhin eine ganze Anzahl Brackweder Bürger das Kaufhaus nun erst recht und sollen, ohne einen Kauf getätigt zu haben, auf der andern Seite des Kaufhauses wieder herausgegangen sein. Wie mitgeteilt wird, soll diese Opposition zur Hauptsache durchgeführt sein [sic], weil die beiden PO -Angehörigen sich keines besonderen Ansehens und keiner Beliebtheit in Brackwede erfreuen.

             In Paderborn wurde die Wahrnehmung gemacht, daß die Frau des Stadtbaurats Michels in einem jüdischen Kaufhaus Einkäufe besorgte. Deshalb demonstrierte eine größere Menschenmenge vor dem Rathaus. Auf Zureden des städtischen Polizeidezernenten zerstreute sich die Menge. Der Stadtbaurat ließ sich selbst beurlauben und wird wahrscheinlich pensioniert werden. Gemeldet werden auch Einzelaktionen aus Bad Driburg, wo u. a. bei dem Juden Max Levi der *Davidstern und das Firmenschild schwarz überstrichen wurden. Bei dem Juden Lehmann-Müller in Bad Driburg wurde mit einem Spazierstock eine Fensterscheibe eingeschlagen. - In Minden wurde durch das Fenster der *Synagoge während des Gottesdienstes ein Stück Ziegelstein geworfen. Der Stein fiel vor der Orgel nieder, nachdem durch denselben vorher mehrere Scheiben zertrümmert wurden. In allen diesen Fällen konnten die Täter nicht ermittelt werden. Geplant waren weitere Einzelaktionen vor Erlaß der *Nürnberger Gesetze u. a. gegen den jüdischen [...] [N.N.a], der [...] in Bielefeld. Es ist bekannt, daß [N.N.a] den Ruf ''als Liebhaber deutscher blonder Mädchen'' genießt. Beabsichtigt war aus diesem Grunde, daß [N.N.a] an den Pranger gestellt und dieserhalb mit einem Schild um den Hals durch die Stadt geführt werden sollte. Eine Anzahl von Volksgenossen hatte sich bereits zur Durchführung dieses Planes zusammengeschlossen. In ähnlichem Sinne war geplant, den Juden [N.N.b], wohnhaft in Bielefeld, [...], an den Pranger zu bringen, da [N.N.b] es pflegte, in den Morgenstunden in seinem Garten, der von der Nachbarschaft recht sichtbar lag, Nacktkultur zu treiben. Durch das inzwischen herausgegebene Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre und der vom Führer gegebenen Richtlinien, daß Einzelaktionen zur Bekämpfung des Judentums aus außenpolitischen und wirtschaftspolitischen Gründen zu unterbleiben haben, wurden die vorgesehenen Einzelaktionen nicht durchgeführt.

             Fälle von *Rasseschändungen sind im Berichtsmonat weniger in Erscheinung getreten. Erwähnenswert ist nur ein Fall aus Bückeburg, woselbst die arische Hausangestellte [N.N.c], wohnhaft Meinsen bei Bückeburg, mit dem Juden [N.N.d], geb. am 23.9.06 zu Hamborn, ein Liebesverhältnis unterhalten hat. Der Jude [N.N.d] hat schon seit dem Jahre 1929 ein Verhältnis mit der [N.N.c] unterhalten, das nicht ohne Folgen blieb. Nachdem beide längere Zeit getrennt waren, sich aber wieder zusammengefunden haben, wollten sie im August 35 die Ehe eingehen, deren Beurkundung aber von dem zuständigen Standesbeamten abgelehnt wurde. Sie nahmen darauf bei der Tante des Juden, den Eheleuten [N.N.e] in Meinsen, Wohnung und lebten hier in wilder Ehe. Nachdem die Stapo-Außenstelle in Bückeburg hiervon Kenntnis erhalten hatte und dieserhalb Revision vornahm, wurde die [N.N.c] eines Morgens in dem Bett des Juden vorgefunden. Sie wurden vorläufig festgenommen. Auf die Tagesmeldung vom 10.9.35 nehme ich Bezug.

             Leider gibt es auch immer noch Volksgenossen, die sich judenfreundlich zeigen. So erhielt der Sparkassendirektor Hohoff in Gütersloh, früherer Ortsgruppenleiter der NSDAP in einem Briefumschlag einen grünen Zettel zugesandt, der den Aufdruck trug: ''Wer beim Juden kauft, ist kein Volksverräter! Deutsche merkt Euch dieses!'' Der Absender hatte am Rande des Zettels außerdem noch den Satz hinzugefügt: ''Der Tag der Vergeltung kommt mal.'' (Siehe Tagesmeldung vom 17.9.35)

