Die Gestapo berichtet aus Hannover
Die Gestapo des Regierungsbezirks Hannover erstattet am 3. August 1935 folgenden Lagebericht für Juli 1935:
Die innenpolitische Lage hat im Monat Juli eine wesentliche Spannung erfahren. Sie dürfte in der Hauptsache auf die Maßnahmen gegen die Juden, gegen den NSDFB (Stahlhelm) und gegen die kath. Jugendverbände zurückzuführen sein. Besonders die Stadtbevölkerung verfolgt diese Ereignisse mit großem Interesse, aber unterschiedlicher Beurteilung. Die vielfach in Erscheinung tretende Ablehnung der behördlichen und besonders der parteiamtlichen Maßnahmen läßt erkennen, daß manche Volkskreise die tiefer liegenden Gründe dieser Maßnahmen nicht zu fassen vermögen. (…)
Juden
Die in der Judenbewegung schon seit längerer Zeit bestehende Uneinigkeit zwischen den Zionisten und den deutsch-jüdischen Juden verschärft sich weiter. Die Gegnerschaft, die anscheinend unüberbrückbar ist, besteht hauptsächlich zwischen den Zionisten und dem ''Reichsbund jüdischer Frontsoldaten '', weil der Reichsbund seine Vormachtstellung im deutschen Judentum durch den stärker werdenden Einfluß der Zionisten schwinden sieht. Gegnerschaft besteht ebenfalls zwischen den Zionisten und der ''Aguda Isroel ''. Seit einigen Monaten versucht die Aguda von sich aus Einwanderungsgruppen nach Palästina neben der zionistischen Organisation zu bilden, auch in Palästina eine Sondergruppe orthodoxer Lebenshaltung zu organisieren. Die Gegnerschaft zum Zionismus liegt darin begründet, daß die ''Aguda Isroel'' glaubt, allein die göttliche Hilfe sei imstande, Palästina wieder aufzubauen. Die Angehörigen der Aguda sind thoratreu. Sie haben in Deutschland nur einen kleinen Anhängerkreis. So zählt die Ortsgruppe Hannover etwa 70 Mitglieder. Umschichtungsheime befinden sich in Siegburg, Mergentheim und Frankfurt a.M. Die hiesige Ortsgruppe hat bislang etwa 15 Jugendliche für Palästina umgeschichtet.
Die Zahl der in Hannover lebenden Juden ist von etwa 5.500 - Zahl der letzten Jahre - auf etwa 4.200 zurückgegangen. Von den Ausgewanderten haben etwa 22% die Mittel der Gemeinde bzw. ihrer Wohlfahrtseinrichtungen in Anspruch genommen. Die Auswanderer werden in verschiedene Kategorien eingeteilt und zwar:
1. Kapitalisten = Kategorie A 1. Überweisung der Kapitalien erfolgt durch die Reichshauptbank in Berlin.
2. Angehörige der Palästinensischen Einwohner = Kategorie D 1. Erhalten ihre Zertifikate aus Palästina und werden geldlich von der Zentralstelle der Wohlfahrtspflege der Synagogengemeinde unterstützt.
3. Kinder, die auf Siedlungen oder Erziehungsheimen in Palästina untergebracht werden = Kategorie ? Auswanderung erfolgt durch die jüdischen Jugendorganisationen in Berlin mit Unterstützung der Zentralstelle der Wohlfahrtspflege der Synagogengemeinde.
4. Arbeiter = Kategorie C. Für diese Kategorie werden die Zertifikate durch das Palästina-Amt in Berlin bezogen.
Die von den jüdischen Organisationen in den letzten Monaten gesteigerte Versammlungstätigkeit brachte das Judentum in eine gefestigtere Abwehrstellung zu Staat und Partei. Die Folge ist eine allgemeine aggressivere Haltung und Neigung zu verstärktem Widerstand gegen behördliche oder parteiamtliche Maßnahmen. Auch die immer noch vorliegende Tatsache, daß viele Volksgenossen aus Gleichgültigkeit usw. ihre Einkäufe in jüdischen Geschäften tätigen und dadurch das Judentum wirtschaftlich stärken, trägt zu dieser Haltung bei. Von jüdischer Seite veranlaßte Vorkommnisse im Reich sowie örtliche Fälle haben dann bei der Bevölkerung begreifliche Empörung hervorgerufen, die sich schließlich in Einzelaktionen gegen Juden und jüdische Geschäfte ausgewirkt haben. Hier hat örtlich besonders der Fall des Juden [N.N.] aus Hannover starke Erregung hervorgerufen. [N.N.] hat in 13 nachgewiesenen Fällen deutsche Frauen, zum größten Teil unter Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen Notlage, geschlechtlich gebraucht. Pressemitteilungen zu diesem Fall hatten zur Folge, daß Anzeigen gegen weitere Juden wegen Rasseschändung erstattet worden sind. [N.N.] wurde in Schutzhaft genommen und dem Konzentrationslager zugeführt. Weiter mußte ein Jude Behrendt aus Hannover in Schutzhaft genommen werden, weil er einen schwerkriegsbeschädigten Angestellten beleidigt und ohne Grund entlassen hatte. Die Öffentlichkeit war dadurch sehr aufgebracht.
Auch in verschiedenen kleineren Städten meines Bezirks haben Juden Anlaß zu örtlicher Beunruhigung gegeben, die auf Vorfälle von Rassenschändung beruhen, z.T. aber auch auf die gegen jüdische Geschäfte durchgeführten Boykottmaßnahmen zurückzuführen sind.
Als weiterer Ausfluß der gegen Juden von Bevölkerungskreisen durchgeführten Maßnahmen ist ein Fall anzusehen, der sich am 25.7. in Einbeck ereignet hat. Danach sind auf dem dortigen Judenfriedhof 10 Grabsteine umgeworfen und zertrümmert worden. Täter sind bislang nicht ermittelt.
Freimaurer (…)
Im Zusammenhang mit der Auflösung der Logen erklären die früheren Logenmitglieder bei jeder passenden Gelegenheit, daß sie nicht staatsfeindlich eingestellt seien. Man vergesse, einen Unterschied zu machen zwischen den internationalen bzw. jüdischen Logen und den 3 Preuß. Großlogen. Es sei verständlich, daß die internationalen und jüdischen Logen bekämpft würden. Man dürfe die Preuß. Großlogen einschl. ihrer Tochterlogen aber nicht mit den vorgenannten Logen verwechseln.