Bericht aus Koblenz
Der Regierungspräsident Koblenz erstattet am 3. August 1935 folgenden Bericht für Juni und Juli 1935:
Allgemeine Übersicht über die innerpolitische Entwicklung in den Berichtsmonaten
Während im Monat Juni festgestellt werden konnte, daß sich die Stimmung der Bevölkerung unter dem Eindruck der außerordentlichen außenpolitischen Erfolge sehr günstig entwickelt hatte, haben die Feststellungen im Monat Juli ergeben, daß die Stimmung der Bevölkerung, besonders an der Mosel und auf Teile des Hunsrücks, insbesondere aber im Kreis Kreuznach abgeflaut ist; im übrigen ist sie noch zufriedenstellend. [...]
Ein weiterer Grund dürfte darin liegen, daß der Erlaß des Herrn Ministerpräsidenten vom 16. v.M. St.M. I 7905, der auszugweise in der Presse veröffentlicht worden ist, besonders in den ländlichen Kreisen mit überwiegend katholischer Bevölkerung eine mancherorts vom katholischen Klerus und dessen Anhang auch künstlich erzeugte Meinung herbeigeführt hat, die dahin geht, daß ein Kulturkampf bevorstehe, der sich in ähnlicher Form abspielen werde, wie der Kampf gegen das Judentum. (…)
Landwirtschaft (…)
Die überhöhten Viehpreise führt der Landrat des Kreises Mayen darauf zurück, daß die jüdischen Viehhändler und Metzger den Bauern höhere Preise bieten und das gekaufte bezw. geschlachtete Vieh in die Großstädte liefern, wo ein höherer Preis erzielt wird. Um diesem Übelstande abzuhelfen, schlägt der Landrat vor:
1.) sämtliche jüdischen Viehhändler wegen gewerblicher Unzuverlässigkeit baldigst aus dem Viehhandel auszuschalten und Wandergewerbescheine und Legitimationskarten am 1.1.1936 nicht mehr auszufertigen;
2.) den Reichsnährstand zu veranlassen, sich umgehend mit der Heranbildung von christlichen Viehhändlern zu befassen oder Schlacht- und Nutzviehhandel auf genossenschaftliche Grundlage zu stellen;
3.) Festpreise für Schlachtvieh und Nutzvieh gestaffelt nach Güteklassen unter Berücksichtigung besonderer Zuchtgebiete anzusetzen. (…)
Handel und Gewerbe
Das Gewerbe klagt nach wie vor darüber, daß noch immer viel zu viel in jüdischen Geschäften eingekauft wird. (…)
Juden und Freimaurer
Die Betätigung der jüdischen Organisationen war in der Berichtszeit recht rege. Besonders die Vereinigung ''Hechaluz '', die die Pflege jüdischer Sitten betreibt, und auch für die Schaffung eines jüdischen Nationalstaates in Palästina sich einsetzt, veranstaltete in Bad Kreuznach häufig Zusammenkünfte.
Weiterhin fand in Koblenz eine Versammlung der zionistischen Vereinigung , an der 400 Personen teilnahmen, statt. Es sprach hier der Rabbiner Dr. Joachim Prinz aus Berlin über ''die jüdische Existenz heute''. Eine Jugendkundgebung der zionistischen Vereinigung ''Hechaluz'' Vallendar wurde in Koblenz veranstaltet. Am 1. Tage sprach vor annähernd 150 Teilnehmern beiderlei Geschlechts Jehuda Kaufmann aus Köln über ''Die Zukunft unserer Jugend''. Er wies dabei auf die Unmöglichkeit hin, die jüdische Jugend in Deutschland in irgend einer Weise einordnen zu wollen und forderte daher zur Unterstützung der zionistischen Organisation in Palästina durch Entsendung junger Juden auf.
Am 2. Tage sprachen vor Teilnehmern aus dem ganzen Bezirk Rheinland-Süd Jehuda Kaufmann und Ester Katznelson aus Köln über organisatorische Fragen und den erzieherischen Aufbau der Organisation in Palästina. In beiden Vorträgen wurde für eine Auswanderung nach Palästina geworben.
Ferner hielten die Juden in Andernach einen sogenannten Kulturabend ab, an dem ein Dr. Landau aus Frankfurt (Oder) über jüdische Geschichte sprach.
In Urbach, Kreis Neuwied, wurde ein Kursus zwecks Schulung von Auswanderern nach Palästina abgehalten. Diesen wollten die Sportgruppe Neuwied des Reichsbundes der jüdischen Frontsoldaten besuchen. Auf die Warnung des Bürgermeisters, daß durch ihr Erscheinen die Bevölkerung des Amtes Puderbach, die bereits durch das Schulungslager der Juden beunruhigt worden war, gereizt werden könnte, wurde von dem Ausflug Abstand genommen.
Die Ausschließung der Juden von der Ehrenpflicht des Wehrdienstes hat augenscheinlich niederdrückend auf sie gewirkt, zumal sie offensichtlich erwartet hatten, daß ihnen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die Möglichkeit bieten würde, eine Art Gleichberechtigung wieder zu erlangen.