Menü
Chronik und Quellen
1935
September 1935

Die Gestapo berichtet aus Merseburg

Die Gestapo des Regierungsbezirks Merseburg erstattet am 7. Oktober 1935 folgenden Bericht für September 1935 aus Halle a.d.S.:

In der Berichtszeit hat sich die politische Lage in ihrer grundsätzlichen Struktur nicht geändert. Allerdings hat der grandiose Verlauf des Nürnberger Parteitages den Mitgliedern der Bewegung starken neuen Auftrieb gegeben. Die Judengesetze, sowie die offenen Worte des Führers zu den religiösen Streitigkeiten in Verbindung mit der nunmehr erfolgten Einsetzung des Kirchenministers Kerrl, sowie die in Aussicht gestellte Lösung der Stahlhelmfrage, die in der Flaggenregelung ihre erste Klärung erfuhr, haben den bisherigen Diskussionsstoff in der Bevölkerung erheblich verringert und damit zur Beruhigung in starkem Maße beigetragen. (…)

 

Juden

Die noch im Anfang des Monats erfolgten Festnahmen wegen Rassenschande boten das übliche kriminelle Bild dieser minderwertigen Rasse. Die weitere Entwicklung des gesamten Judenproblems wurde selbstverständlich in entscheidender Weise durch die Gesetze des Nürnberger Reichstages beeinflußt. In jüdischen Kreisen wurden sie mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die Assimilanten stehen ihnen naturgemäß völlig ablehnend gegenüber, während die Zionisten eine stärkere völkische Zusammenfassung der in Deutschland lebenden Teile ihrer Rasse erhoffen. Die Mutter des Inhabers eines in Halle bekannten jüdischen Kaufhauses hat sich das Leben genommen. Die Assimilanten erklären, die neuen Gesetze hätten hierzu den Anlaß gegeben.

In der Bevölkerung sind die Gesetze zum großen Teil auch in nicht nationalsozialistischen Kreisen mit Verständnis aufgenommen worden. Es kann im allgemeinen festgestellt werden, daß im Volke die Erkenntnis für diese grundlegende Frage der gesamten Weltanschauung des Nationalsozialismus wächst. An Einsicht mangelt es am meisten bei vielen Personen, die den sogenannten besseren und gebildeten Kreisen angehören. Gerade hier kann man sehr häufig feststellen, daß der rassische Urinstinkt nahezu völlig verloren gegangen zu sein scheint. Er ist zum Teil in wirtschaftlichem Denken erstickt. Man glaubt - ähnlich wie beim Abstoppen des U-Boot-Krieges - einen notwendigen Kampf umgehen zu können, indem man dem Gegner auf einem Gebiet Konzessionen macht.

Das Anwachsen des Verständnisses für die Judenfrage in der Bevölkerung ist vor allem deshalb feststellbar, weil die Anzeigen gegen Juden sich ständig mehren. Entsprechend der ''Vielseitigkeit'' der Juden liegen die Anzeigen naturgemäß auf allen nur denkbaren Gebieten des Strafgesetzbuches.

Recht klare Einblicke in die internationale überstaatliche Verbundenheit aller Juden bot im Berichtsmonat der Fall eines wegen Devisenvergehens angezeigten und überführten Juden, der als russischer Kriegsgefangener völlig mittellos in Deutschland geblieben war. Er hat sich in den Jahren der Nachkriegszeit nicht nur in Deutschland eine Kofferfabrik geschaffen, sondern auch eine solche in der Schweiz gebaut. Nach 1933 gründete er eine weitere Fabrik in Holland, die er mit Unterstützung der Finanzkraft seines in Jugoslawien wohnenden Bruders und holländischer Freunde aufbaute. Wie in den meisten Fällen, so versuchte auch dieser Jude durch wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegenüber seinen Arbeitnehmern (Kündigung etc.) einen Druck auf die ihn vernehmenden Zoll- und Polizeibeamten auszuüben.

Baum wird geladen...