Bericht aus München
Die Polizeidirektion München berichtet am 7. Juli 1935 über den Monat Juni:
Es häufen sich die Fälle, daß sichtvermerkspflichtige Ausländer ostjüdischer Nationalität sich von deutschen Auslandsvertretungen unter der unwahren Angabe, Angehörige in Deutschland besuchen zu wollen, Einreisesichtvermerke verschaffen. Kurz vor Ablauf der Reisefrist versuchen sie sodann z.B. mit Hilfe der jüdischen Kultusgemeinde oder ähnlicher religiöser Organisationen Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, um sich allmählich wieder in Deutschland seßhaft machen zu können. Bei diesen Personen, die devisenrechtlich als Ausländer gelten, besteht die Gefahr, daß sie ihren Aufenthalt im Inland zu Devisen- und Vermögensschiebungen ins Ausland benutzen, denen nur schwer auf die Spur zu kommen ist. Wird die Tat sodann entdeckt, so sitzt der Haupttäter meist schon im Ausland, denn er bedarf zur Ausreise keines Sichtvermerkes und die Paßkontrolle (Einträge im Paß über Devisenkäufe und Registermark-Abhebungen) bei der Grenzüberschreitung kann nicht scharf genug gehandhabt werden. Diese Personen könnten genauer beobachtet werden, wenn z.B. in allen Sichtvermerken für Ostjuden außer der Angabe der Reisefrist ein bestimmtes Reiseziel vermerkt werden würde (vgl. hierzu § 5 II d. Paßbek. v. 7.6.32).
Den deutschen Auslandsvertretungen wird im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt vorgeschrieben, Sichtvermerke an Ostjuden nur nach vorheriger Fühlungnahme mit den deutschen Inlandsbehörden zu erteilen. (Verfügung des Reichsmin. d. Innern Nr. II B 5002/8.3. vom 15.3.33). Diese Anordnung scheint jedoch nicht von allen diesen Dienststellen gewissenhaft befolgt zu werden. Die Ostjüdin polnischer Staatsangehörigkeit Keila Kurzmantel, geb. Barber, geb. 31.12.88 in Oswiecim, kam z.B. seit etwa Jahresfrist fünfmal mit einem Sichtvermerk des deutschen Konsulats in Rotterdam nach München. Auffallend hieran ist, daß diese Ostjüdin, die in Amsterdam wohnhaft ist, sich nicht an das deutsche Konsulat ihres Wohnsitzes (Amsterdam) wandte, sondern sich um einen Sichtvermerk der deutschen Vertretung in Rotterdam bemühte. Keila Kurzmantel, sowie ihr Ehemann Nathan Kurzmantel, geb. am 28.10.82 in Tyczyn, sind kurz vor dem Umbruch ins Ausland geflüchtet, sind also Emigranten. Ihre Versuche, Ende 1933 Einreisesichtvermerke nach Deutschland zu erhalten, scheiterten an der Ablehnung der Bayerischen Politischen Polizei und der Polizeidirektion München. Der Grund zu dieser Stellungnahme war die Tatsache, daß Keila Kurzmantel ihren neuerlichen Aufenthalt in Deutschland bestimmt nur dazu benützen wollte, um die im Inland verbliebenen Vermögenswerte ins Ausland zu verschieben. Beschwerden der Sichtvermerksbewerber wurden vom Bayerischen Staatsministerium des Innern und vom Reichsministerium des Innern abgewiesen. Dieser Sachverhalt wurde dem deutschen Konsulat in Rotterdam mitgeteilt, gegen die weitere Erteilung von Sichtvermerken wurden Bedenken erhoben. Dessen ungeachtet erhielt Kurzmantel wieder einen Sichtvermerk zur Einreise nach Deutschland, wodurch dieser sehr geschäftsgewandten und skrupellosen Jüdin die Fortsetzung ihres dunklen Treibens in Deutschland ermöglicht wurde.