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Chronik und Quellen
1935
Mai 1935

Bericht aus Stettin

Am 14. Mai 1935 erstattet der Polizeispräsident von Stettin folgenden Bericht:

Nachdem bereits vor einigen Wochen in Stettin gewisse Demonstrationen gegenüber jüdischen Geschäften und Geschäftsinhabern von seiten von Parteiangehörigen erfolgt waren, in deren Verlaufe insofern strafbare Handlungen vorkamen, als Schaufensterscheiben beklebt oder mit Farbe beschmiert und jüdische Geschäftsinhaber tätlich angegriffen wurden, hatte ich eine persönliche Besprechung mit dem Gauleiter, in der dieser das volle Einverständnis dazu erklärte, daß derartig undiszipliniertes Vorgehen nicht nur unerwünscht, sondern zu vermeiden sei, und daß die Frage der Bekämpfung des Judentums und jüdischer Überheblichkeit nicht durch einzelne Gewalttätigkeiten, sondern nur durch eingehende Erziehung seitens aller Parteidienststellen zu lösen sei.

Trotzdem sind auch in der letzten Zeit Maßnahmen beobachtet worden, die zumindest hart an die Grenze des Polizeiwidrigen gehen. Einen der Haupthetzer in dieser Beziehung, Setzkorn, habe ich in Schutzhaft nehmen müssen, weil er Geldbeträge sammelte, um jüdische Geschäfte mit einer ätzenden Flüssigkeit zu beschriften. Einzelnen jungen Leuten, die beim Kleben von Zetteln an Fensterscheiben und Häuser betroffen wurden, mußten diese Zettel abgenommen werden. Seit einigen Tagen scheinen einzelne Parteigenossen sich an den Eingängen jüdischer Geschäfte aufzustellen, um die Käufer vom Kauf in diesen Geschäften abzuhalten. Heute mußte zweien solcher jungen Leute ein Schild mit antisemitischer Beschriftung abgenommen werden, da sie sich mit diesem Schild unmittelbar in den Eingang eines jüdischen Geschäftes aufstellten und zum Boykott dieses Geschäftes aufforderten, trotzdem sie ein Polizeibeamter kurz vorher ermahnt hatte, ihren Standort auf die Straße zu verlegen.

Wie die Gauleitung weiß, daß ich volles Verständnis für den Kampf gegen Judentum und jüdische Arroganz habe, bin ich aber als Polizeiverwalter dafür verantwortlich, daß die von den Ministerien gegebenen Vorschriften innegehalten werden, und daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gestört wird bezw. strafbare Handlungen, wie grober Unfug und Sachbeschädigung, nicht vorkommen. Die Polizei wird in dieser Beziehung in jeder Weise großzügig verfahren und alles das zulassen, was nicht gegen die Gesetze und Bestimmungen verstößt; sie bittet aber erneut, daß den einzelnen Parteigenossen bezw. den Parteidienststellen eingehend klargemacht wird, daß undiszipliniertes Verhalten und strafbare Handlungen in Hinsicht auf den Kampf gegen das Judentum nicht nur geeignet sind, politische Schwierigkeiten zu bereiten, sondern daß die Polizei ihre Pflicht verletzen würde, wenn sie strafbare Handlungen dulden wollte.

Ich wäre dankbar, wenn in allen Fällen, in denen ordnungsmäßige Demonstrationen gegen das Judentum von seiten irgendeiner Parteidienststelle stattfinden sollen, mir, d.i. der Stapostelle, diese rechtzeitig bekanntgegeben werden. Ich habe dann die Möglichkeit, die Beamten auf der Straße vorbeugend zu informieren.

Im übrigen glaube ich mich eins zu wissen mit der Gauleitung, daß die Lösung der jüdischen Frage in einer ernsten und nachhaltigen Erziehung der Pg .'s zu suchen ist, sie zu fördern, würde ich gerade nach den Vorfällen der letzten Woche erneut bitten.

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