Die Polizei berichtet aus Kassel
Der Kasseler Polizeipräsident erstattet am 4. September 1935 folgenden Bericht für Juli und August 1935:
Die Bewegung gegen die Juden hat in den letzten Wochen, insbesondere durch die Berliner Vorgänge angestachelt, einen neuen Auftrieb bekommen. So mußte z. B. ein jüdisches Schuhwarengeschäft auf der Königsstraße, das in übertriebener Aufmachung einen Totalausverkauf anzeigte, mehrmals polizeilich geschlossen werden, da die Bevölkerung eine drohende Haltung sowohl gegen das kaufende Publikum als auch gegen die Inhaber des Geschäftes einnahm. Es sammelten sich Hunderte von Passanten an, die kein Verständnis für die jüdische anreißerische Art der Propaganda des Ladeninhabers aufbringen konnten. Die Ansammlung war anders als durch Schließung des Geschäftes nicht zu beseitigen. Die vorherige Entfernung der Plakate aus dem Schaufenster und von der Häuserfront war ohne Erfolg.
Der Boykott ist auf das eine genannte Geschäft beschränkt geblieben. Die Vermutung, daß er auch auf andere jüdische Geschäfte übergreifen würde, hat sich nicht bestätigt. Es sind lediglich einige Zettel antisemitischen Inhaltes an den Häuserfronten jüdischer Geschäftsinhaber festgestellt worden.
Im übrigen muß darauf hingewiesen werden, daß jüdische Warenhäuser und jüdische Einzelhandelsgeschäfte nach wie vor von großen Teilen der Bevölkerung besucht werden. Es wird noch einer erheblichen Erziehungsarbeit bedürfen, bis diese Mißstände abgestellt sind.