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Chronik und Quellen
1935
August 1935

Die Gestapo berichtet aus Stettin

Die Gestapo für den Regierungsbezirk Stettin erstattet am 30. August 1935 folgenden Tagesbericht:

Am 30. August 1935 um 18.45 Uhr sah ich [der Bürgermeister von Pölitz als Berichterstatter für die Stapo auf dem Wege zu meiner Wohnung Mühlenstraße auf dem Markt eine Volksansammlung von etwa 400 Personen. Von verschiedenen Personen wurden Handzettel verteilt. Einen solchen habe ich auch entgegengenommen. Aus dem Handzettel ging hervor, daß der Jude [N.N.a] ein rasseschänderisches Treiben an den Tag lege. Sprechchöre gaben den Wortlaut wieder, der auf einem ebenfalls empfangenen Zettel steht.

Nach ich nun festgestellt hatte, daß sich die Ansammlung gegen den Juden [N.N.a] richtet, wollte ich die entsprechenden polizeilichen Maßnahmen ergreifen. Ich ging sofort zum Rathaus zurück, um Polizeibeamte heranzuholen. Auf dem Weg dorthin begegnete ich Polizeihauptwachtmeister Hecke und Ollermann. Diese waren bereits von dem Angestellten Fricke benachrichtigt worden. Bei meiner Wiederankunft auf dem Marktplatze war indessen der Marktplatz leer. Ich hörte, daß die Volksmenge den Juden [N.N.a] aus seinem Geschäftslokal herausgeholt hat und mit ihm die Mühlenstraße, Wieckstraße, Hopfengarten und Fuhrstraße entlangging. Dem Polizeihauptwachtmeister Ollermann gab ich Befehl, der Ansammlung nachzugehen. Nach seinem Bericht konnte er sie aber nicht mehr einholen, da sie schon ein Stück voraus waren. Dem Polizeihauptwachtmeister Hecke behielt ich auf dem Markt in der Erwartung, daß die Volksmenge mit dem Juden wieder dorthin käme. Das traf zu. Weil der Jude [N.N.a] von der Volksmenge bereits durch die Straßen geführt wurde und ich andererseits in diesem Augenblick nur einen Polizeibeamten zur Verfügung hatte, war es mir nicht möglich, die Volksansammlung, die auf mindestens 1.000 Personen angestiegen war, zu zerstreuen, sondern ich mußte nach Lage der Sache den Juden von der Straße nehmen und zwar ist das in dem Augenblick geschehen, als die Volksmenge vor dem Rathaus war.

Während ich der Staatspolizei in Stettin und dem Herrn Landrat des Kreises Randow in Stettin von dem Vorgefallenen Mitteilung gab, wurde von der Volksmenge der Jude Leo Machol und seine beiden Schwestern vor das Rathaus geführt. Machol wohnt vom Rathaus 40 m entfernt. Die drei Personen wurden ebenfalls in das Rathaus hineingenommen.

Dem Polizeihauptwachtmeister Hecke habe ich Auftrag gegeben, die Volksmenge aufzufordern, die Straße zu verlassen. Nach kurzer Zeit meldete mir Herr Hecke, daß die Straßen frei sind.

[N.N.a] war etwa 20 Minuten und die Geschwister Machol etwa 15 Minuten im Rathaus. Sie konnten das Rathaus ungehindert verlassen und sich in ihre Wohnungen begeben. Etwa eine Stunde nach dem Vorfall erschien der Herr Landrat, der in meinem Beisein mit der politischen örtlichen Leitung und dem Beigeordneten Saegert das Vorgefallene besprach. Hierbei konnte nicht festgestellt werden, wer die Anführer der Versammlung waren.

Ein, Handblatt, das verteilt wurde, und der Wortlaut des Sprechchors, werden beigefügt.

An die Pölitzer Bevölkerung!

Das rasseschänderische Treiben des Juden [N.N.a] schlägt den nationalen Grundsätzen ins Gesicht; er lebt mit einer arischen Frau in einem zweifelhaften Verhältnis, woran die gesamte Pölitzer Bevölkerung Anstoß nimmt.

Unter dem verschleierten Name [N.N.a] betreibt der Jude [...] (denn so ist sein jüdischer Name in Wirklichkeit) in Pölitz seine Geschäfte.

Die Bevölkerung fordert die sofortige Entfernung des Juden [N.N.a] alias ''[...]'' aus unserer Stadt.

Wer lebt in Pölitz unter getarnten Namen?
Der Jude [N.N.a]!
Wie heißt er? (…)
Wer treibt in Pölitz Rassenschande?
Der Jude (...)!
Mit wem treibt er Rassenschande?
Mit dem arischen Mädchen [N.N.b] aus Bredow, geboren in Stolzenhagen!
Wer hinterzieht der Stadt die Steuern?
Der Jude (...)!
Was fordert die Pölitzer Bevölkerung?
Das der Jude Pölitz verläßt!

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