Bericht aus Augsburg
Am 1. Juni 1935 berichtet die Polizeidirektion Augsburg für April und Mai 1935:
Die Inhaber kleinerer Geschäfte zeigen sich darüber ungehalten, daß die jüdischen Warenhäuser einen arischen Anstrich bekommen haben und somit die Warenhausfrage nicht in dem vom Mittelstand erhofften und gewünschtem Sinne gelöst wurde. Die Inhaber kleiner Geschäfte machen für den mitunter unbefriedigten Umsatz die Konkurrenz der Warenhäuser verantwortlich. (…)
Juden, Freimaurer
Im Stadtinnern wurde in der Nacht v. 23./24.5. an die Schaufenster jüdischer Geschäfte mit roter Farbe die Aufschrift ''Jude'' angebracht. In der gleichen Nacht sind im Judenfriedhof an der Haunstetterstraße 2 Grabsteine umgeworfen worden. In der Nacht v. 24./25.5. zertrümmerten Unbekannte in den Kaufhäusern Schocken, Polizer, Tanne und Salamander 5 Schaufenster. Vom 29./30.5. nachts wurden im Schuhhaus des Juden Polatschek von unbekannten Tätern zwei Schaufenster in der Größe von 329 : 434 und 323 : 444 cm mit 2 größeren Zement und Ziegelsteinen eingeworfen. Die Täter ergriffen nach der Tat in einem Kraftwagen die Flucht. Vor den zertrümmerten Schaufenstern bildeten sich wiederholt Personengruppen, die die Tat eifrigst besprachen und bedauerten. Der Großteil der Bevölkerung verwirft solche Handlungen mit der Begründung, daß die geschädigten Juden versichert seien und infolgedessen nicht sie, sondern letzten Endes die Allgemeinheit den Schaden zu tragen habe. Der Schaden beträgt in vorliegendem Falle etwa 1.900 Mark. Die Versicherungsgesellschaften weigern sich die Schäden, die in letzter Zeit durch das Einwerfen von Schaufenstern entstanden sind, zu ersetzen. Die Geschädigten wollen sich nunmehr an die Stadtgemeinde zwecks Schadenersatzes wenden.
In der Nacht v. 12./13.5. wurden im Stadtgebiet mehrere Holztafeln mit der Aufschrift ''Juden sind hier unerwünscht'' angebracht. Der Oberbürgermeister der Stadt Augsburg hat nun einen Brief folgenden Inhalts erhalten, den er der Polizeidirektion zur Kenntnis und evtl. weiteren Veranlassung zuleitete:
''Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!
Als ich heute von Lindau kommend die Stadtgrenze mit dem Wagen passierte, las ich zu meiner nicht geringen Überraschung 'Juden sind hier unerwünscht'. Ich bin Einkäufer für einen Schweizer Warenhauskonzern, in welchem Juden mit Kapital tätig sind. Ich kann es nicht verantworten für Juden in einer Stadt einzukaufen, die eine solche Veröffentlichung anbringt und werde den Fall mit dem Bildnis der Tafel den Herren vorlegen. Mögen diese dann selbst entscheiden. Wie mir Juden in Augsburg versicherten, seien Sie Herr Oberbürgermeister gerechtdenkend und tolerant. Ob die Tafel für die Stadt fördernd ist, darüber habe ich nicht zu entscheiden. Meine private Meinung bleibt für eine Stadt wie Augsburg alles andere wie zustimmend, wenn ich auch Arier allerdings Schweizer Bürger bin. Ich wurde über die Tafel so erregt, daß ich nicht umhin kann, Ihnen von meiner Meinung Kenntnis zu geben.
Mit Deutschem Gruß
Carl Jäger Welti
Zürich, z.Zt. Augsburg.''