Menü
Chronik und Quellen
1935
Mai 1935

Die Poizeidirektion München berichtet

Am 28. Mai 1935 erstattet die Münchener Polizeidirektion folgenden Bericht über die „antisemitische Bewegung“:

In weiten Kreisen der Bewegung wird seit langem mit einem gewissen Mißfallen bemerkt, daß der Kampf für den antisemitischen Gedanken in der Praxis angeblich nicht mit der Schärfe geführt wird, wie es vielen Nationalsozialisten erwünscht und notwendig erscheint. Die Gründe hierfür, insbesondere die außenpolitischen und wirtschaftlichen Überlegungen, welche eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheinen lassen, werden nicht in ausreichendem Maße verstanden. Insbesondere wurde und wird den staatlichen Stellen nicht selten, wenn auch unberechtigt, der Vorwurf gemacht, die Pflege des antisemitischen Gedankens sich nicht so angelegen sein zu lassen, als es der nationalsozialistischen Auffassung entspricht.

Diese Stimmung bot dem geführten Werbefeldzug des Stürmers im südlichen Bayern einen günstigen Boden. Die Werber des Stürmers befaßten sich jedoch nicht lediglich mit der Zeitungswerbung, sondern sie gingen bald über ihre eigentliche Aufgabe hinaus und suchten durch Agitation breiteste Volksmassen für eine nach ihrer Meinung notwendige aktivere Gestaltung des antisemitischen Gedankens zu gewinnen. Insbesondere war es ihnen offensichtlich darum zu tun, den Einkauf in jüdischen Geschäften nach Möglichkeit zu unterbinden. Zu diesem Zwecke gingen sie zunächst dazu über, die Schaufenster jüdischer Geschäfte mit kleinen Zetteln, die entsprechende Hinweise enthielten, zu bekleben. Diese Agitation war an sich harmlos. Als jedoch von den obengenannten Kreisen dazu übergegangen wurde, Schaufenster mit einer ätzenden Flüssigkeit zu beschmieren, ja sogar die Schaufenster einzuschlagen, sah sich die Polizei zu schärfstem Vorgehen veranlaßt. Es wurden die der Polizei bekannten Werber des Stürmer-Verlages Schmidt und Karpf, die angeblich im Auftrage des Stürmer-Verlages diese Agitation leiteten, als sie sich auch bemühten, Geldmittel für die Aktion gegen jüdische Geschäfte bei Münchner deutschen Geschäftsleuten zu sammeln, festgenommen. Die Erhebungen ergaben, daß der Stürmer-Verlag keinerlei Auftrag zu derartigen Aktionen, insbesondere keinen Auftrag zum Sammeln von Geldern gegeben hatte. Karpf, der noch angestellter Werber des Stürmer-Verlages war, wurde sofort vom Verlag entlassen, während sich bei Schmidt ergab, daß er seit 8 Monaten überhaupt nicht mehr vertragsmäßiger Angestellter des Stürmer-Verlages war.

Auf Grund dieser Festnahmen mußte angenommen werden, daß die bei der Polizeidirektion einlaufenden Gerüchte, wonach am Samstag, den 25. Mai neue Aktionen gegen jüdische Geschäfte in München beabsichtigt seien und die angeblich ebenfalls von den Werbern des Stürmerverlages ausgehen sollten, durch die Festnahmen der beiden einer tatsächlichen Begründung entbehrten. Insbesondere bot sich trotz eingehendster Erhebungen durch die Polizeidirektion keine Annahme dafür, daß irgendwelche planmäßigen Aktionen beabsichtigt waren. Um aber zu vermeiden, daß einzelne Parteigenossen am Samstag von sich aus vereinzelte Aktionen gegen jüdische Geschäfte unternehmen, wurde vorsorglich neben der erhöhten Aufmerksamkeit, die der Münchner blauen Polizei auferlegt war, auch der Streifendienst der PO in Stärke von 36 Mann in Bereitschaft gestellt. Es kann sonach angenommen werden, daß von der Polizeidirektion München alles getan wurde, was nach Lage der Sache an vorsorglichen Maßnahmen veranlaßt war.

Wegen der Vorfälle am Samstag, den 25. Mai 1935 darf ich auf den abschriftlich beiliegenden Bericht der Polizeidirektion vom 26. Mai und ihren Tagesbericht über die Vorfälle am 27. Mai 1935 Bezug nehmen.

Aus dem Bericht ist ersichtlich, daß es sich nicht um einzelne Aktionen, sondern um ein planmäßiges, offensichtlich von einer Stelle geleitetes Vorgehen der Demonstranten handelte. Die Erhebungen haben nun vorläufig ergeben, daß jedenfalls nicht, wie bei den vorhergehenden Aktionen, die Werber des Stürmer-Verlages die Urheber waren, sondern daß das Vorgehen von anderer Seite ausgehen mußte. Die von der Polizei Festgenommenen waren ausschließlich Angehörige der SS und zwar teils der SS-Verfügungstruppe, teils Angehörige des SS-Hilfswerkslagers Schleißheim.

