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Chronik und Quellen
1935
März 1935

Bericht aus Hannover

Der Regierungspräsident in Hannover erstattet am 2. April 1935 folgenden Lagebericht für die Monate Februar und März 1935:

Die jüdischen Verbände und Vereine entfalten eine immer reger werdende Versammlungstätigkeit, die besonders bei den Jugendverbänden innerhalb der ''Zionistischen Vereinigung '' und dem ''Centralverein '' festzustellen ist. So haben im Monat Februar die ''Zionistische Vereinigung'' - Ortsgruppe Hannover - 6, der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten 3, der ''Israelitische Frauenverein '' 3, der jüdische Kulturbund 3, der Bund deutsch-jüdischer Jugend 31, die ''Werkleute '' 27 und die Jugendgruppe Agudas Jisroel 1 Versammlungen bezw. Veranstaltungen abgehalten. Die rege Versammlungstätigkeit der Juden und das freie Auftreten in der Öffentlichkeit, werden in den Kreisen der Partei scharf kritisiert. So ist es zu erklären, daß immer noch Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte vorkommen.

Innerhalb der jüdischen Verbände halten die Gegensätze in unverminderter Schärfe an. Besonders scharf tritt die Verschiedenheit der Auffassungen zwischen der ''Zionistischen Vereinigung'' und dem ''Reichsbund jüdischer Frontsoldaten'' hervor. Aus der Stadt Hannover sind im letzten Vierteljahr etwa 57 Juden nach Palästina ausgewandert. Unter den Ausgewanderten befinden sich etwa 90% ehemalige nach Deutschland eingewanderte Ostjuden . Bemerkenswert ist, daß der jüdische Kulturbund in letzter Zeit des öfteren mit musikalischen und geselligen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit tritt. Neben dem Hauptziel, der engen Zusammenfassung aller jüdischer Kreise, will man durch derartige Veranstaltungen den jüdischen arbeitslosen Künstlern einen Verdienst geben. Für die Haltung des Zentralvereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens sind die Aufführungen eines Dr. Werner Grunsfeld - Hamburg bemerkenswert, der in einem Vortrag in Hameln über das Thema ''Für unsern Arbeits- und Lebensraum - für deutsch-jüdische Zukunft'' u.a. ausführte:

''Von den deutschen Juden können nur noch etwa 30.000 in Palästina untergebracht werden. Die restlichen 350.000 seien gezwungen in Deutschland zu verbleiben. Geringe Auswanderungsmöglichkeiten bestünden auch noch nach amerikanischen Ländern (Argentinien, Peru und Chile). Den hier verbleibenden Juden bliebe nichts weiter übrig, als sich auf die neuen Verhältnisse umzustellen. Große Sorge bereite die Unterbringung der Ostern 1935 zur Entlassung kommenden 6.000 jüdischen Schüler. Für diese sei es ratsamer, doch beizeiten zu versuchen, in Palästina oder sonstigem Ausland unterzukommen. Andererseits hätten aber auch die Besitzer jüdischer Geschäfte die Pflicht, bei Bedarf an Lehrlingen nur die jüdische Jugend zu berücksichtigen. Weiter hob Dr. Grunsfeld die Erfolge des Zentralvereins hervor, die zur Behebung von Unzuträglichkeiten gegenüber jüdischen Geschäftsleuten durch unmittelbare Verhandlungen mit dem Reichswirtschaftsministerium erzielt seien. Er bat, Fälle, in denen sich Unzuträglichkeiten gegenüber Juden ergeben haben, doch zu seiner Kenntnis zu bringen, damit durch Verhandlungen mit den maßgeblichen Regierungsstellen die Übelstände beseitigt würden.''

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