Die Gestapo berichtet aus Stettin
Die Gestapo für den Regierungsbezirk Stettin berichtet am 5. August 1935 für Juli 1935:
Evangelische Bewegung (…)
Pastor Wendland, Vorname Karl, geb. 21.7.88 zu Bergmühle bei Beetz, wohnhaft in Wangerin, Kr. Regenwalde, brachte durch seine Ausführungen im Konfirmandenunterricht Unruhe in die Bevölkerung. Seine Ausführungen beschäftigten sich mit den Kulturen der Juden und Germanen. Er stellte sich dabei in starken Gegensatz zu Rosenbergs Mythos und zur nat. soz. Auffassung überhaupt. Beim Vergleich der beiden Kulturen zwischen Juden und Germanen gab er seiner Ansicht dahin Ausdruck, daß die Kultur der Juden wesentlich höher gestanden habe als die der Germanen. Wendland wurde unter Androhung eines evtl. Aufenthaltsverbotes strengstens verwarnt, seine Ausführungen im Konfirmandenunterricht in gleicher Weise fortzusetzen. Die Unruhe in der Bevölkerung legte sich, als bekannt geworden war, daß von Amtswegen eingeschritten wurde.
Juden und Freimaurer
Die Versammlungstätigkeit der Juden war im Berichtsmonat gering. Es wurden insgesamt nur 5 Versammlungen veranstaltet, und zwar 3 von dem Israelitischen Frauenverein und 2 von der Zionistischen Vereinigung .
Demonstrationen von Volks- und Parteigenossen gegen die Juden haben im Monat Juli an verschiedenen Orten des Stapo -Bezirks stattgefunden.
In der Woche vom 29.7.-3.8. führte die NS-Werbegemeinschaft in Verbindung mit der NS-Hago in Stettin eine Werbeaktion gegen die jüdischen Geschäfte durch. Es wurden Zettel verteilt und Plakate getragen mit der Aufschrift: ''Kauft nicht bei Juden'' usw. Um die gleiche Zeit fand hier ein Saison-Schlußverkauf statt, der riesige Menschenmengen anlockte. Die Aktion hatte zur Folge, daß viele deutsche Volksgenossen die jüdischen Geschäfte mieden. Den jüdischen Geschäftsinhabern war dieses nicht gleichgültig, sie wandten sich daher in einem Beschwerdetelegramm an das Reichswirtschaftsministerium. Das Telegramm hatte folgenden Wortlaut:
''Saisonschlußverkauf jüdischer Geschäfte durch judenfeindliche Maßnahmen sehr behindert. Postenstehen, Patrouillen, Flugzettelverteiler, Transparente, Straßenaufläufe, Beschimpfungen der Käufer hindern, ernste Gefahren für die Wirtschaft. gez. Gebr. Karger. Naumann Rosenbaum, Otto Lindner, Max Kurnik, Hermanns u. Froitzheim.''
Die Absendung des Telegramms der jüd. Geschäftsleute war hier nicht unbekannt geblieben. Der Bevölkerung, insbesondere der Parteigenossen, bemächtigte sich über das herausfordernde Benehmen der Juden eine große Erregung, so daß Gewalttätigkeiten zu befürchten waren. Die Parteistellen sahen sich daher genötigt, durch eine große Kundgebung öffentlich zu den jüdischen Anmaßungen Stellung zu nehmen und im beruhigenden Sinne auf die Partei- und Volksgenossen einzuwirken. Die Kundgebung fand am 2.8. statt. Es nahmen etwa 30.000 Menschen daran teil. Sie verlief in Ruhe und Ordnung. Auch späterhin ist es nicht mehr zu Zwischenfällen gekommen. Auf meine Tagesm. v. 5.8. Nr. 1408 darf ich hierbei besonders hinweisen.
Aus denselben Gründen demonstrierten Volksgenossen am 13. Juli in Stargard, am 15.7. in Plathe, am 27.7. in Wangerin, am 14.7. in Stralsund, deswegen, weil hier verschiedene Juden arische Mädchen geheiratet hatten; am 24.7. in Altdamm, weil hier ein Jude mit einer arischen Ehefrau Rassenschande getrieben hatte. [...] Am 24.7.35 in Ostseebad Misdroy, hier deswegen, weil die Juden in diesem Badeort sich besonders breit machten und trotz angebrachter Schilder , daß Juden unerwünscht seien, nicht abreisten. Erst dem Eingreifen der Kurverwaltung und der Partei gelang es, ihre Entfernung durchzudrücken; am 3.8. in Gollnow aus Gründen zu Abs. 3.
Das Kurhaus zu Binz a.Rg., das in Händen eines ungarischen Juden ist, bildet nach wie vor den Gegenstand häufiger Erörterungen innerhalb der Parteigenossenschaft und der nat. soz. gesinnten Badegäste. Besonders kritisiert wurde, daß Mannschaften und Offiziere des in Binz anlaufenden Kreuzers ''Köln'' sich nicht vom Kurhause fern gehalten haben sollen. Eine Fühlungnahme mit dem Oberbefehlshaber der Marine werde ich in die Wege leiten, damit nicht der durch die einheimische Bevölkerung geübte stille Boykott seine Wirkung verliert.