Die Poizeidirektion München berichtet
Am 26. Mai 1935 erstattet die Münchener Polizeidirektion folgenden Bericht für die Monate März bis Mai 1935 über die „antisemitische Bewegung“:
Die Juden Boykott-Bewegung hat in München ungefähr Ende des Monats März begonnen sich zu entwickeln und zwar äußerte sich das darin, daß versucht wurde, diejenigen Ladengeschäfte, die einen jüdischen Inhaber haben, oder deren Geschäftsführer Jude ist, in ihrer kaufmännischen Tätigkeit zu behindern. Etwa Mitte April wurde festgestellt und zwar sowohl von Seiten der Polizei-Patrouillen der zuständigen Wachen als auch durch Anzeigen der Geschädigten, daß zunächst Zettel antisemitischen Inhalts und Plakate angeklebt wurden. Später, etwa vom 18. April ab, wurde festgestellt, daß nachts, und zwar unregelmäßig, teils vor, teils nach der Polizeistunde Schaufenster beschrieben wurden (''Jude, Saujude, raus mit den Juden'' u. dgl.) Täter konnten weder von Wachen eruiert werden, noch waren die Geschädigten in der Lage, auch nur entfernt einen Täter namhaft zu machen. Es handelte sich offensichtlich um eine kleine Gruppe von Personen, die unter genauester Beobachtung der im Dienst befindlichen Polizei-Patrouillen handelten. Sie warteten offenbar jeweils ab, bis die Luft rein war und schrieben dann mit Kieselsäure an die Schaufenster. Es steht jedoch nicht genau fest, ob es sich um Kieselsäure gehandelt hat, vielmehr kann es auch Flußsäure gewesen sein, jedenfalls handelt es sich um eine stark ätzende Flüssigkeit, die sich in die Glassubstanz eingefressen hat und nicht mehr abgewaschen werden konnte. Ein Abschleifen kann aber bei einem normalen Schaufenster höchstens 3 mal erfolgen, beim vierten Abschleifen bricht die Glasscheibe durch.
Am 8.5.1935 wurde festgestellt, daß Täter sich nicht mehr darauf beschränkten, die Fenster mit Kieselsäure zu bemalen, sondern daß sie dazu übergingen, die Scheiben einzuwerfen. Als Wurfgeschoß wurden Pflastersteine verwendet, wie sie beim Kleinsteinpflaster verwendet werden. Auch in diesem Falle wurden Täter nicht festgestellt. Die Tat erfolgte offenbar von 2 oder 3 Personen, die in einem Auto jeweils an den Geschäften vorbei fuhren. 2 Lohndirnen beobachteten am 8.5.1935 vormittag 4 Uhr [sic] einen offenen Personenkraftwagen, in dem sich 3 Männer befanden. Dieser Wagen fuhr an dem Geschäft ''Elko'' vorbei und in diesem Augenblick wurden die Scheiben eingeworfen. Die beiden Zeuginnen waren aber nicht in der Lage, die Nummer des verdunkelt fahrenden Wagens festzustellen und konnten keine Personalbeschreibung geben. Die Polizeidirektion München hatte bereits vorher in den bedrohten Gegenden, insbesondere in der Neuhauserstraße, Färbergraben, Sendlingerstraße, Tal-, Wein- und Dienerstraße verstärkten Rundendienst angeordnet. Trotzdem war es nicht möglich einen der Täter zu fassen, da diese offenbar die Polizeistunden genau beobachteten und erst in Aktion traten, wenn die Patrouillen vorbei waren. Es handelt sich in diesem Fall offensichtlich immer um die gleiche Gruppe, die systematisch ihre Aktion steigerte. Während sie sich anfangs auf das Ankleben von Zetteln beschränkten, die leicht abwaschbar sind, gingen sie später dazu über, die Schaufenster mit ätzender Flüssigkeit zu bemalen und schließlich warfen sie die Schaufenster mit Steinen ein.
