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Chronik und Quellen
1935
Mai 1935

Die Schutzpolizei München berichtet

Am 25. Mai 1935 erstattet die Schutzpolizei Münchener folgenden Bericht über Vorgänge am gleichen Tag:

Auf Grund eigener Wahrnehmung bringe ich folgendes zur Meldung: Am 25. Mai 1935 gegen 15 Uhr 15 Min. kamen die Zeugen Johann Krickel, verh. Fahndungsbeamter, wohnh. Berchemstr. 70/I (ZA. 42) und der verh. Monteur Alfons Aumer, wohnh. Donnersbergstr. 34/3 ZA. 19) in die Pol-Wache 2/III (Hbf.) und erklärten, daß zwei Polizeibeamte von einer Menschenmenge bedroht werden. Kaum hatten die Beiden die Mitteilung gemacht, als etwa 150-200 Personen vom Bahnhofsplatz kommend durch die Schalterhalle des Hauptbahnhofes zogen. Die Menschenmenge strebte der Pol. Wache zu. Als sie etwa auf 50 m an die Wache herangekommen waren, wurden wir in der Wache durch das Geschrei aufmerksam.

Nachdem ich mich über die Ursache dieser Ansammlung überzeugt hatte, nahm die Menge ''ohne jeden Grund'' gegen mich sowie Hptw. Fritsch, Wachtmeister Meidl der Wache 2/III, Oberwachtm. Herlitz der Wache 2/II und gegen den in Zivil befindlichen anwesenden Oberwachtmeister Mirbeth, Verk. III, eine drohende Haltung ein. Sie zeigte sich in der Weise, daß namentlich der SS -Angehörige Müller, Vorname Walter, geb. 10 Juli 1907 in Wien (SS-Standarte I/13) sowie seine Kameraden Schenk, Vorname Max, geb. 30. Januar 1911 zu Kaillwank, SS-Standarte I/13 und Adlberger, Vorname Josef, SS-Standarte I/13, die Menge aufreizten, in die Wache zu dringen. Etwa 6 Personen, darunter auch Müller, wurden in die Wache eingelassen, dem restlichen Teil, schätzungsweise 400 Personen, aber der Zutritt verweigert. Mirbeth erklärte dem Müller, daß er Pol. Beamter sei und doch 6 Zeugen genügen. Auf die Frage, wozu überhaupt Zeugen benötigt werden, drängten die Menschenmenge mit vereinter Kraft gegen die Türe. Es war weder jemand festgenommen, noch hatte sich sonst eine polizeiliche Handlung abgespielt, die dieses gesetzwidrige Vorgehen auch nur im geringsten gerechtfertigt hätte. Die Ursache dieser aufrührerischen Handlung lag in der Schließung eines Judengeschäftes in der Prielmeyerstr. Nachdem dieses Judengeschäft geschlossen hatte, zog die Menge aus mir unbekannten Gründen in feindseliger Absicht zur Wache am Hauptbahnhof.

Eine genauere Erklärung hierüber kann Oberwachtm. Gruber der Verkehrsabt. III abgeben. Dieser war Zeuge der Anfangshandlungen.

Ich versuchte nun von der andrängenden Menschenmenge mit Hauptw. Fritsch und Oberwachtm. Herlitz die Wachtüre zu schließen, was uns aber durch das gewaltsame Vorgehen der Menge mißlang. Müller und seine Kameraden die in der Wache waren, schrien nun: ''Das gibt es nicht, die müssen alle herein!'' Wenn man sich vorstellt, daß etwa 400 Personen im Wachraume des Hauptbahnhofes Platz nehmen sollen, so wird das Widersinnige in der Aufforderung des Müller nicht zu begreifen sein.

