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Chronik und Quellen
1935
Juni 1935

Die Gestapo berichtet

Die Gestapo des Regierungsbezirks Minden berichtet am 4. Juli 1935 über den Monat Juni 1935 aus Bielefeld:

Zur Beschlagnahme bestand in der Berichtszeit nur in einem Falle Veranlassung. Das Westfälische Sonntagsblatt für Stadt und Land für die Kirchengemeinde Gehlenbeck, Hüllhorst, Isenstedt-Frutheim, Lübbecke usw., Nr. 24 vom 16. Juni 1935, mußte wegen folgenden Artikel beschlagnahmt werden:

''Zum Nachdenken:

In Holstein gibt es Prediger ohne Gemeinden im Gottesdienst; in Rußland gibt es Herden ohne Hirten. Beides gleich schlimm. Selig nur die, die Gottes Wort hören und bewahren.

Das Evangelium kommt vom Himmel, nicht von Menschen oder Rassen, auch nicht von Juden. Es ist ewig, nicht zeitlich erfunden. Es gilt allen Rassen, Völkern und Sprachen.

Offenbarung Johannes 14. Vers 6 bis 7.'' (…)

 

Juden und Freimaurer

Die jüdische Vereinstätigkeit war im Berichtsmonat gering. Am 3. Juni fand im jüdischen Gemeindehaus in Minden eine Mitgliederversammlung des Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens statt, auf der der Syndikus des Landesverbandes Dr. Davidsohn - Herford über das Thema ''Aufgabe und Arbeit im deutschen Judentum'' sprach. Eine Propaganda für ein Verbleiben der Juden in Deutschland wurde hierbei nicht gemacht.

Ferner fand im Berichtsmonat eine Versammlung des Zionistenbundes statt, in der für die Auswanderung nach Palästina stark geworben wurde.

Die wirtschaftliche Lage ist bei den Juden gleichbleibend. In jüdischen Geschäften wird auch heute noch viel von arischen Volksgenossen gekauft. Eine Aufklärung der großen Masse über die Gefahren des Weltjudentums erscheint nötig.

Wie der Landrat des Kreises Lübbecke berichtet, ist dort in der Bewegung eine gesteigerte Tätigkeit gegen die Juden wahrzunehmen. An den Eingängen der Stadt Lübbecke sind Schilder aufgestellt mit der Aufschrift: ''Juden sind an diesem Ort nicht erwünscht.'' Ferner wird in der Stadt Lübbecke an mehreren Stellen die antisemitische Zeitung ''Der Stürmer '' ausgehängt. Störungen in der Öffentlichkeit haben diese Maßnahmen bisher nicht hervorgerufen.

In Rahden, Kr. Lübbecke, befinden sich an einem Aushangkasten der Ortsgruppe der NSDAP für die Zeitung ''Der Stürmer'' (sogen. Stürmerkasten) die Worte: ''Die Juden sind unser Unglück'' und ''Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter.'' Rahden ist im gesamten hiesigen Staatspolizeibezirk derjenige Ort, an dem prozentual die meisten Juden wohnen. Von den 11.734 Einwohnern sind rd. 100 Juden.

In Bückeburg (Schaumburg-Lippe) hat sich folgender Fall zugetragen:

Der Bürgermeister der Stadt Bückeburg ist am 25.6.35 vom Landrat des Kreises Bückeburg mit sofortiger Wirkung vom Dienst beurlaubt worden. Bürgermeister Wiehe war früher deutschnationaler Landtagsabgeordneter. Seine Ehefrau wurde Ende April 1935 beobachtet, wie sie mit ihrer erwachsenen Tochter das jüdische Kaufhaus Weihl in Bückeburg betrat. In einem Artikel der ''Schaumburg'', Schaumburg-Lippische Landeszeitung, wurde unter der Überschrift ''Provokation'' der Vorgang mißbilligt. Bürgermeister Wiehe erstattete daraufhin gegen den Schriftleiter der ''Schaumburg'' Strafanzeige. Am 21. Juni 1935 wurde Frau Wiehe wiederum beobachtet, wie sie mit 2 Damen das jüdische Kaufhaus Mosberg in Bückeburg betrat. Die Öffentlichkeit, die hiervon Kenntnis erhielt, erörterte das 2. Betreten eines jüdischen Geschäftes durch die Ehefrau des Stadtoberhauptes sehr abfällig. Am 24.6.35 erschien in der ''Schaumburg'' ein entsprechender Bericht mit der Überschrift: ''Das schlägt dem Faß den Boden aus.'' An diesem Tage bildete sich in der Stadt ein Demonstrationszug, in dem 2 Schilder getragen wurden mit der Aufschrift: ''Wer kauft bei Juden? Der Bürgermeister!'' und ''Muß i denn zum Städtelein hinaus.'' Der Zug bewegte sich singend durch die Straßen. Ab und zu rief eine Einzelstimme: ''Wer kauft beim Juden?, worauf die Menge im Sprechchor antwortete: ''Der Bürgermeister''! Diese Rufe wurden in kurzen Abständen wiederholt. Vor der Wohnung des Bürgermeisters häuften sich die gleichen Rufe und klangen aus in ein 3 mal wiederholtes ''Pfui''. Nach kurzem Weitermarsch löste sich der Zug auf. Am Morgen des folgenden Tages wurden diese Vorkommnisse lebhaft in der Einwohnerschaft besprochen.

