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Chronik und Quellen
1935
September 1935

Das Gestapa berichtet aus Berlin

Das Berliner Gestapa erstattet am 27. September 1935 folgenden „Sonderbericht“:

Der XIX. Zionistenkongreß in Luzern fand in der Zeit vom 13.8. bis 4.9.1935 statt. Dem Kongreß waren eifrig betriebene Schekelsammlungen und Wahlen in allen Ländern vorausgegangen. Bemerkenswert hierbei war das erhöhte Interesse der in den Gastländern lebenden Juden für den Zionismus .

Bis zum Beginn des XIX. Zionistenkongresses konnten insgesamt 1.216.030 Schekel verkauft werden. Die Zahl der verkauften Schekel ist mithin gegenüber dem XVIII. Zionistenkongreß vom August 1933 um rund 370.000 gestiegen. Damit haben die allgemeinen Zionisten eine nicht unerhebliche Zunahme der Anhängerschaft zu verzeichnen, ein Erfolg, der um so höher zu werten ist, weil die von ihnen abgesplitterten Staatszionisten (Revisionisten -Zionisten) rege Propaganda gegen den Schekelverkauf getrieben hatten.

Dem Kongreß waren wochenlang vorher umfangreiche Vorbereitungen des Organisationsstabes in Luzern vorausgegangen. Besonderer Wert war offenbar auf seine propagandistische Wirkung gelegt worden. Die Kongreßbüros waren im Schweizer Bundes-Bahnhofsgebäude untergebracht, während den Institutionen Büros im Hotel ''Luzerner Hof'' zur Verfügung standen. Für die Teilnehmer war ein besonderes Abzeichen geschaffen worden. Die Tagungen selbst fanden im Kunsthause statt, in dessen Räumen auch Ausstellungen über den Zionismus untergebracht waren. Eine besondere Ausstellung zeigte z. B. ''Das Werk der nationalen Fonds in Erez Israel ''. Für die Dauer der Tagung wurde eine Tageszeitung als offizielles Organ des XIX. Zionistenkongresses in Luzern in deutscher und neuhebräischer (palästinensischer) Sprache herausgegeben.

Den Ordnungsdienst vor dem Kunsthaus versah eine verstärkte Abteilung der Stadtpolizei. Außerdem war eine ständige Wache der Politischen Polizei in Zivilkleidung im Kongreßgebäude stationiert. Den Kongreßteilnehmern wurden die zur Teilnahme berechtigenden Ausweiskarten erst nach sorgfältiger Prüfung der Personalien verabfolgt.

Aus Deutschland war eine Abordnung in Stärke von 34 Delegierten, etwa ebensoviel Ersatzdelegierten und Mitgliedern der zionistischen Jugendverbände vertreten. Außer ihnen konnten auch andere nach der Machtübernahme aus Deutschland abgewanderte Juden beim Kongreß festgestellt werden. So fungierte als Chef des Presse- und Empfangsbüros der frühere Redakteur der ''Jüdischen Rundschau '' in Berlin, Dr. Moses Waldmann , jetzt Jerusalem, und als Vorsitzender des Kongreßgerichts der frühere Berliner Rechtsanwalt Dr. Sally Gronemann , jetzt Paris.

In den Vorkonferenzen beschäftigte man sich vorwiegend mit der Frage, ob den Delegierten aus Deutschland die Teilnahme am Kongreß gestattet und ob bzw. inwieweit über das Problem der deutschen Juden diskutiert werden dürfte.

Die Mehrzahl der Partei- und Delegationsführer stimmt hierbei zunächst gegen die Zulassung dieser Vertreter mit der Begründung, daß sich unter ihnen Agenten der Regierung befänden, und daß diese Delegation nur gekommen sei, um jede Demonstration gegen Deutschland zu unterbinden. Als ihr Wortführer vertrat der Rabbiner Steven Wise (Amerika) den Standpunkt, daß es zu den Aufgaben der nationalen jüdischen Bewegung gehöre, die Ehre der 16 Millionen Juden der Welt gegen die Beschimpfungen durch die deutsche Regierung ohne Rücksicht auf die 500.000 in Deutschland lebenden Juden zu schützen. Erst durch das Eintreten des Dr. Chaim Waizmann und des Dr. Nachum Goldmann wurde auf Zulassung der deutschen Delegation entschieden. Diese Entscheidung erregte nicht unerhebliche Mißstimmung in den Kreisen der ausländischen Delegierten und gab zu dem Gerücht Anlaß, daß Waizmann und Goldmann ein Geheimabkommen mit der deutschen Regierung geschlossen hätten, wonach auf dem Kongreß alle scharfen Angriffe gegen Deutschland unterdrückt werden sollten und wofür die deutsche Regierung den Zionisten eine Bevorzugung und Unterstützung im Kampfe um die Synagogengemeinden in Deutschland zugesichert hätte.

