Der Regierungspräsident berichtet aus Osnabrück
Der Regierungspräsident von Osnabrück erstattet am 16. August 1935 folgenden Bericht:
Über die zur Zeit in der Stadt Osnabrück vorhandenen judenfeindlichen Aktionen habe ich bereits unter dem 10. August 1935 - I.P.7 - berichtet. Es handelt sich hauptsächlich darum, daß Personen von den Einkäufen in jüdischen Geschäften abgehalten werden, indem sie in den Ladeneingängen fotografiert und ihre Bilder später öffentlich zum Aushang gebracht werden. Außerdem werden vor den jüdischen Geschäften Tafeln mit der Aufschrift ''Jüdisches Geschäft! Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter und wird öffentlich angeprangert!'' aufgestellt.
Diese Aktionen sind seit etwa 2 Wochen im Gange. Man sieht ständig vor den jüdischen Geschäften Menschenansammlungen, die dem Schauspiel zusehen. Hin und wieder kommt es zu Auftritten, wenn Kunden der Geschäfte sich nicht fotografieren lassen wollen.
Naturgemäß gehen die Einnahmen der jüdischen Geschäfte stark zurück. Näheres ist aus der in Abschrift beigefügten Beschwerde der Firmen Alsberg und Wertheim zu entnehmen.
Diese Beschwerde habe ich gestern der Ortspolizeibehörde, die bislang noch in keiner Weise in die Angelegenheit eingegriffen hat, geschweige denn eine Entscheidung getroffen hätte, zur weiteren Veranlassung und Bescheidung der Beschwerdeführer übersandt. Ich habe angeordnet, daß in dem Bescheide die Stellungnahme der Ortspolizeibehörde zu den einzelnen beklagten Aktionen (Fotografieren der Käufer vor Geschäften, Ausstellung der Bilder dieser Personen in der Öffentlichkeit, Aufstellung von Schildern in den Geschäftseingängen) zum Ausdruck zu bringen ist, sodaß g.g.f. für die Beurteilung in der Beschwerdeinstanz eine geeignete Grundlage geschaffen wird. Die Herbeiführung einer klaren Stellungnahme der Ortspolizeibehörde halte ich auch deshalb im vorliegenden Falle für unerläßlich, weil der zuständige Polizeidezernent (Stadtrat Arnoldi) zugleich höherer Amtswalter der NSDAP ist und in diesen Tagen sogar den Kreisleiter vertreten hat.
Nach meinem Eindruck gehen die hier durchgeführten Aktionen gegen nichtarische Geschäfte über den Rahmen des nach der Anordnung des Stellvertreters des Führers vom 11. April (Runderlaß des Reichs- und Preuss. Ministers des Innern vom 15. Juni 1935 - I.A. 4220.3603 II -) Zulässigen hinaus. Dies habe ich auch gelegentlich einer gestrigen Besprechung mit den maßgeblichen Vertretern der Partei zum Ausdruck gebracht.