In der Nacht vom 12./13. Mai 1935 wurden von Angehörigen der HJ an den Einfahrtsstraßen von München Plakate angeschlagen mit der Aufschrift ''Juden unerwünscht''. Außerdem wurden Zettel an jüdische Geschäfte angeklebt, die den bekannten antisemitischen Inhalt hatten. Die Zettel waren kleinen Formats und leicht abwaschbar. Weiterhin wurden Bürgersteige mit Ölfarbe beschrieben ''Juden unerwünscht'', ''Judensau'' u. dgl. Die Gebietsführung der Hitlerjugend München wurden an nächsten Tage von der Polizeidirektion verständigt und stellte die Tätigkeit der Hitlerjugend sofort ab.
Am 18.5.1935 kam es aus Anlaß der Sammlung des Deutschen Karitasverbandes zu Tumultszenen auf der Straße, die zum Verbot dieser Sammlung führten. Im Anschluß daran kam es auch vereinzelt zu Demonstrationen vor jüdischen Geschäften. In diesem Zusammenhang darf ich auf den Bericht der Polizeidirektion vom 20.5.35 verweisen.
Am 25.5.35 nachmittags um 14.30 Uhr wurde gemeldet, daß in Rosental bei der Firma Epa sich Menschen zusammenrotten und daß die Gefahr bestünde, daß eine Aktion gegen jüdische Geschäfte in Gang komme. Der Offizier vom Dienst verständigte sofort den politischen Referenten und meldete die Angelegenheit dem Staatsministerium des Innern. Herr Stabsleiter Köglmaier, der sich sofort selbst an Ort und Stelle begab, gab die Weisung, zunächst solle der SA - und SS -Streifendienst eingesetzt werden und erst wenn dieser nicht mehr durchkomme, solle die blaue Polizei eingreifen. Um 14.27 Uhr teilte die Deutsche Arbeitsfront die Störung der jüdischen Geschäfte mit und veranlaßte die polizeiliche Schließung der Judengeschäfte zum Schutz der dort befindlichen arischen Angestellten. Die Polizei hat die Schließung der Geschäfte jedoch abgelehnt. Von 14.20-14.50 Uhr riefen nahezu sämtliche jüdischen Geschäfte Münchens an und baten um Schutz. Von einzelnen Polizeiwachen und Rundbeamten wurde die Formierung von Demonstrationszügen gemeldet. Ab 15-17 Uhr gingen die Aktionäre schlagartig an vielen Stellen der Stadt gegen jüdische Geschäfte vor. Die Täter drangen jeweils in die Geschäfte ein, wiesen das kaufende Publikum aus den Geschäften und zwangen den Verantwortlichen, den Laden zu schließen. In einzelnen Fällen wurden arische Angestellte dieser Geschäfte mißhandelt. Soviel sich zunächst feststellen ließ, handelte es sich bei den Demonstranten nicht nur um Parteigenossen, SS-Männer usw., sondern es stand sehr bald fest, daß sich unter den Demonstranten Elemente zweifelhafter Art befanden, die den Augenblick benützen wollten, die herrschende Erregung noch zu steigern und gegen die Polizei vorzugehen. Eine Person wurde betreten [sic], die, ohne Angehörige der SA oder der Partei zu sein, eine braune Hose trug und sich als Haupthetzer betätigte. Strafanzeige gegen diese Person wurde gesondert erstattet. Um 16.45 Uhr wurden auf Weisung des Offiziers v. D. alle verfügbaren Beamten auf Runden geschickt zur Unterbindung von Ausschreitungen. Weiterhin erging Befehl, das Schließen von Geschäften zu verhindern, die Täter festzunehmen und einzuliefern.