Dem eigentlichen Kongreß gingen ferner vorbereitende Sitzungen des Aktionskomitees und die Konferenzen der Hilfsfonds Keren Kajemeth Lejisrael und Keren Hajessod sowie der Palästinaämter voraus.

In den Erörterungen über die Hilfsfonds wurde dem Keren Hajessoth (Sammlung für Siedlungszwecke) wegen seiner gegenwärtigen besonderen Bedeutung erhöhtes Interesse zugewandt. Zwischen beiden Hilfsfonds war es in letzter Zeit zu Gegensätzlichkeiten gekommen, die durch Festlegung der Betätigungsgrenzen ausgeglichen wurden.

Die Konferenz der Palästinaämter (Jewish Agency ) beschäftigte sich mit der Verteilung der Einwanderer-Zertifikate auf Handwerker und Landwirte. Von der Exekutive wurde bekannt gegeben, daß den Palästinaämtern in Zukunft die Durchführung von Touristenreisen nach Palästina untersagt werde, um jeden Anschein der Teilnahme an einer illegalen Einwanderung zu vermeiden.

Der eigentliche XIX. Zionistenkongreß begann am 20.8.1935 und wurde durch den Leiter des Kongreßbüros, Dr. Franz Kahn , eröffnet. An der Eröffnungssitzung nahmen über 480 Delegierte und etwa 1000 Gäste teil. Begrüßungsworte sprachen:

1. Der National- und Reg. -Rat Dr. Walther, Luzern, von der schweizerischen Landesregierung. Er überbrachte den Willkommensgruß des schweizerischen Bundesrats.

2. Der Chargé d'affaires der Britischen Gesandtschaft in Bern, Mr. Shone, der eine persönliche Botschaft des englischen Staatssekretärs für die Kolonien verlas.

3. Der High Commissioner des Völkerbundes, James G. MacDonald. Namens des Rates der Hohen Kommission für die Flüchtlinge aus Deutschland brachte er seine Genugtuung zum Ausdruck über die Leistungen der Zionistischen Organisationen und der Körperschaften der Jewish Agency für die aus Deutschland nach Palästina ausgewanderten Juden.

4. Der Vertreter der französischen Botschaft in Bern, Fadovari.

Verlesen wurde ferner ein Begrüßungsschreiben von Lloyd George, in dem dieser ''die furchtbaren Verfolgungen der Juden in Deutschland'' erwähnte.

In einer großangelegten politischen Eröffnungsrede sprach dann der bisherige Präsident der Zionistischen Weltorganisation, Sokolow, über die Lage des jüdischen Volkes und des Zionismus. Einen großen Raum nahmen die Schilderungen der Verhältnisse in Deutschland ein. Sokolow erging sich hierbei in Beschimpfungen Deutschlands und des Antisemitismus. Bemerkenswert waren seine Ausführungen über die Lage der Juden in Polen, die er als verzweifelt und katastrophal bezeichnete.

Mit großer Bestürzung wurde eine Erklärung des Fraktionsführers des Weltmisrachi - Rabbiner Brodt - aufgenommen, der die anarchistischen Zustände geißelte, die angeblich in Palästina auf religiösem Gebiet herrschten. Brodt erklärte, daß die religiösen Heiligtümer ständig entweiht würden, und daß die Zuchtlosigkeit auf sexuellem Gebiet erschreckende Formen angenommen habe. Da die Zionistische Arbeiterpartei die bisherigen wiederholten Vorstellungen unbeachtet gelassen habe, wolle der Misrachi sich an den Verhandlungen nicht beteiligen.

Die auf allen Gebieten des jüdischen Lebens zwischen den einzelnen zionistischen Gruppen bestehenden Meinungsverschiedenheiten und starken Spannungen lösten auf dem Kongreß oft endlose Debatten aus. Der Kongreß zog sich deshalb um eine Woche über die festgesetzte Zeit hinaus.