Zu Tätlichkeiten oder Ausschreitungen ist es bei der Demonstration nicht gekommen.

Die judenfeindlichen Demonstrationen durch Anbringung von Schildern usw. führen hier immer zu erheblichen Schwierigkeiten. Die Plakate mit der Aufschrift ''Juden sind in diesem Orte unerwünscht'' sind z.B. in Kreisen angebracht, durch die, wie z.B. in Lübbecke, Durchgangsstraßen nach Holland führen. Die Schilder kommen ebenso wie ein Teil der dort angebrachten Stürmerkästen so bald zu Kenntnis der holländischen Geschäftswelt. Es kommt dann immer wieder vor, daß Firmen des hiesigen Bezirkes von ihren holländischen Geschäftsfreunden auf diese Art der Demonstration gegen die Juden hingewiesen werden mit dem Bemerken, daß sie bei Fortdauer derartiger Demonstrationen gezwungen wären, ihre Geschäftsbeziehungen zu der betr. deutschen Firma abzubrechen bezw. stark einzuschränken, da sie von bedeutenden jüdischen Kunden bedrängt würden, deren Geschäftsverbindungen sie nicht fallen lassen könnten. Die Juden des hiesigen Bezirks wissen dies genau und haben sich schon früher an Berliner Zentralstellen gewandt unter dem Vorwande, die Interessen der deutschen Wirtschaft schützen zu müssen. Bisher ist es in diesen Fällen immer noch gelungen, die unteren Parteidienststellen rechtzeitig zu bewegen, für das Unterlassen derartiger äußerlicher Demonstrationen Sorge zu tragen. Diese Demonstrationen tauchen dann aber immer wieder auf mit dem nicht unberechtigten Hinweis, daß in anderen Gegenden Deutschlands dies auch gestattet sei. Wegen der besonderen Lage des hiesigen Bezirks besteht die Gefahr, daß im Einzelfalle auf besondere Weisung Berliner Zentralstellen im Interesse der deutschen Wirtschaft diese Demonstrationen durch Eingreifen staatlicher Stellen unterbunden werden müßten, was natürlich eine erhebliche Mißstimmung in den Kreisen der Bewegung herbeiführen würde.

Es wird sich deshalb empfehlen, diese Angelegenheit durch zentrale Anweisung vertraulicher Art an die Parteidienststellen unter dem Gesichtspunkt zu regeln, daß das weitere Vorwärtstreiben des Kampfes gegen die Juden letzten Endes eine Frage der Erziehung ist, und daß auf äußere Demonstrationen dieser Art verzichtet werden kann, nachdem im neuen Staat die Möglichkeit gegeben ist, die Judenfrage im geeigneten Augenblick durch Maßnahmen staatlicher Stellen und der Bewegung vorwärts zu treiben.

 

Wirtschafts- und Agrarpolitik (…)

Aus der Stadt Minden wird berichtet, daß in den Schlachterläden z.Zt. eine große Knappheit an Fleisch herrscht. Die Schlachter behaupten, daß sie nur unter den größten Schwierigkeiten Fleisch bekommen können. Das Fleisch würde vorwiegend von jüdischen Händlern gekauft, die es dann ins Ruhrgebiet usw. verkaufen, wo sie es angeblich besser bezahlt bekommen.

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