Nachdem es uns gelungen war, die Menge etwa 2 m vor [sic] der Wachtüre abzudrängen, schloß ich die Wachtüre. Kaum war dies geschehen, als Müller im Verein mit anderen Anhängern Mirbeth, der sich in Zivil befand, am Hals faßte und in die Menge zog. Während Mirbeth von Müller festgehalten wurde, schlugen seine Anhänger auf Mirbeth mit der Faust ein. Im Verlaufe der Schlägerei wurde Mirbeth zu Boden geworfen und mit Fäusten und Fußtritten bearbeitet. Dabei erlitt er Verletzungen am Auge, an den Lippen, am rechten Knie, sowie am rechten Daumen. Durch den Sturz wurde auch die Hose am rechten Knie abgesprengt. Nachdem sich Mirbeth wieder losgerissen hatte und nach der Wache zurückkehren wollte, wurde er von rückwärts noch einmal angegriffen und zu Boden gestoßen. Daraufhin zog Mirbeth die Pistole mit der Erklärung, daß er bei einem nochmaligen Angriff von der Waffe Gebrauch machen werde. Im weiteren Verlaufe bemerkte Mirbeth den Rädelsführer Müller. Er erklärte Müller die Festnahme und forderte ihn auf, auf die Wache zu kommen. Müller jedoch kam dieser Aufforderung nicht nach, sondern leistete Widerstand. Gleichzeitig drang auch Schenk auf Mirbeth ein und versuchte ihm Müller (also den Festgenommenen) zu entreißen. Zugleich wollte er sich der Pistole Mirbeths bemächtigen und schlug dabei mit der Faust auf ihn ein. Erst durch gemeinsame Zusammenarbeit konnte die Festnahme durchgeführt werden. Während wir anfänglich versuchten die Menge zurückzuhalten, bemühte sich Fritsch, wie auch ich, die Leute in ruhiger Form zur Vernunft zu bringen. Statt dessen aber wurde Fritsch von der Menge an die Wachtüre gedrängt und zugleich von einem Unbekannten mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Außerdem drangen gleichzeitig 6 Personen auf Fritsch ein und wollten ihm den Säbel aus der Scheide reißen. Fritsch sprang daraufhin in die offene Wachtüre in der Absicht den Säbel zu ziehen. Er wurde aber an dem Vorhaben gehindert, denn schon drangen neuerlich Personen auf ihn ein, um sich seines Säbels zu bemächtigen. Nur mit Hilfe der Zeugen Aumer und Krickel konnte sich Fritsch aus seiner Lage befreien. Da die Lage immer kritischer wurde und der Wachraum aufs Ernstliche bedroht war, zog sowohl Fritsch, als auch ich und Oberwachtm. Herlitz den Säbel. Als wir auf diese Weise die Wache sicherten und somit jedes gewalttätige Vorgehen der Menge zum Halten brachten, wurden aus der Menge die Rufe laut: ''Schauts nur die schwarzen Hunde, blank ziehn tuns, haut sie zusammen, schmeißt sie raus!'' Diese schwarzen Brüder werden wir noch ausmisten, da kommen noch alle aus dem Bahnhof raus, das gibt es nicht, daß Müller auf die Wache kommt, der bleibt heraußen.'' Müller und Schenk erklärten wörtlich: ''Wir sind lieber Österreicher, doch müssen wir aber Deutsche werden. Ein 30. Juni kommt wieder, da werden sie aber schauen.'' Aus dem ganzen Verhalten der Menge ging hervor, daß in erster Linie Müller sich den aufrührerischen Geist der Menge zunutze machte und gerade er es immer war, der sich durch seine Handlungsweise gegenüber den anderen hervortat. Auch Schenk und Adlberger trugen dazu bei, die Stimmung der Menge zu ihrem Zwecke auszunützen. Dabei muß ich noch besonders erwähnen, daß ich durch klaren Zuruf die Menge zum auseinandergehen aufgefordert habe, meiner Aufforderung aber in keiner Weise Folge geleistet wurde. Man hielt uns vielmehr entgegen: ''Wir sollen den Bahnhof verlassen, Ihr gehört raus, jetzt habt ihr die Waffen in der Hand, das Nächstemal, wenn wir wiederkommen, werden wir die Waffen haben.''

Was ganz besonders auffallend war, war die Tatsache, daß sich unter der Menge verschiedene Kommunisten befanden, die sich auf ihre Art selbstverständlich kenntlich machen wollten.