Für Deutschland waren die Verhandlungen über den Transfer , den Boykott und die antideutsche Demonstration von Interesse.

Bemerkenswert war die verschiedenartige Einstellung der einzelnen zionistischen Organisationen zu diesen Fragen. Während ein großer Teil von ihnen sich wegen der wirtschaftlichen Vorteile für die Beibehaltung des Transfers in der bisherigen Form aussprach und sich andererseits doch für die Fortführung des Boykotts in verstärkter Form einsetzte, wurde von den Rednern anderer Organisationen die Abschaffung des überaus verwerflichen und schädigenden deutsch-jüdischen Transfers gefordert und bezüglich des Boykotts erklärt, daß er als Angelegenheit der besonderen Boykottorganisationen hier nicht zur Debatte stände.

Ein Abgeordneter der Arbeiterpartei erklärte, daß das Transferabkommen nicht eine Durchbrechung des Boykotts sei. Durch das Abkommen werde nicht nur jüdisches Geld gerettet, es würde auch verhindert, daß das Geld deutscher Juden den Zwecken des nationalsozialistischen Staates und der deutschen Rüstungsindustrie dienstbar gemacht würde. Mit dem Transferabkommen würde Deutschland geschädigt. Selbst wenn deutsches Eisen und deutscher Beton in Palästina verwendet würden, baue man doch damit das Land auf und widerlege so die nat.soz. Lüge von der Minderwertigkeit der jüdischen Rasse.

Ein Antrag des Fraktionsführers der Judenstaatspartei Großmann, wonach es allen unter der Kontrolle der Zionistischen Organisation stehenden Institutionen und leitenden Instanzen untersagt sein sollte, direkt oder indirekt irgendwelche Handelsbeziehungen mit dem heutigen Deutschland zu unterhalten oder wirtschaftliche Abkommen abzuschließen und die zionistischen Finanzinstitute ihre Beziehungen zu dem Transfer-Übereinkommen zu lösen hätten, wurde abgelehnt.

Der Kongreß beschloß, gegen das Transferabkommen im allgemeinen nichts zu unternehmen. Zur Verhinderung der Einfuhr solchen jüdischen Kapitals, dessen Besitzer noch in Deutschland verblieben, solle jedoch von der Zionistischen Organisation eine Kontrolle über das palästinensische Bankinstitut N.J.R. (Haavara ) übernommen werden. Dieser Beschluß ist offenbar auf das Bestreben zurückzuführen, eine Einigung um jeden Preis zu erzielen und den Wünschen der im allgemeinen Zionismus führenden jüdischen Arbeiterpartei (Histadruth ) nach Möglichkeit zu entsprechen. Der Beschluß hatte folgende Fassung:

''Um die weitere Einwanderung von Juden aus Deutschland nach Palästina zu verstärken, wird die Executive beauftragt, die gesamte Arbeit der Haavara unter ihre Kontrolle zu nehmen.''

Neben diesem in öffentlicher Verhandlung gefaßten Beschluß war noch eine interne Resolution über den Transfer gefaßt worden. Auf Wunsch der deutschen Delegation und eines Teiles der Zionistischen Arbeiterpartei mußte auch die interne Resolution der Delegiertenversammlung bekanntgegeben werden. Sie hatte folgenden Wortlaut:

1. Das [sic] Transfer hat sich nur auf die Überführung von Kapitalien solcher Juden aus Deutschland zu beziehen, die nach Palästina auswandern wollen. Die Überführung von Kapitalien ohne die direkte Verbindung mit Personen, die sofort auswandern wollen, ist nur zulässig, wenn es sich um Kapitalien handelt, die nationalen oder öffentlichen Fonds zugeführt werden, die keinem privaten Interesse dienen.

2. Die Haavarah bleibt auf Palästina beschränkt. Eine Erörterung über eine Änderung dieser Regel ist nur in Ausnahmefällen von Nothilfe und nur unter bestimmten Kautelen zulässig.

3. Die Haavarah wird nichts zu tun haben mit den Transferabkommen, die gewisse Exporteure in Palästina abschließen wollen. Alle derartigen Abkommen, für die es bei uns schon gewisse populäre Ausdrücke gibt, werden mit den die Haavarah kontrollierenden Instanzen nichts zu tun haben.

