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Chronik und Quellen
1935
Mai 1935

Die Gestapo berichtet

Die Gestapo für den Regierungsbezirk Königsberg berichtet am 5. Juni 1935 für Mai 1935:

Die Vereinstätigkeit der Juden ist im Berichtsmonat ziemlich rege gewesen. Besonders erwähnenswert sind zwei Versammlungen der Königsberger zionistischen Vereinigung. Auf der ersten Veranstaltung, an der ca. 300 Personen teilnahmen, sprach Dr. Ratzkowski-Königsberg über den 19. zionistischen Kongreß und über die Arbeit der Juden in Palästina , wobei er allerdings auch nicht verfehlte, nachdem er sich über die Zwecklosigkeit weiteren Verbleibens der Juden in Deutschland, über den neuen Flaggenerlaß und die Frage der allgemeinen Wehrpflicht geäußert hatte, auf eine gewisse Interessenlosigkeit von Gemeindemitgliedern hinzuweisen, die an der ganzen jüdischen Bewegung soviel Interesse hätten, wie ein Aufsichtsrat an einer Aktiengesellschaft, obwohl die deutsch-jüdische Bewegung ideologisch wie praktisch schachmatt gesetzt sei.

Der zweite Redner des Abends, Georg Putzrath, sprach über seine Eindrücke und Erlebnisse gelegentlich der 2. Makkabiah , wobei er besonders hervorhob, daß die bisher geübte seelische Erziehung nunmehr durch die zugenommene körperliche Ertüchtigung, die bislang vernachlässigt war, ergänzt worden sei. Wenn auch die Leistungen anläßlich dieses Sporttreffens der Juden in Palästina hier nicht maßgebend gewesen seien, so sollte doch die Welt sehen, daß die Juden auch hierin voll und ganz ihren Mann stehen. Die Makkabiah war eine Demonstration der jüdischen Jugend und des gesamten jüdischen Volkes. Das jüdische Volk ist erwacht und sammelt sich in der Heimat. Der Redner schloß seinen Vortrag mit dem Ruf: ''Das Land unserer Väter wird das Land unserer Kinder!''

Mit meinem Tagesbericht Nr. 91 und Sonderbericht Fs. 2641 habe ich ausführlich über diese Veranstaltung berichtet.

Die zweite Versammlung der Königsberger zionistischen Vereinigung fand am 29.5.35 statt und war von etwa 600 Personen besucht. Der Redner, Rabbiner Dr. Prinz aus Berlin, sprach über ''Jüdische Existenz - heute''. Er schilderte ungeschminkt die augenblickliche jüdische Lage in Deutschland und forderte seine Rassegenossen auf, an dem Wiederaufbau eines freien jüdischen Volkes in Palästina mitzuarbeiten. Er beschäftigte sich mit der Entwicklung der Lage der Juden in Deutschland, die vom Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums bis zum Erlaß des Wehrgesetzes den Abschluß einer Entwicklung darstelle, den die Zionisten bereits vor 2 Jahren vorausgesehen hätten. Der Gesetzgeber in Deutschland ließe mit aller Deutlichkeit erkennen, daß er letzten Endes die Absicht habe, Deutschland judenrein zu machen. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch das zu erwartende Reichsbürgergesetz, nach dem die Juden nicht mehr deutsche Staatsbürger, sondern lediglich deutsche Staatsangehörige sein werden. Er fuhr dann weiter fort. ''Deutschland tue, was es tun müsse...... Wir fallen diesem Volke zur Last, einem Volke, das, wie es immer betont, glücklicher sein würde, wenn wir nicht da wären....... Ich mach diesem Lande keine Vorwürfe, denn im eigenen Lande kann man machen, was man will. Es geht in der nichtarischen Welt auch ohne Juden. Das wollen wir immer bedenken.'' Mit meinem Tagesbericht Nr. 107 und Sonderbericht habe ich ausführlich über diese Versammlung berichtet.

Sämtliche jüdischen Jugend- und Sportorganisationen halten ihre regelmäßigen Schulungs- und Ausbildungskurse ab, die zu Beanstandungen irgendwelcher Art keinen Anlaß gegeben haben.

Auch im Bereich der Stapo Elbing war die Vereinstätigkeit der Juden im Berichtsmonat ziemlich rege. In Elbing haben die Juden neben den bereits bestehenden zahlreichen jüdischen Vereinen die Einrichtung von 2 weiteren Vereinen angezeigt. Der eine Verein ist der Sportverein ''Schild des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten ''. Bei Überprüfung der vorgelegten Mitgliederliste hat sich herausgestellt, daß ein großer Teil dieser Mitglieder keine Frontkämpfer oder Angehörige von jüdischen Frontsoldaten ist und sie infolgedessen auch nicht in diesem Sportverein tätig werden dürfen. Hierauf ist der Antrag auf Gründung des Vereins von der Ortsgruppe Elbing des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten zurückgezogen worden. Der zweite in Elbing zur Neugründung gekommene jüdische Verein ist der Sportverein ''Bar-Kochba ''. Dieser Verein ist zionistisch eingestellt, über seine näheren Verhältnisse wird berichtet werden.

