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Chronik und Quellen
1935
August 1935

Die Gestapo berichtet aus Magdeburg

Die Gestapo für den Regierungsbezirk Magdeburg erstattet am 4. September 1935 folgenden Bericht für August:

Der Berichtsmonat stand im Zeichen der großen Propagandawelle gegen Staatsfeinde und Dunkelmänner, die sich zur Hauptsache praktisch gegen das Judentum und den politischen Katholizismus sowie gegen die Reaktion richtete. In zahlreichen Kreisen des Staatspolizeibezirks fanden diesbezügliche Versammlungen statt, die im allgemeinen sehr gut besucht waren. Hervorzuheben ist insbesondere die am 22.8. im Stadtpark in Schönebeck veranstaltete Massenkundgebung, in der der thüringische Staatsrat Hille in seiner Rede zum Kampf gegen alle Staatsfeinde aufforderte. Als besonders gefährlich bezeichnete Staatsrat Hille den Weltkommunismus, das Weltjudentum, die Weltfreimaurerei, die politische Betätigung der christlichen Kirche und die Reaktion. (…)

Als zweite Massenkundgebung ist die am 23.8. in Magdeburg stattgehabte Veranstaltung gegen das Judentum mit Frankenführer, Gauleiter Julius Streicher als Redner hervorzuheben. Innerhalb des Stadtkreises Magdeburg wurde vor und nach dieser Veranstaltung seitens der Parteidiensstellen eine besonders starke Agitation gegen das Judentum durchgeführt. Zahlreiche Transparente in einer Spannweite von 3 bis 4 m belebten das Stadtbild an den verkehrsreichen Punkten. Sehr zugkräftig wirkten die an Straßenbahntriebwagen an den Seitenwänden in ganzer Länge angebrachten Leinentransparente, die Aufschriften wie ''Die Juden sind unser Unglück'', ''Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter'' usw. trugen. Diese antisemitische Propaganda wirkte sich dahin aus, daß die jüdischen Geschäfte sehr stark gemieden wurden. Darüberhinaus kam es aber auch zu Ausschreitungen kleineren Umfanges, die jedoch sofort eingedämmt werden konnten. Da die Vermutung nahe lag, daß es sich bei solchen planlosen Einzelaktionen um kommunistische Elemente handelte, die diese Gelegenheit für ihre dunklen Ziele ausnutzen wollten, habe ich in Zusammenarbeit mit der örtlichen Sicherheitspolizei und im Einvernehmen mit der Kreisleitung derartige disziplinlose Übergriffe unterbunden. Insbesondere hat der Kreisleiter an seine politischen Leiter den strikten Befehl ausgegeben, sich unter keinen Umständen an solchen Einzelaktionen zu beteiligen. Da aus der Rede des Gauleiters Streicher auch ganz eindeutig hervorging, daß das Judentum nur unter Innehaltung strengster Disziplin seitens der Bevölkerung wirksam bekämpft werden könne, haben die Einzelaktionen dann auch bald nachgelassen.

Die NS-Hago hat alle Geschäftsinhaber aufgerufen, am Eingang zu ihren Geschäften ein Schild mit der Aufschrift ''Juden sind hier unerwünscht'' anzubringen. Soweit bisher feststellbar, ist dieser Aufruf in starken Maße befolgt worden. Auch die Magdeburger Elektrische Straßenbahn hat sich diesem Vorgehen angeschlossen. (…)

 

Juden und Freimaurer

Im Berichtsmonat war die Judenfrage lebhafter Erörterung in der Öffentlichkeit ausgesetzt. Die eingangs erwähnte antisemitische Propagandawelle führte zu verschiedenen Zwischenfällen. U.a. haben SA -Leute und Zivilisten besonders in der Stadt Halberstadt vor jüdischen Geschäftshäusern mit Fotoapparaten Aufstellung genommen und die Käufer fotografiert. Derartige Vorfälle haben sich durchweg in allen Städten ereignet. Der Erfolg war verschiedenartig. Teilweise mieden die Käufer jüdische Geschäfte tageweise gänzlich, teils haben sich während der Durchführung solcher Abwehrhandlungen mehr Käufer in jüdischen Geschäften eingefunden als vorher. Auch das Fotografieren der Käufer hat keineswegs immer abschreckend gewirkt. In einzelnen Fällen haben sich Käufer ostentativ vor dem Fotoapparat aufgestellt und höhnisch noch um einen Abzug gebeten.

In Stendal wurde die Schaufensterscheibe eines jüdischen Schuhgeschäfts eingeworfen und weiterhin die Transparentscheibe eines anderen jüdischen Geschäfts von unbekannten Tätern zertrümmert.

Ein besonderer Vorfall ereignete sich in Schönebeck/Elbe. Am 12.8. fand eine Versammlung der Ortsgruppe der NSDAP in Bad Salzelmen statt. Hier wurde das Verhalten einer in Bad Salzelmen zur Kur weilenden Jüdin, die sich ihrer Hausangestellten gegenüber sehr unsozial eingestellt hatte, zur Sprache gebracht. Der Ortsgruppenleiter warnte vor Einzelaktionen. Diese Beschwichtigung nützte aber nichts. Ein Fischhändler Kolbe aus dem Ortsteil Bad Salzelmen, der besonders stark als Antisemit in Erscheinung tritt und Truppführer des NSKK ist, gewann mit anderen Parteigenossen die Oberhand und zog mit etwa 150 Personen vor das Pensionshaus der Jüdin. In den späten Abendstunden entwickelten sich hier tumultartige Lärmszenen, wobei es auch zu Sachbeschädigungen im Garten und am Haus kam. Die Jüdin mußte schließlich zum Schutze ihrer eigenen Person in Schutzhaft genommen werden. Sie erklärte sich später bereit, sofort abzureisen. Dieser Vorfall gab der Badeverwaltung in Bad Salzelmen Veranlassung, sämtlichen Juden, die sich als Kurgäste in Bad Salzelmen aufhielten, nahezulegen, am nächsten Tag den Kurort zu verlassen. Sämtliche Juden sind daraufhin, ohne daß besondere Zwischenfälle eintraten, abgereist.

In erheblichem Maße zeigten sich Fälle, in denen Juden Rasseschändung begangen hatten. Es wurde mit aller Strenge vorgegangen und, soweit die Schuldigen in strafrechtlicher Hinsicht nicht belangt werden konnten, Schutzhaft gegen sie verhängt.

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