Etwa um 15.15 Uhr hatte der Verkehrsposten am Bahnhofsplatz eine größere Menschenmenge, etwa 40-50 Personen, in der Prielmeyerstraße festgestellt, die verkehrsstörend wirkte. Er forderte pflichtgemäß die Leute auf, auseinanderzugehen, um die Verkehrsstörung zu beheben. Er konnte sich aber nicht durchsetzen und begab sich zur Polizeiwache am Bahnhof. Die Menschenmenge, die inzwischen immer mehr anwuchs, folgte, und wollte das Wachlokal am Hauptbahnhof stürmen. Der größte Teil der Demonstranten setzte sich hier aus Angehörigen des österr. SS-Hilfswerkslagers Schleißheim zusammen. Die Menschenmenge war inzwischen auf etwa 40 Personen angewachsen. 6 Angehörige der Demonstranten wurden in die Wache hineingelassen, um angeblich ihre Meldungen machen zu können. Dabei führten sie sich in der Wache völlig undiszipliniert auf. Die Menge versuchte dann von außen den Wachraum zu stürmen. Die im Wachlokal befindlichen SS-Angehörigen griffen den in Zivil befindlichen Kriminalbeamten Mirbeth tätlich an und zogen ihn in die Menge. Im Verlaufe der Schlägerei wurde Mirbeth zu Boden geworfen und mit Faustschlägen und Fußtritten bearbeitet. Er erlitt Verletzungen am Auge, an den Lippen, am rechten Kinn, sowie am rechten Daumen. Mirbeth konnte sich nur dadurch befreien, daß er die Pistole zog und von ihr Gebrauch zu machen drohte. Zwei der Täter konnten bei dieser Gelegenheit festgenommen werden. Daraufhin wurde auch der Hauptwachtmeister Fritsch tätlich angegriffen, der den Versuch unternahm, die Menge zu beruhigen. Dabei wollte man ihm den Säbel entreißen, daraufhin zogen 3 weitere Beamte der Schutzpolizei blank und trieben die Demonstranten von der Türe zurück, sodaß sie diese schließen konnten. Aus der Menge der Demonstranten heraus wurde ihnen zugerufen: ''Schauts die schwarzen Hunde, blank zieh'n tun's, haut sie zusammen, die schwarzen Brüder werden wir noch ausmisten'' usw. Außerdem wurde den Beamten gedroht es käme noch ein 30. Juni und da würden sie aber schauen. Daß sich unter der Menge Kommunisten befanden, geht klar daraus hervor, daß nach Angabe eines Offiziers, der sich als Zeuge zur Verfügung stellt, den Polizeibeamten zugerufen wurde: ''Euch Nazihunde, euch schlagen wir, wie ihr es braucht.'' Die Demonstranten wurden dann durch den SA- und SS-Streifendienst zerstreut. Der Überfallwagen mußte fortgesetzt ausrücken. Oft waren zwei bis drei Wagen gleichzeitig unterwegs. Die Täter hatten sich aber jeweils beim Herannahen des Überfallwagens entfernt, so daß lediglich die Passanten auf der Straße übrigblieben, die dann vom Streifendienst, bzw. vom Überfallkommando zum Weitergehen gezwungen wurden. In der Zwischenzeit war auch versucht worden, gegen die Wache 11/I vorzugehen und zwar wurde hier versucht, einen dort Festgenommenen zu befreien. Die Polizei wurde mit Ausdrücken belegt ''Judenschützlinge, schwarze Sauhunde, Bluthunde, die Wache wird noch ausgehoben'' u. dgl. Auch hier mußte der Überfallwagen ausrücken, und die Straße säubern. Um 17.20 Uhr erging Rundspruch an sämtliche Bezirke, wonach jeder Polizeibezirk 1 Dienstgrad und 10 Beamte zur Verstärkung der Hauptwache abzugeben hat. Um 17.25 Uhr wurde auf Weisung des Offiziers vom Dienst hohe Bereitschaft der sämtlichen Polizeibezirke angeordnet.
