Das Polizeiamt Frankenthal berichtet
Der Regierungspräsident von Kassel erstattet am 31. August und am 7. November 1935 folgende Berichte für August 1935:
Die politische Lage im Stadtbezirk Frankenthal, einschließlich der 3 Vororte darf auch weiterhin als gut bezeichnet werden. In diesem Zusammenhange sei jedoch erwähnt, daß unterm 16. ds. Mts der [...] [N.N.a] und dessen Büroangestellte [N.N.b], beide von hier in Schutzhaft genommen und in das Landgerichtsgefängnis hier eingeliefert werden mußten, weil beide schon jahrelang ein intimes Verhältnis unterhielten das in der Öffentlichkeit großes Ärgernis auslöste. Am 19.8.35 lief der jüdische Kaufmann Max Reichmann einem jungen Manne in dessen Fahrrad. Dies hatte zur Folge, daß Reichmann den Betreffenden von seinem Fahrrad herunterstieß und weiterhin beschimpfte. Durch das aufreizende Verhalten des Reichmann ergriffen die Straßenpassanten für den Radfahrer Partei und Reichmann flüchtete daraufhin in den Bahnhof, wobei er durch das Hinaufspringen der Bahnsteigtreppe zu Fall kam und sich verletzte. (…)
Am 13. ds. Mts. versammelten sich die nationalsozialistischen Verbände zu einer Protestkundgebung auf dem Marktplatze. Kreisleiter Gauweiler als Redner schilderte das Blutsaugertum der Juden den deutschen Volksgenossen gegenüber und richtete anschließend einen Appell an alle Bewohner diese Nichtdeutschen nicht mehr als Volksgenossen zu unterstützen und auch nicht mehr mit ihnen zu verkehren. Anschließend hieran wurde auf dem Marktplatze als Mahnmal ein Stürmerkasten aufgestellt.
Am 7. November 1935 heißt es ergänzend:
Wenn man zu der Aufstellung des Juden Moritz Nachmann, Inhaber des Kaufhauses M. Nachmann in Frankenthal, bezw. der Großeinkaufsgenossenschaft Erwege GmbH, sicher auch eine Judenfirma, weil sich diese die Aufgabe gestellt hat, die Firma Nachmann zu vertreten, Stellung nehmen will, dann ist es notwendig, sich etwas näher mit der Vergangenheit des Judentums am hiesigen Orte zu beschäftigen.
In Frankenthal lag bei der Machtergreifung fast der gesamte Handel mit den hauptsächlichsten Gegenständen des hauswirtschaftlichen Verbrauchs in den Händen von Juden. Während diese in jeder Hinsicht das Geschäft machten und sich dabei recht wohl fühlten, wurden die christlichen Geschäfte immer mehr zurückgedrängt und so kam es, daß kleine und kleinste Existenzen infolge der jüdischen Konkurrenz, insbesondere aber durch den Verkauf von Ramschwaren und die Errichtung von Teilzahlungsgeschäften wirtschaftlich ruiniert und vernichtet wurden.
In diesem Zusammenhange muß noch erwähnt werden, daß am hiesigen Orte gerade die Juden es waren, die die marxistischen Organisationen in jeder Hinsicht unterstützten und so mit ihrem Teil den bestandenen Klassenkampf, ihres Vorteils wegen natürlich, förderten.
Der Schwiegersohn des Nachmann war bis zur Machtergreifung Jugendführer des Reichsbanners und verkehrt heute noch in kommunistischen Kreisen. Die Ehefrau Nachmann mußte erst vor einigen Monaten, weil sie es für notwendig fand, gegen bestehende Einrichtungen der Partei öffentlich Front zu machen, in Polizeihaft genommen und bestraft werden. Wenn sich die hiesige Bevölkerung dank der Aufklärungsarbeit der NSDAP und ihrer Untergliederungen heute von diesem Judengesindel abwendet und ihre Einkäufe in christlichen Geschäften tätigt, dann ist dies ein Vorgang, der durch die gegebenen Verhältnisse bedingt ist. Bereits in einem früheren Bericht, den die Firma ''Erwege'' an das Reichswirtschaftsministerium gerichtet hatte, wurde zum Ausdruck gebracht, daß die Firma gegenüber den früheren Jahren einen täglichen Einnahmeausfall von 350 RM zu verzeichnen habe. Demgegenüber muß ich hervorheben, daß es am hiesigen Platze eine Reihe von christl. Geschäften gibt, die an einem Tag nicht mehr als 15 RM bis 20 RM überhaupt einnehmen.
