Die Gestapo berichtet aus Erfurt
Die Gestapo des Regierungsbezirks Erfurt erstattet am 3. August 1935 folgenden Lagebericht für Juli 1935:
In Kreisen der nationalsozialistischen Bewegung wird immer mehr über das würdelose Verhalten vieler Volksgenossen geklagt, die ihre gesamten Einkäufe bei Juden - insbesondere in jüdischen Kaufhäusern - tätigen. Von dem Inhaber eines jüdischen Kaufhauses in Suhl wurde Klage darüber geführt, daß seine Kunden von ihm unbekannten Personen photographiert würden. (…)
Juden
Im Berichtsmonat war die Judenfrage Gegenstand lebhafter Erörterungen in der Öffentlichkeit. Mehrere Juden mußten wegen ihrer herausfordernden Haltung zum Schutze ihrer Person in Schutzhaft genommen werden.
Wie der Staatspolizeistelle erst jetzt bekannt wurde, war ein Jude Vorsitzender eines Erfurter Kleingartenvereins. Den Vorsitz führte er bereits 2 Jahre. Es ist erstaunlich, mit welcher Lauheit die Kleingärtner die Judenfrage behandeln. Obwohl nach den Satzungen dieses Vereins nur Personen arischer Abstammung Kleingärtner sein dürfen, hat man diesen Juden nicht nur jahrelang in dem Verein geduldet, sondern ihm auch noch den Vorsitz übertragen. Bei dem am 7. Juli d.Js. stattgefundenen Sommerfeste sollte dieser Jude sogar die Festansprache halten und ein ''Sieg Heil'' auf den Führer ausbringen. Der Vorstand behauptet allerdings, keine Kenntnis von der jüdischen Abstammung seines Vorsitzenden gehabt zu haben.
Ich habe noch vor Beginn des Sommerfestes den Ausschluß dieses Juden aus dem Verein veranlaßt.
Im Berichtsmonat wurde in Erfurt ein jüdischer Pfadfinderbund gegründet. Als Vorstand dieses Vereins wurde Ruth Ehrlich, geb. am 5.9.1914 in Erfurt, Dortmunder Straße Nr. 5 wohnhaft, gewählt. Die Ortsgruppe ist in 3 Unterabteilungen geteilt und zwar:
Der Pfadfinderbund untersteht der Zionistischen Ortsgruppe Erfurt.
Im allgemeinen war die Versammlungstätigkeit der Juden im Berichtsmonat gering. Diese Passivität dürfte auf die jetzt einsetzende Reisezeit zurückzuführen sein.
Am 27.6.1935 wurde in Nordhausen in der Synagoge der Film ''Reise durch das jüdische Palästina '' vorgeführt. Anwesend waren etwa 150 Personen.
Auch im Berichtsmonat Juli konnte die Wahrnehmung gemacht werden, daß der Zustrom der arbeitenden Bevölkerung zu den jüdischen Kaufhäusern weiter anhält. Besonders die bäuerliche Bevölkerung kauft mit Vorliebe beim Juden.
In den letzten Wochen des Berichtsmonats wurde die Wahrnehmung gemacht, daß sich die Stimmung der arischen Bevölkerung gegen das Judentum erheblich zugespitzt hat. Dieser Zustand ist auf das herausfordernde Auftreten der Juden zurückzuführen, insbesondere auf den Verkehr mit pflichtvergessenen arischen Mädchen. Wegen derartiger intimer Beziehungen wurde am 19.7. 1935 in Nordhausen in Schutzhaft genommen die Juden:
[N.N.a],
[N.N.b] und
[N.N.c]
ferner die ledige [N.N.d] aus Nordhausen, weil sie sich mit diesen Juden intim eingelassen hatte.
Am 8.7.1935 veranstalteten in Mühlhausen die jüdischen Pfadfinder in der Synagoge einen Lichtbildervortrag über Palästina. Als Vorführer trat der jüdische Kaufmann Freudenberg aus Berlin auf. Im Vortrag wurde aufgefordert, nach Palästina auszuwandern, um das alte jüdische Reich wieder auszubauen.
In Nordhausen wurde einem jüdischen Viehhändler - [N.N.e] - wegen seines betrügerischen Verhaltens die Handelserlaubnis entzogen.