Ein weiterer Vorfall beweist klar, daß sich unter die Menge kommunistische Provokateure gemischt hatten. Etwa um 16.30 Uhr wurde der Überfallwagen zur Wache Ledererstraße beordert, um dort Hilfe zu leisten. Der politische Referent begab sich sofort zur Ledererwache und stellte dabei fest, daß von dieser Wache ein Anruf überhaupt nicht erfolgt war, da 1. in dieser Gegend völlige Ruhe herrschte und 2. die Wache stark besetzt war. Dies zeigt klar, daß von unverantwortlichen Elementen versucht worden war, die Polizeikräfte zu zersplittern und die Aktionsfähigkeit der Polizei zu hemmen. Gegen 18 Uhr kam der Überfallwagen gerade dazu, als von Demonstranten versucht wurde, das Bernheimer Haus am Lenbachplatz zu stürmen, in dem sich ein ausländisches Konsulat (Mexiko) befindet. Das Überfallkommando schritt sofort ein und nahm die auf der Straße befindlichen Personen fest, die offensichtlich mit den Tätern zusammen waren. Es handelte sich hier um Angehörige der politischen Verfügungstruppe in Zivil. Diese gaben an, beim Appell die Weisung erhalten zu haben, in Zivil auszugehen, damit nicht Angehörige der aktiven SS in Uniform bei Demonstrationen gegen Juden festgestellt werden. Die Festgenommenen wurden zur Polizeidirektion verbracht um nach Feststellung ihrer Personalien und nach Einvernahme durch das Ref. 12 dem Kommandeur der Verfügungstruppe, Obersturmbannführer von Hengel zur Verfügung gestellt.
Um 22 Uhr wurde gemeldet, daß schwere Ausschreitungen im katholischen Gesellenhaus an der Schommerstraße stattfinden. Bei den Tätern handelte es sich hier ebenfalls um Angehörige der politischen Verfügungstruppe. Der SA-und SS-Streifendienst, der gerade im Begriffe war, die Ordnung wieder herzustellen, brauchte nicht mehr weiter tätig zu werden, da Herr Staatsminister Pagner zusammen mit SS-Gruppenführer Schmauser selbst an Ort und Stelle erschien und die Ordnung herstellte. Die Täter wurden durch SS-Gruppenführer Schmauser festgenommen und der Kaserne an der Herzog-Wilhelm-Straße zugeführt.
Schon am Nachmittag hatten nach der Festnahme der 9 Angehörigen der Verfügungstruppe beim Bernheimer Haus andere Angehörige der Verfügungstruppe in Zivil sich in der Löwengrube zusammengerottet und wollten ihre in Polizeigewahrsam befindlichen Kameraden befreien. Dabei kam es zu wüsten Beschimpfungen des SS-Streifendienstes, durch Angehörige der Verfügungstruppe. Die Beschimpfungen nahmen einen derartigen Umfang an, daß Männer des SS-Streifendienstes mit der Waffe gegen die Verfügungstruppe in Zivil vorgehen wollten. Nur durch das persönliche Eingreifen des Leiters des Ref. 12 Stubf. Dr. Holzer wurden Tätlichkeiten verhindert und die Verfügungstruppe in Zivil gab das Tor der Polizeidirektion frei. Da sie sich aber nicht entfernten, mußte auch hier die Straße geräumt werden. Gegen 19 Uhr wurde dann auf den Straßen eine gewisse Beruhigung bemerkt und außer dem Vorfall im Gesellenhaus ereignete sich nichts mehr von Belang.
Ab 21 Uhr wurden aus der Verstärkung der Pol. Hauptwache 35 dreimännige Runden ausgesandt (d.h. je 2 Beamte der Schutzpolizei und 1 Angehöriger des Streifendienstes), die die wichtigsten Straßen zu beobachten hatte. Um 0.10 Uhr wurde die Bereitschaft für die Schutzpolizei und ab 2 Uhr die Bereitschaft für das Ref. 12 aufgehoben.