Die Gestapo berichtet aus Schneidemühl
Die Gestapo für den Regierungsbezirk Schneidemühl berichtet für Juli 1935:
Im übrigen konnte jedoch auch im Berichtsmonat festgestellt werden, daß weite Kreise der Bevölkerung sich das Ideengut des Nationalsozialismus noch nicht zu eigen gemacht haben. Dies zeigt sich besonders bei dem Einkauf in jüdischen Geschäften. Die Tatsache, daß durchweg alle jüdischen Geschäfte sich halten können, daß sie teilweise einen größeren Umsatz aufzuweisen haben als die christlichen Geschäfte, beweist, daß weite Kreise der Bevölkerung trotz aller Hinweise und Aufklärung seitens der Partei ihre Einkäufe in jüdischen Geschäften tätigen. (…)
Katholische Bewegung
Offene staatsfeindliche Bestrebungen innerhalb der katholischen Bewegung, die ein Einschreiten erfordert hätten, sind im Berichtsmonat nicht wahrgenommen worden, jedoch ist in erhöhtem Maße festgestellt worden, daß von einzelnen katholischen Geistlichen eine zielbewußte Wühlarbeit und Zersetzung betrieben wird. Im allgemeinen kann man sagen, daß die Stimmung der Bevölkerung gegenüber dem Verhalten des politischen Katholizismus, wie es sich in dem Vorfall von Münster und in den Devisenverfehlungen dokumentiert, tief empört ist. Die hiesigen Führer des politischen Katholizismus haben es zwar nicht zu dem sonst im Reiche gemeldeten Demonstrationen gegen den Nationalsozialismus und Provokationen kommen lassen, sie suchen aber sehr geschickt nach Vorwänden, aus denen sie eine Religionsfeindlichkeit des heutigen Regimes herleiten können.
So hat der Prälat in Meseritz sich beschwerdeführend an die Stadtverwaltung gewandt und die sofortige Entfernung eines ausgehängten Exemplars ''Der Stürmer '' verlangt, auf dem eine Nonne in Satanskrallen abgebildet und in welchem von dem Einfluß des Judentums auf katholische Priesterkreise die Rede war. Nachdem dieses Ersuchen abgelehnt war, war der ausgehängte ''Stürmer'' am nächsten Tage von unbekannter Seite verbrannt worden. Diese und Beschwerden ähnlicher Art berechtigen zu der Vermutung, daß diese Kreise bewußt nach Gründen suchen, um von Religionsfeindlichkeit sprechen und evtl. auch eine Märtyrerrolle spielen zu können. Dagegen zeigen diese Kreise bei der direkten politischen Betätigung größte Vorsicht und gehen sehr geschickt zu Werke. Sie vermeiden alles, was sie in direktem Gegensatz zu den Anordnungen des Staates setzen könnte. (…)
Evangelische Bewegung
Der Streit in der evangelischen Kirche hat in seinen äußeren Formen nachgelassen. Die Stärke der Anhänger der Bekenntnisfront ist gegenüber dem Vormonat zumindesten die gleiche geblieben, eher ist sie an einzelnen Orten noch gewachsen. Aus der äußeren Beruhigung des Kirchenstreites darf jedoch nicht geschlossen werden, daß die Aktivität der Bekenntniskirche nachgelassen hat. Der Kampf geht vielmehr unter der Oberfläche weiter. Der evangelische Kirchenstreit ist lediglich durch die jüngsten Maßnahmen des Staates gegenüber dem politischen Katholizismus, gegenüber den Juden und den reaktionären Kreisen in den Hintergrund getreten. (…)
Juden und Freimaurer
Im Verhalten von Juden und Freimaurern hat sich keine nennenswerte Änderung ergeben. Die hier und besonders dicht an der Grenze ansässigen Juden erhalten neuerdings regen Besuch und beginnen wieder lebhafter ihre Geschäftsverbindungen aufzunehmen. Auch ist ihr Auftreten nicht mehr so zurückhaltend wie bisher.
Zur Abwehr, des beobachteten stärkeren Auftretens der Juden haben verschiedene Ortschaften weithin sichtbare Schilder angebracht mit der Aufschrift wie: ''Juden sind hier unerwünscht'', ''Juden halt! Kehrt marsch'', ''Juden betreten die Badeanstalt auf eigene Gefahr!'' usw. Die in fast allen Städten des Bezirks jetzt angebrachten Stürmer-Kästen erregen in der Bevölkerung größtes Interesse.