Zu diesem Vorgang meldete sich freiwillig als Zeuge Oberleutnant Brunns Forstweg 9 (Geiselgasteig Z.A.51)

Mit Hilfe des Überfallkommandos wurde die Menschenmenge zerstreut.

Obersturmführer Lenz (Streifendienst) veranlaßte dann anschließend die Vorführung der Beschuldigten zur Polizeidirektion.

gez. Johann Seidlmeyer. Hptw. d. Schutzpolizei
Dem P[olizei]b[ezirk] 2 vorgelegt.
gez. Österreicher OK.

Das Vorkommnis hat seine Ursache darin: Österreichische SS veranlaßte in der Prielmeyerstr. ein jüdisches Geschäft, obwohl Samstag Nachmittag zu schließen [sic]. Dadurch sammelten sich mehrere Menschen an.

Oberw. Gruber der Verkehrs-Abtlg. III - in Uniform - bemerkte die Ansammlung, frug bei der Menge nach dem Grund der Ansammlung und begab sich mit Oberw. Mirbeth, der inzwischen hinzugekommen war, zur Wache am Hauptbahnhof - Südbau. Dorthin folgte den beiden die Menschenmenge.

gez. Johann Österreicher. OK.

 

Am gleichen Tag verfasste die Polizeidirektion München folgenden Bericht zum gleichen Ereignis:

Auf Grund eigener Wahrnehmung bringe ich folgendes zur Anzeige:

Am 25.5.1935 um 17 Uhr sammelte sich vor dem Anwesen Nr. 61 an der Hohenzollernstr. eine größere Menge junger Leute an, um die Inhaberin des Zigarrengeschäfts, Barbara Pfister, zur Schließung ihres Geschäftes zu veranlassen. Soviel hier bekannt, ist Pfister arischer Abstammung, ihr Geschäftsführer Jakob Pollak polnischer Staatsangehöriger, Belgradstr. 17 wohnhaft, dagegen jüdischer Abstammung.

Die Menge wurde durch Angehörige der Pol. Wache 11/I gehindert, ihr Vorhaben durchzuführen. Bei dieser Gelegenheit wurde der verh. Ziseleur Rudolf Kiener, geb. 29.9.1912 zu München, Sendlingertorplatz Nr. 6/II wohnhaft, von mir und Hauptw. Schmidt festgenommen und der Pol.-Wache 11/I vorgeführt.

Kiener gab auf Vorhalt zu, daß er die Inhaberin des erwähnten Zigarrengeschäfts zur Schließung ihres Ladens veranlaßt habe. Er sei Angehöriger der NSDAP . Früher habe er der SA angehört. Einen Parteiausweis hatte er nicht bei sich.

Kiener wurde durch den Streifendienst zur Polizeidirektion verbracht.

Das polizeiliche Einschreiten, die Festnahme und Vorführung erfolgten auf Anordnung des Offiziers vom Dienst durch entsprechenden Rundspruch, der unmittelbar vor dem Vorfall erging.

Auf die Festnahme hin nahm die Menge gegen die Polizei Stellung. Es wurde versucht, den Festgenommenen zu befreien. Auf dem Wege zur nahegelegenen Wache drängten unbekannte Personen stark nach und versuchten Pol. Komm. Schäferling, der den Transport deckte, auf die Seite zu schieben. Komm. Schäferling konnte jedoch die Personen abwehren, so daß der Transport durchgeführt werden konnte. Die Menge sammelte sich vor dem Wachlokal an und forderte die Freigabe des Vorgeführten.

Die Menge beharrte solange auf ihrem Standpunkt, bis sie durch den herbeigerufenen Streifendienst und das Überfallkommando zerstreut wurde. Nach der Festnahme und während der Dauer der Ansammlung gebrauchten zahlreiche Personen aus der Ansammlung die Äußerungen wie: ''Judenschätzlinge , schwarze Sauhunde, Saulümmel, Bluthunde, die Wache wird noch ausgehoben''.

Es wurde wahrgenommen, daß sich unter den Teilnehmern eine Reihe von Personen befand, die früher links eingestellt waren und vermutlich in der Absicht mitdemonstrierten, die bestehende Unruhe noch zu vergrößern.

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