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Chronik und Quellen
1935
Juli 1935

Die Gestapo berichtet aus Lüneburg

Die Gestapo des Regierungsbezirks Lüneburg erstattet folgenden Lagebericht für Juli 1935 aus Harburg-Wilhelmsburg:

Die Juden-Boykottbewegung hat im Berichtsmonat im diesseitigen Bezirk ihren Höhepunkt erreicht. In der Stadt Harburg wurden in der Nacht zum 25.7. fast alle Schaufenster jüdischer Geschäfte mit Farbe beschmiert. Zu irgendwelchen Ausschreitungen ist es hierbei nicht gekommen. Für die Beseitigung dieser, anscheinend durch Provokateure veranlaßte Beschmierung, wurde in den frühen Morgenstunden Sorge getragen.

In Lüneburg wurde in einem ''Stürmer -Kasten'' ein mit Schreibmaschine gefertigtes Schreiben folgenden Inhalts ausgehängt:

''Judenknechte an den Pranger!

Zu den Artvergessenen, welche immer noch ihr Geld zum Juden tragen, gehört auch die Frau des Landrats Albrecht, Anna geb. von Schmidtseck. Auch sie läßt sich im landrätlichen Auto zum Juden Marx fahren und die Zähne reparieren. Als Frau eines Staatsbeamten sollte sie eigentlich Vorbild sein.

Die SA läßt es sich nicht länger bieten, daß Beamte im Staate Adolf Hitlers Verkehr mit Juden, gleich welcher Art, unterhalten. Andernfalls mögen sie sich von der Synagogengemeinde besolden lassen.

Wer beim Juden kauft ist ein Volksverräter!''

In dem gleichen ''Stürmer-Kasten'' wurde die Nr. 29 der Zeitschrift ''Der Stürmer'' veröffentlicht, in welchem unter Lüneburg folgende Notiz stand:

''Wir können nicht glauben, daß ein Oberbürgermeister im Schuhhaus Nathan Beer einkauft und seine Zähne beim Juden Dr. Marx behandeln läßt.''

Der mit Schreibmaschine gefertigte Aushang wurde im Interesse der Staatsautorität und zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beschlagnahmt.

Seit dem 25. ds. Mts. werden im Bezirk durch den ''Stürmer-Verlag'' 2 x 1 m große rote Plakate zum Aushang gebracht, die die Verurteilung des Juden [N.N.] in Magdeburg zu 10 Jahren Zuchthaus und lebenslänglicher Sicherheitsverwahrung zum Gegenstand haben.

Bezüglich des Kampfes gegen das Judentum muß erwähnt werden, daß es aus staatspolitischen Gründen durchaus unzweckmäßig erscheint, wenn die NS-HAGO derart in den Vordergrund tritt, wie es im diesseitigen Bezirk der Fall ist. Die Bevölkerung wird dadurch irre geführt. Sie glaubt, daß dieser Kampf nicht aus rassepolitischen und weltanschaulichen Gründen geführt wird, sondern aus Gründen des Konkurrenzkampfes. Aus diesem Grunde ist auch mit der Gauleitung Ost-Hannover vereinbart, die ''Stürmer-Kästen'' in der jetzigen Form nach Möglichkeit verschwinden zu lassen und den ''Stürmer'' da zum Aushang zu bringen, wo auch andere nationalsozialistische Zeitungen aushängen. Im diesseitigen Bezirk tragen nämlich die ''Stürmer-Kästen'' das Abzeichen der NS-HAGO und der DAF . Von einzelnen Ortspolizeibehörden des Bezirks sind auch bereits aus den angegebenen Ursachen ''Stürmer-Kästen'' verboten worden.

Zu Ausschreitungen, die das Eingreifen der Polizei erforderlich gemacht hätten, ist es nicht gekommen.

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