Das Bezirksamt Forchheim berichtet
Das Bezirksamt Forchheim erstattet folgenden Bericht für den 18. August 1935:
Bei dem Gasthofbesitzer Georg Kern in Pinzberg handelt es sich nicht um eine jüdische, sondern um eine arische Familie. Kern hat aber als arischer Gastwirt schon seit längerer Zeit in immer steigendem Maße jüdische Familien in seinem Gasthof und in dem damit verbundenen Familienbad aufgenommen. Der Betrieb des Kern war schließlich weithin als Judenunterschlupf bekannt. Namentlich aus Fürth und Nürnberg stellten sich die Juden, die sonst nirgends mehr in der näheren und weiteren Umgebung von Nürnberg-Fürth Unterkunft fanden, höchst zahlreich insbes. an den Samstagen und Sonntagen, bei Kern in Pinzberg ein. Diese Zustände lösten allmählich eine außerordentliche Unruhe, ja Empörung in der Bevölkerung aus. Auch der Kreisleiter der NSDAP sprach dem Bezirksamt gegenüber seine Besorgnis und seinen Unmut über das Verhalten des Kern aus. Kern wurde auch gelegentlich von Gemeindebesuchen auf die Unzuträglichkeiten, die sein Verhalten im Gefolge haben könne, aufmerksam gemacht und ersucht, den Zuzug von Juden in seinem Betrieb einzudämmen, da ihm sonst möglicherweise aus seiner judenfreundlichen Einstellung noch Ungelegenheiten erwachsen könnten. Diese im Interesse des Kern selbst gegebenen, wohlgemeinten Ratschläge blieben ohne Erfolg.
Am Sonntag, den 18.8.1935, befand sich eine Reihe von SA -Männern im Wirtsgarten des Gasthofes Kern. Da sich die (arische) Kellnerin gegenüber einem SA-Mann herausfordernd benahm, gab ihr dieser eine Ohrfeige, was die Kellnerin veranlaßte, gegen den SA-Mann Strafanzeige zu erstatten. Daraufhin stellte der Führer der SA-Standarte 5 in Bamberg am 6.9.1935 beim Bezirksamt Forchheim den Antrag, gegen Kern und die Kellnerin sofort Schutzhaft zu verhängen und seinen Betrieb zu schließen. Am 11.9.1935 teilte der Führer der SA-Standarte mit, daß er am 8.9.1935 persönlich in Pinzberg gewesen sei, dort wiederum eine starke Empörung wahrnehmen mußte und im Falle der Nichtbeachtung seiner Anträge die Verantwortung für weitere Vorkommnisse ablehnen müsse. Das Bezirksamt sah zwar im Benehmen mit dem Kreisleiter der NSDAP von der Durchführung der von der SA-Standarte 5 geforderten Maßnahmen ab, da sie wohl den wirtschaftlichen Ruin des Kern bedeutet hätten, in einer persönlichen Unterredung am 14.9.35 wurde aber Kern von den gegen ihn gestellten Anträgen der SA-Standarte 5 in Kenntnis gesetzt und nochmals eindringlich auf die Schwierigkeiten und Weiterungen hingewiesen, die sein Verhalten schon hervorgerufen habe und fernerhin noch hervorrufen könne. Kern erklärte, daß er bereits seit 3 Wochen allen Juden, die sich bei ihm angemeldet hätten, abgeschrieben habe; es seien auch seit dieser Zeit keine Juden mehr nach Pinzberg gekommen. Er erklärte sich ferner bereit, den Juden in seinem Wirtschaftsbetrieb und in seinem Bad keinen Zutritt mehr zu gewähren und vor dem Wirtschaftsanwesen und Bad je eine Tafel mit der Aufschrift ''Juden unerwünscht'' anzubringen. Die letztere Maßnahme erschien geboten, da eine Beruhigung der Bevölkerung nur zu erwarten war, wenn auch nach außen hin, sowohl der Bevölkerung wie den Juden gegenüber zum Ausdruck gebracht würde, daß die Beherbergung von Juden zukünftig unterbliebe. Auf der von Kern an der Ecke seines Wirtschaftsanwesens angebrachten Tafel (zuerst Schiefertafel, dann schwarze Papptafel) ist die Aufschrift mit Kreide angebracht und meist verwischt und kaum leserlich.
