Der Landrat berichtet aus Syke
Der Landrat der Grafschaft Hoya erstattet am 29. August 1935 folgenden Bericht für August 1935 aus Syke:
Der Kampf gegen das Judentum hat sich seit der letzten Berichterstattung im Kreise Grafschaft Hoya sehr verschärft. Das kommt darin zum Ausdruck, daß in fast allen größeren Gemeinden Schilder angebracht sind, die darauf hinweisen, daß Juden unerwünscht sind. Plakate, des Inhalts, daß Juden den Ort auf eigene Gefahr betreten, sind an mehreren Stellen angebracht gewesen, jetzt aber durchweg zurückgezogen. Ferner ist man in fast allen größeren Gemeinden dazu geschritten, Stürmerkästen anzubringen. In mehreren Gemeinden hat man in diesen Stürmerkästen auch die Namen solcher Personen, veröffentlicht, die beim Juden gekauft oder mit ihm Geschäfte gemacht haben, und es wurde in den Gemeinden auch fortgesetzt eine Kontrolle darüber ausgeübt, wer Judengeschäfte betritt. Wer für die Stürmerkästen verantwortlich ist, läßt sich durchweg mit Genauigkeit nicht feststellen. Die Namensnennungen der Personen, die bei Juden gekauft oder mit ihnen Geschäfte gemacht haben sollen, sind ohne weitere nähere Angaben von den ''Freunden des Stürmers'' unterschrieben. Die Veröffentlichung von Namen in den Stürmerkästen hat zur Folge gehabt, daß vor den Wohnungen einzelner Personen, die im Stürmerkasten genannt waren, Demonstrationen - in einigen Fällen von SA -Männern in Uniform - stattfanden; es wurde ''Judenknecht '' und ''Judenfreund'' gerufen und verlangt, daß der Judenfreund herauskomme. In einem Falle mußte ein Bauer vor dessen Hause die Demonstrationen stattfanden, zu seiner eigenen Sicherheit in Verwahrung genommen werden. Die Vorfälle sind durchweg der Staatspolizeistelle bezw. dem Herrn Regierungspräsidenten gemeldet. Die Demonstranten konnten entweder unter gütlicher Vermittlung des Ortsgruppenleiters der NSDAP oder auf die Aufforderung der Gendarmeriebeamten zum Auseinandergehen veranlaßt werden.
Es ist die Frage aufgeworfen, ob nicht bei Anprangerungen von Personen im Stürmerkasten in Zukunft verlangt werden muß, daß die Namen derjenigen, die für die Bekanntmachung verantwortlich sind angegeben werden müssen. Wenn man im heutigen Staate Denunzierungen [sic] ohne Namensnennung als verwerflich in den Papierkorb wirft, so muß m.E. auch verlangt werden, daß diejenigen, die andere anprangern, sich verantwortlich nennen, schon damit derjenige, der in seiner Ehre betroffen ist, bei etwa vorgekommenen ungerechtfertigtem Angriff den Verletzer seiner Ehre zur Rechenschaft ziehen kann. Auf meine Anfrage in einem Falle beim Ortsgruppenleiter der NSDAP , ob die Ortsgruppenleitung für den Stürmerkasten verantwortlich sei, da sie ja die Aufhängung des Kastens veranlaßt habe, wurde mir erwidert, daß die Ortsgruppenleitung sich für den Kasten nicht verantwortlich fühle. Wenn die Bewegung eine Anprangerung aus volkserzieherischen Gründen für richtig und zweckmäßig hält, muß sie sich m.E. auch verantwortlich hinter diese Veröffentlichung stellen. Auch erscheint es nicht ratsam, und im Interesse der Staatsautorität nicht wünschenswert, daß Beamte, wie es geschehen ist, im Stürmerkasten genannt werden, welche bei Juden gekauft haben. Wäre es hier nicht ratsamer, daß der betreffende Beamte, wenn er wirklich beim Juden gekauft hat, von der Ortsgruppenleitung eine besondere schriftliche Verwarnung bekäme. Dann würde der Beamte wenn er noch beim Juden gekauft hat, dies sicherlich in Zukunft unterlassen und die öffentliche Anprangerung des Beamten, die der Staatsautorität nicht dient, würde unterbleiben.
Im Stürmerkasten sind auch Bauern benannt worden, die Vieh an den Juden verkauft haben. Man hört des öfteren auf dem Lande Klagen, daß es an leistungs- und zahlungsfähigen deutschen Viehhändlern mangeln soll, und daß an den Juden teilweise verkauft wird, weil er bessere Preise zahlt, bar zahlt, und stets zur Stelle ist. Man wird daher seitens des Reichsnährstandes darauf hinwirken müssen, daß genügend leistungs- und zahlungsfähige deutsche Viehhändler da sind, bezw. Verkaufsorganisationen geschaffen werden, die den Bauern den Absatz seines Viehes sicherstellen.