Wer allerdings der letzte Urheber der ganzen Aktion war, konnte im Laufe des Samstag von der Polizeidirektion nicht festgestellt werden. Nach der Art der Festgenommenen mußte allerdings angenommen werden, daß es sich um Angehörige der Partei-Formationen, insbesondere der SS, sowie um Angehörige der österreichischen SA -Kaserne an der Franziskanerstraße handelte.

Ich nahm deshalb noch Samstag Abend Gelegenheit, einen Vertreter der SS, Gruppenführer Schmauser, dann zwei Vertreter der SA, Gruppenführer Helfer und Brigadeführer Malzer, sowie einen Vertreter der Obersten SA-Führung und den Offizier vom Dienst der österreichischen SA-Kaserne an der Franziskanerstraße vorzuladen.

Nach Darlegung der Verdachtsmomente stellte ich an die anwesenden Führer der SA und SS die Frage, ob einer von ihnen den Befehl zu derartigen Aktionen gegeben hätte, oder ob den einzelnen zum mindesten ein derartiger Befehl untergeordneter Stellen bekannt sei. Sämtliche Anwesenden verneinten diese Frage. Ich beauftragte sie deshalb mit einer umgehenden Durchführung eingehendster Erhebungen innerhalb ihrer Formation.

Da inzwischen die Vorfälle der Anlaß zu zahlreichen Gerüchten verschiedenster Art in München waren, sah ich mich veranlaßt, am Sonntag Vormittag durch Rundfunk und am Montag früh durch die Presse die im Abdruck ebenfalls beiliegende Erklärung an die Münchner Bevölkerung abzugeben.

Da bis Montag gegen Mittag Meldungen von den am Samstag Abend zu mir geladenen Vertretern der einzelnen Partei-Formationen nicht eingelaufen waren, sah ich Veranlassung, sie auch einzeln zu mir zu bitten und ihnen die mittlerweile von der Polizeidirektion erhobenen Verdachtsmomente, die sich letztlich in Richtung gegen die verfügbare SS und die SS-Hilfswerkslager Schleißheim bewegten, vorzuhalten.

Die Aussprache ergab im wesentlichen folgendes:

Von Seite der PO und SA war an der Aktion mit Ausnahme einiger Angehöriger der in der Kaserne an der Franziskanerstraße gelegenen österreichischen SA niemand beteiligt. Rädelsführer und Akteure waren ausschließlich Angehörige der SS. Wer allerdings der letzte Urheber der gesamten Aktion war, konnte auch in dieser Aussprache nicht festgestellt werden. Insbesondere verneinte Gruppenführer Schmauser meine bestimmte Frage, ob ihm auf Grund der mir am Samstag zugesicherten Erhebungen der Leiter der Aktion noch nicht bekannt geworden sei.

Ich verlangte deshalb nochmals:

1.) die Führer der Formationen haben innerhalb ihrer Formationen nochmals sofort genaueste Untersuchung durchzuführen, über deren Ergebnis mir schriftlich Bericht zu erstatten ist;

2.) schwerste Bestrafung der an der Aktion Verantwortlichen.

Die Angehörigen der einzelnen Formationen sind neben der zu erwartenden gerichtlichen Bestrafung auch von Seiten ihrer vorgesetzten Dienststelle mit der schwerstmöglichen Disziplinarstrafe zu belegen.

3.) Die Führer der Formationen müssen es für die nächste Zeit als ihre vornehmste Aufgabe betrachten, sämtliche Angehörige der ihnen unterstellten Verbände wieder und wieder darauf aufmerksam zu machen, daß es geradezu ein Verbrechen ist, die Arbeit des Führers durch derartige unbedachte Aktionen zu stören, ja sogar zu gefährden.

Für die Polizei ordnete ich an:

Die noch in Haft befindlichen Männer, die sich tätliche Angriffe gegen Polizeibeamte haben zuschulde kommen lassen, bleiben weiterhin in Haft.

Den Ernst meines Befehls vom Samstag, 25. Mai abends, wonach die Polizei bei etwaigen Angriffen nicht vom Seitengewehr, sondern von der Schußwaffe Gebrauch zu machen hat, stellte ich den versammelten SA und SS-Führern eindringlichst vor Augen.

Über das Ergebnis der von der SA und SS-Führern schriftlich an mich hereinkommenden Erhebungen, werde ich meinerseits weitere Mitteilung zukommen lassen.

Zum Verhalten der Polizei möchte ich folgendes feststellen:

Die Würdigung aller einzelnen Handlungen der beteiligten Polizeiorgane wird mir Veranlassung sein, der gesamten Polizei meine Anerkennung bei Erfüllung der für sie nicht leichten Aufgabe auszusprechen.

Baum wird geladen...