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Chronik und Quellen
1935
August 1935

Bericht aus Minden

Der Regierungspräsident Minden erstattet am 3 September 1935 seinen Lagebericht für Juli und August 1935:

Allgemeine Übersicht [...]

Die antijüdische Propaganda, über die unter Ziffer 5 noch besonders berichtet wird, hat, was die Aufklärung von Volksgenossen angeht, insofern wohl Erfolge gehabt, als mancher Volksgenosse sich endlich mit dieser politisch so wichtigen Frage der Beurteilung des Judentums beschäftigt.

Bei der starken Bedeutung einiger Teile meines Bezirks als Reise- und Durchreiseland war jedoch auch festzustellen, daß die außenpolitischen Auswirkungen teilweise nicht gerade günstig sind. In einem Brief eines holländischen Generalkonsuls an den Bürgermeister von Bad Oeynhausen wird beispielsweise ausdrücklich ausgeführt, daß die Ausländer in die deutschen Bäder kommen, um Ruhe und Erholung zu suchen, nicht aber um durch Sprechchöre, Propaganda-Fahrten usw. antijüdische Propaganda entgegenzunehmen. Der Schreiber dieses Briefes bezeichnet sich selbst als großen Freund des Deutschen Volkes und des neuen Deutschlands, und ist als solcher auch bekannt.

Ich habe den kürzlich erhaltenen scharfen Erlaß die Judenfrage betreffend daher sehr gegrüßt und entsprechende Anordnung getroffen.

In Bad Oeynhausen hat ein Vorfall unliebsames Aufsehen erregt, der sich anläßlich einer Münchmeyer-Kundgebung zutrug. Dem Pg . Münchmeyer war vorher fälschlicherweise mitgeteilt worden, daß auch der Bürgermeister der Stadt sich gegen die Anbringung eines Stürmerkastens am Rathaus ausgesprochen hätte. In seiner Rede wandte sich Münchmeyer sehr scharf gegen die örtlichen amtlichen Stellen, die er als verrückt geworden bezeichnete, wobei er, für niemanden mißverständlich, den vor ihm sitzenden Bürgermeister meinte. Die Versuche des Bürgermeisters, der altes Parteimitglied und Angehöriger der SS ist, eine Richtigstellung der fehlsamen Angriffe zu erreichen, mißglückte. Derartige Vorkommnisse müssen im Interesse von Partei und Staat vermieden werden, sie sind der Aufrechterhaltung der Staatsautorität abträglich und tragen nicht dazu bei, die unbedingt nötige Einheit zwischen Staat und Partei, wie solche im Regierungsbezirk erfreulicherweise in hohem Maße besteht, zu fördern.

Kulturpolitik [...]

Stark hat der Kauf des „Stürmers“ zugenommen. Dadurch, daß die SA in die Werbung für den Stürmer eingeschaltet ist, gelang es, die Abonnentenzahl im Bezirk fast zu verdoppeln. Es ist auf der einen Seite erfreulich, daß durch den Stürmer eine Aufklärung über die Schädlichkeit des Juden in volkstümlicher Weise erfolgt. Es muß jedoch andererseits festgestellt werden, daß vor den Stürmerkästen vielfach Jugendliche stehen, deren Interesse sich lediglich den rassenschänderischen Darstellungen zuwendet und zwar nicht allein aus Aufklärungsgründen. [...]

Juden und Freimaurer

In der Berichtszeit hat der Kampf gegen Juden im Bezirk einen erheblichen Umfang angenommen. Dadurch, daß zunächst jeder einzelnen Ortsgruppe und jeder einzelnen Formation Freiheit in der antijüdischen Propaganda gelassen wurde, glaubte jeder Teil den anderen übertrumpfen zu müssen, um damit seine nationalsozialistische Einstellung zu beweisen. In der Hauptsache ging die Propaganda von den Kreisen um den ''Stürmer'' aus. Stürmerkästen in jedem Ort mit entsprechenden Inschriften waren der Beginn einer verstärkten Tätigkeit. Es folgten Transparente , die über Straßen und Plätze gespannt waren mit den bekannten Inschriften ''Wer den Juden sieht, sieht den Teufel'' u. a. Besucher von jüdischen Geschäften wurden fotografiert und auch persönlich angegriffen. In einer ganzen Anzahl von Orten wurden Satzungen beschlossen, die dem Juden alles mögliche verbieten und den Volksgenossen, die mit Juden verkehren, öffentliche Ächtung androhen.

Erst der jüngst ergangene Ministerialerlaß zur Verhütung von Ausschreitungen ermöglicht es den Behörden, erfolgreich gegen Ausschreitungen vorzugehen, da die Parteiinstanzen sich ihrerseits auf den gleichen Standpunkt stellen.

Ein früheres, längst als notwendig erkanntes Einschreiten der Staatsbehörden hatte diese notwendig in Gegensatz zu den einzelnen Parteigenossen und Parteistellen gebracht, und zwischen Staat und Partei unerwünschte und bedauerliche Differenzen geschaffen. Im Einverständnis mit dem Gauleiter sind die mir unterstellten Behörden und die unteren Parteistellen von mir angewiesen, den Kampf einzustellen.

Nachdem der Kampf gegen die Juden aber die derzeitigen Formen angenommen hat, kann er nur schrittweise abgebrochen werden, damit das Prestige der Partei nicht eine kaum wieder gut zu machende Einbuße erleidet.

In krassen Fällen ist sofort mit aller Schärfe zugegriffen worden.

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