Wenn es sich die hiesige Kreisbetriebsgemeinschaftswaltung, Abteilung Handel, zur Aufgabe gemacht hat, die deutschen Geschäfte wie dies allerorts der Fall ist, als solche zu kennzeichnen, dann kann meines Erachtens nichts dagegen eingewendet werden. Nicht richtig dagegen ist die Behauptung der Firma Nachmann, daß die Kreisbetriebsgemeinschaft, Abteilung Handel, eine Überwachung der jüdischen Geschäfte durchgeführt hat oder durchführen läßt, wenigstens wird dies von den zuständigen Stellen entschieden bestritten. Richtig ist dagegen, daß im Laufe des Monats August ds. Js. von den amtlichen Stellen der NSDAP und deren Untergliederungen eine vorübergehende Überwachung der hiesigen jüdischen Geschäfte durchführen ließ, weil diesen Stellen gemeldet worden war, daß Angehörige der Partei und der Untergliederungen nicht nur Verkehr mit Juden pflegen, sondern auch Einkäufe bei diesen tätigen würden. Wenn im Rahmen dieser Maßnahme die eine oder andere Person wegen parteischädigenden Verhaltens zur Rechenschaft gezogen wurde, dann können meines Erachtens Einwendungen dagegen nicht erhoben werden, denn die Reinhaltung der Bewegung erfordert solche und ähnliche Maßnahmen. Jedenfalls kann aber davon keine Rede sein, daß einzelnen Personen wegen ihres judenfreundlichen Verhaltens mit Entzug der Erwerbslosenunterstützung oder Pension gedroht wurde, weil zu einer derartigen Handhabung vorläufig jede gesetzliche Unterlage fehlt. Außerdem wird ein derartiges Vorgehen von den zuständigen Stellen entschieden bestritten.
In diesem Zusammenhange möchte ich noch erwähnen, daß im Monat August ds. Js. nicht allein in Frankenthal, sondern in der ganzen Pfalz und darüber hinaus eine allgemein Aktion gegen das Judentum durchgeführt wurde, die ihren Höhepunkt in einer Massendemonstration am 13.8.1935 auf dem hiesigen Marktplatze fand. Dazu kommt noch, daß in der damaligen Zeit eine artvergessene deutsche Angestellte eines Juden von hier, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber in Schutzhaft genommen werden mußte, um sie vor Eingriffen der erregten Bevölkerung zu schützen.
Wenn man all diese Momente berücksichtigt, dann kann man die begreifliche Einstellung und Erregung gegen das Judentum wenigstens am hiesigen Ort verstehen.
Was die Abwehrstelle gegen das Judentum anlangt, so handelt es sich nach der mir gewordenen Information um eine Einrichtung, die sich zum Ziele gesetzt hat, durch entsprechende Aufklärung und Werbung innerhalb der Bevölkerung eine Abkehr von Ramschwaren etc. zu erreichen, um dadurch dem deutschen Handel und Handwerk wieder Auftrieb zu verleihen.
Was die Anbringung der Plakate , mit der Aufschrift ''Hier werden keine Juden bedient'', anlangt, wurde folgendes festgestellt: Gelegentlich der oben bereits erwähnten Aktion gegen das Judentum wurden diese Plakate an den arischen Geschäften, im Einverständnis mit den jeweiligen Geschäftsinhabern angebracht. Die Aufstellung der Firma Erwege, daß diese Plakate von den Geschäftsinhabern nicht hätten entfernt werden dürfen, daß man sogar für den Fall des Entfernens Strafen angedroht habe, ist nicht richtig und eine Entstellung der Tatsachen. Richtig ist vielmehr, daß 80-90% dieser Plakate, die an der äußeren Front der Geschäfte angebracht waren, inzwischen infolge der Witterungseinflüsse abgefallen und nicht wieder ersetzt worden sind. Nur soweit Geschäftsinhaber selbst für die Wiederanbringung der Plakate besorgt waren, sind heute solche noch vorhanden.
Zusammenfassend möchte ich noch hervorheben, daß die Ruhe, Ordnung und Sicherheit in Bezug auf Handel und Gewerbe bisher in keiner Weise gestört war und das Gründe für ein polizeiliches Einschreiten nicht gegeben waren.