Menü
Chronik und Quellen
1935
August 1935

Der Oberbürgermeister berichtet aus Stargard

Der Oberbürgermeister von Stargard erstattet am 24. August 1935 folgenden Bericht:

In den Vormittagsstunden des 24.8.1935 erschien der Krim[inal] Kommissar Augustin der L[andes]K[riminal]P[olizei]-Stelle in Stettin in Stargard/Pom., um den Viehhändler Julius Aron und dessen Sohn Ernst, beide hier, Pelzerstraße 16 wohnhaft, festzunehmen.

Gegen 14 1/2 Uhr bemerkte ein Polizeibeamter vor dem Hause Pelzerstraße 16 eine Ansammlung von etwa 300 Personen. Beim Erscheinen der Polizeibeamten fuhr ein Teil dieser Personen auf Kraftwagen ab, während der Rest sich auf Aufforderung entfernte. Als der Krim[iminal]Kommissar Augustin gegen 15.30 Uhr die beiden Juden zur Kriminalpolizei brachte, sammelten sich vor dem Gebäude der Kriminalpolizei 70 bis 80 Personen an. Auch machte ein Teil dieser Personen den Versuch, in die Krim[inal] Ab[teilung] nachzudringen. Die Menge wuchs auf 250 bis 300 Personen an. Es wurde im Sprechchor gerufen: ''Wir gehen nicht nach Haus, die Juden müssen raus''. Die Menge forderte, die Juden mit entsprechenden Plakaten durch die Stadt zu führen. Als dieses Ersuchen abgelehnt wurde, sollte ein Umzug durch die Stadt erfolgen. Als ihnen erklärt wurde, daß Provokateure diesen Umzug zu Gewalttätigkeiten benutzen könnten, wurde auch hiervon Abstand genommen. Gleich darauf zerstreute sich die Menge.

Während dieser Zeit war die Tätigkeit des Kriminalkommissar Augustin lahmgelegt. Als die Menge sich zerstreut hatte, setzte Kriminalkommissar A. seine Tätigkeit fort. Während der vom Kriminalkommissar A. vorgenommenen Durchsuchung der Wohnräume des Juden Aron sammelte sich wiederum eine Menge von 150 Personen vor dessen Wohnung an. Diese wurden von Polizeibeamten zerstreut. Auch in andern Straßen sammelten sich immer wieder kleinere Gruppen. Hierbei hat der DAF beschäftigte Angestellte Theodor Rheus hier, Pyritzerstr. 40 wohnhaft, Kleider u. Wäschestücke, die vor dem Geschäft des jüdischen Kaufmanns Adler, Holzmarktstr. 20, hingen, auf die Straße geworfen. Beim Erscheinen von Polizeibeamten flüchtete er.

Als die Personalien eines SA -Mannes in Uniform festgestellt werden sollten, weil er mit zwei Gewichten in der Hand aus dem jüdischen Geschäft Moses Gr. Mühlenstraße 36 kam, verhinderten 10 bis 15 Mann unter denen sich auch der Adjutant der Standarte befand, die Feststellung. Einige dieser Personen trugen Parteiabzeichen.

Die Polizei Stargard berichtete am gleichen Tag ergänzend:

Am 24.8.1935 gegen 16 Uhr erhielt ich vom Pol. Kommissar Auftrag, keine Personen in die Kriminalabteilung zu lassen. Zu diesem Zweck stellt ich mich vor dem Eingang auf mit P[olizei]H[aupt]W[achtmeister] Lange.

Auf dem Marktplatz waren etwa 10 Personen, sowie eine neugierige Menschenmenge. Diese 8-10 Personen schrien fortgesetzt: ''Juden raus!'' Die Juden Aron waren bereits von der Stapo Stettin in die Kriminalabteilung zur Vernehmung untergebracht. Von PHW Lange wurde mir gesagt, daß das vor der Kriminalabteilung haltende Auto von Molkereidirektor Goers gesteuert wurde. Von diesem Auto kam der Angestellte Böhme der Ortskrankenkasse und ein gewisser Nürnberg auf mich zu. Von Böhme, der mir als solcher von PHW Lange bezeichnet wurde, wurde ich mit den Worten angebrüllt; ''Geben sie die Juden raus'': Als ich ihn darauf hinwies, daß Einzelaktionen nicht geduldet werden, und sie sich strafbar machten, wurde ich nochmals laut angebrüllt: ''Dann gehören sie auch zu den Judenknechten! '' Nürnberg dagegen schwang eine Zeitung (Stürmer ) in der Hand und rief: ''Hier steht was ganz anderes!'': Die bekommen ein Schild um und werden durch die Stadt geführt. Der Kriminalkommissar Augustin, der dieses alles mit angehört haben muß, kam und wollte an mir vorbei zur Kripo. Als er sagte; ''Lassen Sie k[...] Personen hinein, ich bin der Krim. Kommissar Augustin, ließ ich ihn passieren. Aus der Krim. Abteilung kam jetzt Pol. Kommissar Hen[...] und hat die am Auto stehenden und brüllenden Personen auf ihr strafbares Treiben hingewiesen. Ich konnte dieses aber nicht verstehen, da ich etwa 5 m entfernt mit Pol. Meister Schröder und PHW Lande an der Tür stand. Die überwiegende Mehrzahl der auf dem Markt anwesenden Personen, waren Neugierige, die auch weiter nichts veranlaßten.

Baum wird geladen...