Die M.E. vom 5.10.1933 Nr. VII 24807 dürfte schon deshalb nicht einschlägig sein, weil es sich dort um das Vorgehen gegen nichtarische Firmen handelt, während die Gastwirtschaft Kern ein arischer Betrieb ist. Ebensowenig kommt wohl das Rundschreiben des Herrn Reichs- und Preußischen Innenministers vom 20.8.1935 Nr. III P 2710/59 im vorliegenden Falle in Betracht. Es hat Einzelaktionen gegen Juden von Mitgliedern der NSDAP , ihren Gliederungen und der angeschlossenen Verbände im Auge. Abgesehen davon, daß es das Bezirksamt überhaupt nicht mit den Juden, sondern lediglich mit dem arischen Gastwirt Kern zu tun hatte und Mitglieder der NSDAP überhaupt nicht bei der Anbringung der Tafel beteiligt waren, kann hier auch von ''Einzelaktionen'' im Sinne des genannten Rundschreibens auf keinen Fall die Rede sein. Unter solchen ''Einzelaktionen'' sind doch Ungesetzlichkeiten, Ausschreitungen, strafbare Handlungen u. dergl. gegen Juden verstanden. Dagegen kann wohl von einer unzulässigen ''Einzelaktion'' nicht gesprochen werden, wenn das Bezirksamt als die für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Amtsbezirk zuständige und verantwortliche Behörde dem Gastwirt Kern eine Maßnahme nahelegt, die nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Bezirksamtes unbedingt erforderlich erschien, um etwaige Ungesetzlichkeiten gegen die Juden hintanzuhalten. Es sollte dadurch gerade unzulässigen ''Einzelaktionen'' gegen die Juden, die nach Sachlage, insbes. nach dem Schreiben der SA-Standarte 5 vom 11.9.1935 nicht ausgeschlossen schienen, vorgebeugt werden. Die vom Bezirksamt angeregte Anbringung der Tafel war wohl das Mindeste, was geschehen mußte, um wieder Ruhe in die Bevölkerung zu bringen, und blieb weit hinter den von der SA-Standarte 5 geforderten einschneidenden Maßnahmen zurück, zu deren Verhängung übrigens das Bezirksamt nach der Verordnung vom 28.2.1933 (RGBl . S. 83) gleichfalls berechtigt gewesen wäre.
Die Behauptung des Kern, daß durch die Anbringung der Tafel sein Geschäft vollkommen stillgelegt worden sei, ist unzutreffend. An dem Darniederliegen des Geschäfts trägt hauptsächlich Kern selbst die Schuld. Zunächst hat er schon dadurch, daß er die Juden in so starkem Maße an sich zog, viele arische Gäste vollständig vertrieben. Außerdem ist aber der Betrieb, seit Kern ihn innehat auch deshalb stark zurückgegangen, weil Kern den Anforderungen eines neuzeitlichen Wirtschaftsbetriebes nicht gewachsen ist. Er versteht nicht zu wirtschaften, die Wirtschaftsführung insbes. was Sauberkeit und Ordnung betrifft, läßt zu wünschen übrig und mußte wiederholt bei Gemeindebesichtigungen beanstandet werden. Sie entspricht keineswegs den Anforderungen, die man an ein gut geleitetes Gasthaus, geschweige denn an ein ''Kurhotel'' zu stellen gewohnt ist. Infolgedessen bleiben auch aus diesem Grunde die Gäste immer mehr aus. Dazu kommt noch, daß durch die Fortsetzung der Bahn von Ebermannstadt nach Behringersmühle und die außerordentliche Steigerung des Kraftfahrzeugverkehrs viele Gäste, die früher Pinzberg als Ausflugsort besuchten, nunmehr die Fränkische Schweiz für ihr Ausflüge wählen. Immerhin ließe sich aber der Betrieb bei der günstigen Lage von Pinzberg, insbes. zu den Städten Forchheim und Erlangen, und der weithin bekannten prächtigen Ansicht, die sich von dem Wirtschaftsanwesen bietet, halten, wenn ein tüchtiger Wirtschafter auf dem Anwesen wäre.
Unter Berücksichtigung aller Umstände muß die Beschwerde des Gastwirts Kern als unbegründet bezeichnet werden.