Die Stimmung auf dem Lande hat sich im allgemeinen in der letzten Zeit nicht verbessert. Das scharfe Vorgehen in der Judenfrage wird von gewissen Teilen unserer Volksgenossen nicht verstanden. Man hört Äußerungen, daß es wohl durchaus richtig sei, den jüdischen Einfluß, namentlich den der großen und kapitalkräftigen Juden in den Städten zu brechen, daß die kleinen Juden auf dem Lande aber gewissermaßen niemanden etwas täten und daß man sie daher in Ruhe lassen solle und könne, ohne daß daraus Schaden erwächst. Von manchen wird auch folgender gerade in Syke vorliegender Fall als besonders hart erwähnt: Ein Jude, der eine stets einwandfrei geführte Schlachterei betreibt, ist Frontsoldat , besitzt das Eiserne Kreuz und das Frontkämpferkreuz; seine Frau ist als Schwester während des Krieges im Feldlazarett tätig gewesen und hat sich als solche ausweislich vorhandener Zeugnisse als Schwester aufopfernd betätigt. Die Leute haben sich stets zurückhaltend benommen und auch in früheren Jahren sehr viel Gutes für Notleidende getan. Nunmehr erstreckt sich die Bekämpfung des Judentums naturgemäß auch auf diese Persönlichkeiten und führt zweifellos zum Ruin des Geschäftes. Da man jüdische Beamte, die als Frontkämpfer am Kriege teilnahmen, in ihrem Amte beläßt, stellt nach der Meinung vieler diese Behandlung eines jüdischen Geschäftsmannes der Frontkämpfer war, eine gewisse Ungerechtigkeit dar.
Bei Durchführung der Aktionen in der Judenfrage ist m.E. der Mangel festzustellen gewesen, daß zwischen Behörden und Bewegung keine genügende Fühlung bestand. Bei den örtlichen Stellen der Bewegung bestand zweifellos die Auffassung, daß Einzelaktionen erwünscht seien, wenn auch parteiamtlich Einzelaktionen als nicht erwünscht bezeichnet worden waren. Regelmäßig werden sich die Vorfälle überall so abgespielt haben, daß dem Aushang der Personen, die mit Juden Geschäfte machten, Demonstrationen vor den Häusern der betreffenden Judenfreunde folgten und daß polizeilicherseits zum Schutz und zur Sicherheit der Personen, bei denen demonstriert wurde, Sicherheitsverwahrungen dieser Judenfreunde eintraten. Die Polizei kam dadurch in eine schwierige Lage, zumal in wiederholten Fällen Männer in SA-Uniform demonstrierten. Es muß m.E. vor Durchführung solcher Aktionen eine Verständigung zwischen Gauleitung und Regierung stattfinden, daß solche Aktionen durchgeführt werden sollen, wie weit sie zu gehen haben, und wie sich ferner bei ihnen die Polizei verhalten soll. Daß keine Übereinstimmung zwischen Regierung und Parteiinstanzen über die Durchführung bestand, schloß man im Lande auch daraus, daß der Reichsbankpräsident und Wirtschaftsminister Dr. Schacht eine offenbare amtliche Rede hielt, in der diese Einzelaktionen scharf verurteilt wurden, daß aber gerade die nationalsozialistische Presse diese Rede ganz verkürzt brachte und gerade die hierauf bezüglichen Stellen wegließ. Polizeilicherseits wurde jedenfalls der neuerliche Geheimerlaß des Herrn Reichsinnenministers über Unterbindung der Einzelaktionen und scharfes Einschreiten gegen sie mit größter Erleichterung begrüßt, weil er den Polizeiorganen endlich einen klaren Anhaltspunkt gab.
[...] Die Bewegung veranstaltete unter dem Motto: ''Letzte Warnung'' am Montag, den 26.ds.Mts. in Syke eine Massenkundgebung, die sehr gut besucht war. Die beiden Redner Landesstellenleiter [...]uxhagen vom Propagandaministerium und Gauinspektor Kopprasch sprachen durchaus gemäßigt. Kopprasch erwähnte, bei Behandlung der Judenfrage, ausdrücklich, daß man den Juden die zu ihrem Lebensbedarf erforderlichen Lebensmittel nicht vorenthalten solle und dürfe; nur Gegenstände mit denen er wieder handeln könne, solle man ihm nicht verkaufen. Es war gut, daß von parteiamtlicher Seite einmal ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, daß man an den Juden die Lebensmittel die er zur Fristung seines Lebens nötig hat, verkaufen darf, da sich bereits einige Juden darüber beklagten, daß ihnen selbst notwendige Nahrungsmittel wie Kartoffeln und Milch vorenthalten würden.