             Sehr ungehörig benahm sich auch der Kaufmann Georg Metzen, geb. am 7.7.83 zu Koblenz, wohnhaft in Düsseldorf, der als Reisender in Anilinfarben nach Herford kam und im Bahnhofshotel Quartier nahm. Gleich beim Betreten des Lokals regte er sich über ein an der Eingangstür angebrachtes *Schild ''Juden sind hier unerwünscht und werden auch nicht bedient'', auf. Weiter machte er abfällige Bemerkungen über Rundfunkübertragungen, die gerade vom Reichsparteitag gesendet wurden. Er verlangte, daß sofort der Apparat abgestellt würde, sonst würde er das Hotel verlassen. Wegen seines herausfordernden staatsfeindlichen Verhaltens wurde er vorläufig in *Schutzhaft genommen, da der Erlaß eines Haftbefehls vom Amtsgericht abgelehnt wurde. (s. Tagesmeldung vom 14.9.35).

             Das Verhalten der Juden selbst ist im hiesigen Stapobezirk sehr zurückhaltend. Nach dem Nürnberger Parteitag, mit den Erklärungen des Führers, daß der Jude durch das Reichsbürgergesetz aus der deutschen Volksgemeinschaft ausgeschlossen ist, fühlt der Jude selbst, daß er im Deutschen Reich nur Gastrecht genießt. Auf der andern Seite hat man in jüdischen Kreisen wohlwollend empfunden, daß nunmehr die in letzter Zeit immer noch auftretenden Einzelaktionen aufhören. Hinreichend gestraft dürften die jüdischen Kreise, die in Handel und Gewerbe stehen, schon dadurch sein, daß ihr Geschäftsumsatz teilweise bis zu 75% zurückgegangen ist. Ausgenommen hiervon sind allerdings immer noch die jüdischen Großkaufhäuser und *Einheitspreisgeschäfte , die von der breiten Masse noch Zulauf haben.

             In Bielefeld beabsichtigt man ein eigenes Heim zu errichten, in dem nur Juden verkehren können. Das Bedürfnis auf Einrichtung einer solchen Gaststätte soll sehr groß sein. - In Badeorten des Bezirks waren in der Berichtszeit nur wenig Juden zu sehen.

             Interessant ist eine Statistik über die Zahl der im Stapobezirk Bielefeld vorhandenen Juden und deren Erwerbszweige. Hiernach sollen sich im Regierungsbezirk Minden 3.441 Juden aufhalten, wovon in Bielefeld, der Hauptstadt des Regierungsbezirks, 797 Juden wohnen. Die meisten Juden sind im Handel und Gewerbe tätig. Aber auch *Ärzte und Anwälte erscheinen relativ in hohen Zahlen. Im Handwerkerstand, wo praktische Arbeit geleistet werden muß, ist der Jude nur wenig vertreten. Unter den 36.000 Handwerkern des Handwerkskammerbezirks Bielefeld sind 100 selbständige jüdische Handwerker vertreten. Diese verteilen sich auf folgende Berufsgruppen.

Fleischer 44,
Friseure 4,
Herrenschneider 2,
Schuhmacher 3,
Schäftemacher 1,
Sattler 2,
Putzmacher 3,
Damenschneider 8,
Maler 4,
Glas- und Gebäudereiniger 1,
Uhrmacher 1,
Fotografen 2,
Buchdrucker 1,
Buchbinder 1,
Elektriker 1,
Bäcker 1,
Klempner 1,
Müller 1,
Dachdecker 2,
Pferdeschlachter 1.

             Wenig freundlich haben im allgemeinen die arischen Angestellten, die bei jüdischen Firmen in Diensten stehen, die Bekämpfung des Judentums gutgeheißen. Sie fürchten meist um ihre Stellung, nachdem, wie schon angegeben, die Umsätze der Judengeschäfte rapide zurückgegangen sind. In diesen Kreisen befaßt man sich hauptsächlich mit dem Gedanken der Überleitung jüdischer Geschäfte in deutsche Hände, nachdem eine ganze Anzahl Juden ihre Bereitwilligkeit zum Verkauf ihres Geschäftes zu erkennen gegeben haben. Die Hauptschwierigkeiten dürften aber in der Aufbringung der dazu nötigen Geldmittel liegen. So wurde vor kurzem in einem Presseartikel die Schaffung einer Liquidationsbank in Erwägung gezogen, welche die jüdischen Geschäfte erwerben soll, um sie gegen geringe Amortisationsquoten an geeignete Angestellte abzugeben und ihnen gleich auch das zur Übernahme des Warenlagers nötige Kapital vorzustrecken.

 

Logen (…)

Erwähnenswert ist noch, daß die jüdische ''Westfalia-Loge'' hier einen Antrag auf Erteilung der Genehmigung zur Stiftung eines Betrages von 5-6.000 RM aus dem Logenvermögen zur Errichtung einer jüdischen Schule hier in Bielefeld gestellt hat. Ich habe den Antrag dem *Gestapa zur Entscheidung vorgelegt. Eine Entscheidung ist bis jetzt noch nicht ergangen.

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