Zu einer Interpellation der Judenstaatspartei über die Verwendung deutschen Zements beim Bau der Anglo Palestine Company in Tel-Aviv wurde die sofortige Verhandlung mit Stimmenmehrheit abgelehnt, worauf die Delegierten der Judenstaatspartei im Chor mit den Rufen ''Hitler-Agenten!'', ''Kauft deutsche Waren!'', ''Ihr macht mit Hitler Geschäfte!'' u. a. antworteten.

Offenbar aus der nicht unbegründeten Besorgnis, eine Beschlußfassung über die Boykottfrage könnte bei der in den verschiedenen Reden zutage getretenen Gegensätzlichkeit zu einem erneuten Ausbruch führen, hat es die Kongreßleitung geflissentlich vermieden, Beschlüsse zur Boykottfrage zur Debatte zu stellen. Dieser Punkt wurde in den weiteren Verhandlungen mit Stillschweigen übergangen.

Schwierigkeiten bereitete die beabsichtigt gewesene Demonstration der Zionistischen Organisation gegen Deutschland, nachdem die deutsche Delegation zu den Verhandlungen zugelassen worden war. Schließlich wurde bestimmt, daß am 28.8.1935 als Zeichen des Protestes und der Trauer über die Ereignisse in Deutschland der Kongreß für einen halben Tag geschlossen bleiben solle. Daraufhin wurden am 27.8.35 die jüdischen Fahnen auf dem Kunsthause eingezogen und durch schwarze Fahnen ersetzt, die bis zur Wiedereröffnung der Verhandlungen am 28.8.1935 abends als Protest gegen Deutschland hängen blieben.

Trotz seiner äußeren glänzenden Aufmachung bot der Kongreß ein deutliches Bild der Zerrissenheit innerhalb des Zionismus. In welchem Maße dieser bereits dem Bolschewismus zuneigt, ließ der Hinweis eines Abgeordneten des Weltverbandes allgemeiner Zionisten erkennen, der in seiner Rede Anklage dagegen erhob, daß die Zionistische Arbeiterpartei die jüdische Jugend im Geiste Moskaus erziehe.

Zu der Eröffnungssitzung trug der vom Hechaluz gestellte Ordnerdienst Teile der früheren SPD -Uniform (blaue Bluse mit dem Abzeichen der drei Pfeile), während einzelne Angehörige der Untergruppe Haschomer Hazair des Hechaluz Abzeichen mit ''Hammer und Sichel'' angesteckt hatten. Obwohl mit Bezug auf einen Beschluß des Kongresses von 1933 gegen das Auftreten in Parteiuniformen und mit politischen Abzeichen protestiert wurde, gelang es nicht, die Wiederholung zu verhindern. Auch Mitglieder der deutschen Verbände sind als Träger der sozialdemokratischen Bluse und des Abzeichens festgestellt worden. Sie nahmen ebenfalls an einem von der sozialdemokratischen Partei in Luzern veranstalteten offiziellen Empfangsabend teil, auf dem zum ''Kampf gegen den Faschismus'' gehetzt wurde. Weiter wurde an dem Verhalten der Delegierten aus Deutschland erkennbar, daß die angeblich bei der Machtübernahme durch Selbstauflösung eingegangene Gruppe ''Poale Zion'', die Mitglied der II. Internationale ist, noch illegal innerhalb der Zionistischen Organisation weiterzuarbeiten scheint. Inwieweit ein politisch-polizeiliches Vorgehen gegen einzelne Teilnehmer aus Deutschland oder deutsche Reichsangehörige aus dem Ausland aus Anlaß des Kongresses notwendig ist, wird z.Zt. anhand des umfangreichen Materials geprüft.

[Begleitschreiben Werner Bests an den Preußischen Ministerpräsidenten]

Zu meinem Bericht vom 27.9.1935 - betr. den XIX. Zionistenkongreß, Luzern

Ich habe von der Einleitung eines Strafverfahrens gegen diejenigen deutschen Teilnehmer am Zionistenkongreß, die angeblich marxistische und kommunistische Abzeichen getragen haben, abgesehen, da die Person des Vertrauensmannes im Verlaufe des Verfahrens preisgegeben werden müßte und hierdurch die Überwachung des Judentums erheblich erschwert würde. Die Angelegenheit ist daher lediglich staatspolizeilich ausgewertet worden.

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