Die Gestapo berichtet aus Stettin
Die Gestapo für den Regierungsbezirk Stettin erstattet am 26. August 1935 folgenden Tagesbericht:
Am 24.8.1935 wurde der jüdische Viehhändler Julius Aron und dessen Sohn Ernst, beide wohnhaft in Stargard Pelserstr. 16, wegen versuchten Betruges durch einen Krim[inal]Kom[missar] der K[riminal]P[olizei] Stettin festgenommen.
Anläßlich dieser Festnahme kam es in Stargard am 24.8.35 zu judenfeindlichen Demonstrationen. Vor dem Hause des Juden Aron versammelte sich eine Menge von etwa 300 Personen, die jedoch durch die Polizei zerstreut werden konnte. Nach Unterbringung der beiden Festgenommenen im Gebäude der Kriminalpolizei in Stargard versammelte sich auch hier wieder eine Menge von etwa 250 bis 300 Personen, von denen einige den Versuch machten, in das Gebäude einzudringen. Die Menge forderte, die beiden Juden mit entsprechenden Plakaten durch die Stadt zu führen. Dieses wurde von der Polizei abgelehnt. Die Menge konnte beruhigt werden und zerstreute sich alsbald. Der Versuch, einen größeren Demonstrationszug zu bilden, konnte ebenfalls verhindert werden.
Im Laufe des Tages wurden jedoch von einzelnen Personen, darunter Parteigenossen, ein SS -Mann und mehrere SA -Männer, in verschiedenen Straßen der Stadt Einzelaktionen gegen jüdische Geschäfte vorgenommen, die zu Übergriffen gegen die Maßnahmen der Polizei führten. Der Parteigenosse Theodor Reuß, geb. am 12.2.09 zu Kolberg, wohnhaft Stargard, Pyritzerstr. 40, entfernte die vor der Ladentür des jüdischen Kaufhauses Adler Stargard, Holzmarktstr. 20, hängenden Wäsche-, bezw. Kleidungsstücke und warf sie auf die Straße. Als weitere Teilnehmer an dieser Einzelaktion wurden erkannt: Pg . SS-Mann Gabbert, Angestellter der Stadtverw. Stargard, Pg . SA-Mann Mack, Angestellter beim Bauamt Stargard, Pg . SA-Sturmführer Böhme, Krankenkassenangestellter, Stargard, SA-Mann Strehlau und der Fleischer Willi Moderow, Stargard.
Die erkannten Personen entzogen sich durch Flucht der Feststellung eines Polizeibeamten.
In einem anderen Falle wurde der SA-Mann Johannes Berg, wohnhaft in Klützow, beobachtet wie er das Geschäft des Juden Moses, Stargard, Gr. Mühlenstr. 36, mit zwei Gewichten in der Hand verließ. Aus dem Geschäft ertönte kurz zuvor ein Schrei. Die Feststellung der Personalien dieses SA-Mannes durch einen Polizeibeamten wurde von 10 bis 15 männlichen Personen, darunter einige mit Parteiabzeichen, verhindert. Sie umringten den Polizeibeamten und riefen: ''Einen SA-Mann festnehmen gibt es nicht.'' Hierbei wurden wieder die obengenannten Pg . Gabbert, Mack, Böhme sowie der Verkäufer der Stürmerzeitung Nürnberg, erkannt.
Vor einem Ausschanklokal in der Gr. Mühlenstraße hatte sich ebenfalls eine größere Menschenmenge eingefunden, die von Polizeibeamten zerstreut werden sollte. Auch hier fielen aus der Menge wieder die Worte: ''Keinen SA-Mann, keinen alten Kämpfer festnehmen, so etwas dulden wir nicht.''
Der Vorgang ist dem Oberstaatsanwalt in Stargard zugeleitet worden. Über den weiteren Verlauf der Angelegenheit wird unaufgefordert berichtet. Die Gauleitung, die Gruppe Pommern der SA und der SD haben Kenntnis erhalten.