Die Gestapo berichtet aus Tilsit
Die Gestapo des Regierungsbezirks Gumbinen erstattet am 6. August 1935 folgenden Lagebericht für Juli 1935 aus Tilsit:
Hinsichtlich der Judenfrage ist in tatsächlicher Beziehung folgendes zu berichten:
Am 20.7.35 beabsichtigen 30 Tilsiter jüdische Jugendliche geschlossen mit einem gemieteten Kraftwagen nach Danzig zur Teilnahme an einer Sportveranstaltung zu fahren. Diese geschlossene Ausfahrt der Juden wurde auf Grund der §§ 1 und 4 der VO . zum Schutze von Volk und Staat vom 28.2.33 (RGBl . I S. 83) in Verbindung mit § 14 des PVG. vom 1.6.31 (GS. S. 77) untersagt.
In den letzten Nächten sind in Tilsit und Ragnit verschiedene Schaufenster jüdischer Geschäfte von bisher unbekannten Tätern mit Farbenaufschriften wie ''Ich bin ein Jude'' und ähnlichem versehen worden.
In einer Hauptverkehrsstraße befindet sich seit einigen Tagen folgendes Plakat :
''Das deutsche Mädchen [N.N.a], [...] will die Ehe mit dem Lederjuden [N.N.b], [...], eingehen. Eine Schande für uns Deutsche! Die Ehe darf nicht zustandekommen.''
So übernachtete am 5. Juni d. Js. der Jude [N.N.c], geb. 2.9.08 zu Tilsit, wohnhaft in Tilsit, in der Gastwirtschaft Kinder, Lengwethen, da sein Kraftwagen entzwei war. Als am 6.6.35 gegen früh das Dienstmädchen des Kinder, eine Frau [N.N.d], geb. [...], die Treppe herunterging, rief der Judenjunge ihr zu, sie möchte ihm Wasch- und Zahnwasser bringen und seinen Mantel saubermachen. Als sie ihm das Wasser brachte, faßte er sie von hinten um, drückte ihren Busen und versuchte sie zu küssen. Sie riß jedoch los und verließ das Zimmer. Am Vormittag ging [N.N.c] zu ihr und gab ihr eine Schürze, scheinbar Schweigegeld, welches sie annahm.
Der Jude Martin Israelski, geb. 21.6.07 zu Krojanke, wohnhaft in Krojanke bei Schneidemühl, erkundigt sich bei verschiedenen Volksgenossen ''ob hier die Judenhetze auch so ist''.
In der Nacht vom 20. zum 21.7.35 ist in der Synagoge in Gr. Kakschen eingebrochen und das Innere demoliert worden. Über diesen Vorfall hab ich mit Tagesbericht Nr. 27 vom 25.7.35 berichtet.
Am 17.6.35 hielt der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten im Sitzungszimmer der Synagoge in Insterburg seinen üblichen Kameradschaftsabend ab.
Am 20.6.35 ab 20.15 Uhr, hielt ferner die jüdische Jugendvereinigung Hechaluz im Sitzungszimmer der Synagoge in Insterburg ihren Heimabend ab.
Der bereits im letzten Lagebericht erwähnte Jude [N.N.d] aus Treuburg, hat am 4. d. Mts. mit seinem Lieferwagen in der Nähe von Treuburg eine deutsche Frau, die am anderen Tage im Kreiskrankenhaus verstorben ist, überfahren. [N.N.d] wurde gleich in Untersuchungshaft genommen, zumal er auch sonst gefährdet war, da ein Teil der Bevölkerung von Treuburg ihn öffentlich unter Ausschaltung der Justiz zur Verantwortung ziehen wollte. Als die Bevölkerung merkte, daß sich der Jude in sicherem Gewahrsam befand, ließen sie ihre Erregung an dem Hause des [N.N.d] aus, indem sie sämtliche Fenster der Räume des J. einschlug.
Klebemarken mit dem Bild eines Juden und der Aufschrift: ''Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!'' tauchten in den darauffolgenden Tagen überall in der Stadt auf.
In der Nacht zum 23. d. Mts. wurde das Emailleschild des jüdischen Ziegeleibesitzers Denny Leffkowitz von unerkannt gebliebenen Personen von der Hauswand gerissen.