Am 29.4.35 veranstaltete die Ortsgruppe Elbing des Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens einen Vortragsabend. Dr. Schönfeld aus Tilsit sprach über das Thema ''Heinrich Heines Welt, Mitwelt und Umwelt''. An dieser Veranstaltung nahmen 29 Personen teil. Der Redner führte u.a. aus, daß dieser Vortrag der Anfang einer kulturellen Bildungsarbeit für das Judentum in Ostpreußen sein soll. Er schilderte das Leben und Wirken des Dichters Heinrich Heine und verstieg sich in seinen weiteren Ausführungen zu der unglaublichen Behauptung, daß sich die Juden an Heines Leistungen erinnerten, Leistungen, wie sie kaum ein Deutscher arischen Blutes vollbracht habe.

Die jüdische Gemeinde in Dt. Eylau veranstaltete am 4.5.35 eine Versammlung in der dortigen Synagoge , in der der bisherige Vorstand der Synagogen -Gemeinde wiedergewählt wurde. Die zionistische Ortsgruppe in Elbing befaßte sich in einer Versammlung am 30.4.35 mit dem Thema ''Weg und Zukunftsgestaltung des deutschen Judentums'', über das der Bezirkssekretär Hans Sturmann aus Königsberg sprach. Der Redner bewegte sich in den bekannten zionistischen Gedankengängen. Weiterhin veranstaltete die zionistische Ortsgruppe in Elbing am 16.6.35 einen Filmvortrag, bei der der Film ''Erez Jsrael '' (2 Teile) gezeigt wurde. Die Erläuterungen zu diesem Film gab ein gewisser Heinrich Freudenberger aus Berlin. Nach ihm sprach der bereits genannte Bezirkssekretär Hans Sturmann aus Königsberg zu dem Thema: ''Werdendes Volk, werdendes Land''. Auch dieser Vortrag bewegte sich in den zionistischen Gedankengängen. Die Ortsgruppe Marienwerder der zionistischen Vereinigung bedient sich neuerdings zu Versammlungszwecken weniger des jüdischen Gemeindesaales, sondern kommt vielmehr einmal wöchentlich in einer Privatwohnung zusammen, um dort gemeinsam zionistische Literatur zu lesen, hebräische Sprachstudien zu treiben und zionistische Lieder einzuüben.

Die Ortsgruppe Insterburg der zionistischen Vereinigung Deutschlands führte ihren Mitgliedern am 23.5.35 in der Synagoge den bereits erwähnten Film ''Erez Israel'' vor. Auch bei dieser Gelegenheit sprach im Anschluß an die Filmvorführung der Bezirkssekretär Hans Sturmann aus Königsberg und warb für die Auswanderung der Juden nach Palästina. Den Film ''Erez Israel'' führte der jüdische Delegierte des deutschen Keren Hajessod , jüdisches Palästina-Werk E.V., Heinrich Freudenberger-Berlin, vor. Der Film zeigte Bilder aus Palästina. Auch Freudenberger forderte seine Glaubensgenossen auf, alles für die neue Heimat herauszugeben und dafür Sorge zu tragen, daß die jüdische Jugend dort ein Unterkommen und eine Lebensmöglichkeit findet. Jeder Jude sollte danach streben, möglichst bald nach seiner neuen Heimat zu kommen.

Die antisemitische Einstellung der Bevölkerung kommt immer wieder zum Ausdruck. So wurde z.B. auf dem Jahrmarkt im Marienburg, der Anfang Mai stattfand, unter den zahlreichen Verkaufsständen auch ein jüdischer bemerkt. Dieser jüdische Händler zog es jedoch vor, seinen Laden schleunigst abzubauen, als die Bevölkerung, durch ein vor diesem Stand aufgestelltes Plakat mit der Inschrift ''Juden sind unser Unglück'' aufmerksam gemacht worden war.

Es ist weiterhin bemerkbar, daß sich der Viehhandel zum großen Teil noch in jüdischen Händen befindet, wie es ebenso unangenehm auffällt, daß Behörden, wie die Heimstätten und die Staatshochbauämter im Bezirk der Stapo Elbing als Großauftragerteiler für Judenfirmen auftreten sollen.

Im Bezirk der Stapo Allenstein sind, wie bereits im Vormonat berichtet worden ist, anläßlich der Vorkommnisses des Falles Debberstein, in fast sämtlichen jüdischen Geschäften die Schaufensterscheiben eingeschlagen worden. Die Ermittlungen haben zu umfangreichen Zeugenvernehmungen geführt. Das Verfahren schwebt bei der Staatsanwaltschaft in Allenstein.

In letzter Zeit fällt es, wie der Landrat des Kreises Heiligenbeil berichtet, besonders auf, daß jüdische Wandergewerbetreibende, die als Juden für den ungeschulten Beobachter nicht einwandfrei erkennbar sind, dazu übergehen, Manufakturwaren aus ihren Beförderungsmitteln (Kraftwagen usw.), die sie an versteckter Stelle stehen lassen, entnehmen und mit den einzelnen Stücken über der Schulter von Haus zu Haus ziehen. Durch die geschilderte Umgehung des § 53 c der Gewerbeordnung, erreichen diese jüdischen Wandergewerbetreibenden zweifellos einen unerwünscht großen Warenumsatz. Der Landrat erachtet es daher als zweckmäßig, wenn auch in der Presse auf das Bestehen entsprechender Vorschriften hingewiesen würde, da die Bevölkerung dann schon aus solchen Hinweisen allein den richtigen Schluß ziehen könnte.

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