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Chronik und Quellen
1935
August 1935

Der Regierungspräsident berichtet aus Wiesbaden

Der Regierungspräsident von Wiesbaden erstattet am 31. August 1935 folgenden Bericht für August 1935:

Wenn ferner in dem außerordentlichen begrüßenswerten Erlaß des Herrn Reichsministers des Innern vom 20.8.35 - 3 P 3710/59 - als Rebell und Provokateur bezeichnet wird, wer Sonderaktionen gegen Juden unternimmt, und die Polizei zu rücksichtslosem Einschreiten gegen diese Elemente verpflichtet wird, so gerät die Polizei hierbei in unlösbaren Widerspruch mit Auffassungen, wie sie in der hiesigen Parteipresse und zum mindesten von untergeordneten Parteiinstanzen immer wieder zum Ausdruck kommen. Aus dem Auffassungskreis untergeordneter Parteidienststellen ist die Meinung nicht auszurotten, daß der Führer gewissermaßen ein doppeltes Gesicht habe. Gewisse Anordnungen, insbesondere auf dem Gebiet der Judenfrage , müßten dem Ausland gegenüber getroffen werden. Der wahre Wille des Führers dagegen sei jedem echten Nationalsozialisten aus seiner Weltanschauung heraus bekannt, und diesen Willen gelte es zu vollstrecken. Damit handele man im Sinne des Führers. Aus dieser Auffassung heraus erklärt es sich, daß bei den verschiedenartigsten Gewalttätigkeiten und Sonderaktionen gegen Juden, die nach den Vorfällen am Kurfürstendamm in Berlin in verstärkter Weise einsetzten, Parteigenossen und Mitglieder der SA maßgeblich beteiligt waren. So wurden bei einem Vorfall gegen einen Juden in der Faulbrunnenstraße in Wiesbaden SA-Angehörige festgenommen. Bei gewisse Spannungen, die aufeinen Juden in Wiesbaden-Sonnenberg protestierte sind Angehörige der HJ festgestellt. Nicht etwa der Verlag des ''Stürmer '', sondern Ortsgruppenleiter der NSDAP und Unterführer der SA haben, wie in der parteiamtlichen Zeitung mit anerkennenden Worten immer wieder festgestellt wird, an vielen Plätzen Stürmerkästen zur Aufstellung gebracht - wobei ich die Frage offen lassen will, ob ein Aushang der Stürmer-Nummer über den Juden [N.N.a] an öffentlichen Orten, wo er insbesondere von Jugendlichen umlagert wird, im Interesse der Moral angezeigt ist.

Solange in dieser, die Bevölkerung und die Wirtschaft beunruhigende Fragen keine klare einheitliche Auffassung in der breitesten Öffentlichkeit, insbesondere durch die Partei selbst bis in dies Versammlungen der Ortsgruppenleiter hinein, vertreten wird, läuft das gute Verhältnis zwischen Partei und Staat an den untergeordneten Stellen immer wieder Gefahr gestört zu werden. Das Verhalten der Polizei insbesondere muß von weitgehendem Verständnis der Bevölkerung, insbesondere der Parteigenossen getragen sein. Z. Zt. ist das in dieser Angelegenheit nicht der Fall.

Ich halte mich aus meiner verantwortlichen Stellung heraus noch für verpflichtet, auf die Behandlung gewisser Dinge durch die Presse hinzuweisen. Die Rede des Herrn Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht in Königsberg hat in weitesten Kreisen die größte Beachtung gefunden. Der Wortlaut dieser vor aller Öffentlichkeit gehaltenen Rede ist durch Sonderdruck der Reichsbank an Wirtschaftskreise verschickt und weitgehend verbreitet worden. Alle Stellen der Rede, die sich mit bemerkenswerter Offenheit gegen die Elemente, die der Herr Reichsminister des Innern in seinem erwähnten Erlaß als Rebellen und Provokateure bezeichnet, richtet und die die Judenfrage behandeln, sind, soweit ich sehen kann in der gesamten Presse restlos unterdrückt worden. Was sollen die vielen Leute, denen der Wortlaut der Rede zugegangen ist, sich für Gedanken über die Einheit von Partei und Staat machen, wenn entscheidende Stellen der Rede eines Reichsministers unterdrückt werden.

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